Theater an der Wien: Als Ritter Gluck nicht fertig wurde

Ritter Gluck nicht fertig
Ritter Gluck nicht fertig(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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„Telemaco“, drei Jahre nach dem „Orfeo“ für Wien komponiert und nicht ganz fertiggestellt, entpuppt sich als Rückfall in veraltete Barock-Formen.

Natürlich, Christoph Willibald Gluck war ein wichtiger Mann. Was er mit seinem „Orpheus“ angebahnt hat, das war nichts weniger als die gründliche Erneuerung der Gattung Oper. „Orpheus“ gehört in Wahrheit seit seiner Uraufführung 1762 zu jenen Stücken im musealen Opernbestand, die immer wieder zu Sonderausstellungen aus den Archiven geholt werden.

Noch ein paar Werke aus dem überreichen Katalog des Vielschreibers Gluck wären zu nennen, die jederzeit Gegenstand neuerlicher, eingehender Beschäftigung werden sollen, die beiden „Iphigenien“ zum Beispiel, die „Alceste“ oder auch „Armida“. „Telemaco“ gehört definitiv nicht dazu.

Das 1765 angelegentlich der Hochzeitsfeierlichkeiten des Kronprinzen Joseph komponierte Werk ist vielleicht für Intendanten von Opernhäusern interessant, die schon alle obgenannten Werke im Spielplan haben. Ein Impresario hat ja in solchen Fällen zu verfahren wie ein Großneffe, der für die Erbtante ein Geburtstagsgeschenk kaufen muss: Die Tante hat schon alles...

Das Publikum, das sich im Theater an der Wien als dem Stagione-Betrieb im großen Wiener Opern-Räderwerk, fortwährend neue Reize verspricht, die das ohnehin reich bestückte Repertoire der Musikstadt beleben, kennt allerdings noch nicht einmal die bedeutenden Gluck-Opern, jene, mit denen der Reformator Theatergeschichte geschrieben hat.

Zum Genialsein gehören am Theater zwei

Unumwunden gesagt: Die Umstürze hat ja nicht Gluck im Alleingang bewirkt. Ohne geniale Textdichter wie Ranieri de Calzabigi hätte er nicht Operngeschichte schreiben können. Der „Telemaco“ stammt von Calzabigis Schüler Marco Coltelini – und der war offenbar nicht annähernd so geistreich wie sein genialer Lehrmeister. Jedenfalls hat er von dessen Sinn für Dramaturgie offenbar wenig mitbekommen.

Die Geschichte des Telemach, der auf der Insel der Kirke seinen Papa sucht, zerfällt in der Wiener Veroperung von 1765 jedenfalls in zwei Hälften, deren erste mit einer Erkennungsszene und dem Schwur der Zauberin endet, die Gefangenen allesamt freizulassen. Pause. Und weiter?

Die Herrscherin bricht ihr Versprechen. Sie ist in Odysseus verliebt und will ihn so wenig fortgehen lassen wie ihre Dienerin Asteria, die sich am Ende des zweiten Aufzugs als Antiope entpuppt, Nichte des Kreter-Königs Idomeneo. Sie ist die lange verloren geglaubte Schwester von Telemachs Begleiter, Meriones. Fein, denn als Prinzessin kann Antiope den ebenfalls wohlgeborenen Telemach ehelichen. Im Wege steht nur Kirke, die zuletzt die Aufbruchstimmung ihrer Gäste mit Sturm und Erdbeben heftig trübt.

Wie es ausgeht, wissen wir nicht genau, denn Gluck hat den Schluss nicht komponiert – man nimmt für die Wiener Aufführung einen Ballettsatz der ebenfalls für die josephinische Hochzeit gedachten Musik zu „Semiramis“.

Außerdem hat Regisseur Torsten Fischer im Verein mit Dirigent René Jacobs auch noch die Figur der Penelope hinzuerfunden, die – statt sich daheim in Geduld zu üben, wie im Mythos vorgesehen – zu uns ins Theater an der Wien kommt, um in Gestalt von Anna Franziska Srna sehr eindringlich orakelnd ihre warnende Stimme zu erheben.

Das ist wiederum musikhistorisch ungerecht, denn das Melodram für Sprechstimme und Orchesterbegleitung hat Georg Anton Benda erfunden – etwa ein Jahrzehnt nach „Telemaco“ – und jedenfalls nicht Gluck, der überhaupt drei Jahre nach seinem „Orpheus“-Wunder recht drastisch Barock-rückfällig wurde und für den Telemach nebst zornig-rasselnden Wutanfällen seiner temperamentvollen Zauberin (wohl aus Zeitnot) nur eine halbe Nummer geliefert hat, die in ihrer Melodik und Formgebung wirklich zukunftsweisend scheint: Das Accompagnato-Rezitativ vor der ersten Arie der Asteria. Die Arie, die folgt, ist schon wieder nach Schablone sieben gearbeitet.

Sinnlose Silben, keine Bildersprache

Und solche Schablonen-Musiken inspirieren weder René Jacobs und seine Musikanten wirklich, noch die Sänger, die hie und da beinah überfordert wirken – wie die im Wesentlichen doch sehr ausdrucksstarke Circe von Alexandrina Pendatchanska in ihrer ersten, von endlosen Koloraturen durchzogenen Da-Capo-Arie, oder auch Bejun Mehta, der in der Altkastraten-Rolle des Titelhelden allzu sehr auf lyrisches Strömenlassen der Stimme reduziert ist – wozu selbige, ehrlich gesagt, nicht schön genug ist. Auch macht ihn Regisseur Fischer auf der Riesenspiegelscheibe, die Vasilis Triantafillopoulos auf die Bühne schmieden ließ, von Anfang an zu einem zitternden Waserl.

Dass er sich in die Unterwelt wagt, wo der Arnold Schönberg Chor weniger effektvolle Geisterchöre zu singen hat als im „Orfeo“ und auch gleich viel weniger effektvoll klingt, ist so unglaubwürdig wie die Tatsache, dass sich die edelstimmige Valentina Farcas in ihn verlieben könnte, die so ebenmäßig schön singt wie der Merione von Annett Fritsch.

Rainer Trost irrt durch das Labyrinth an schönen Bildern, die so gar nichts zur Erklärung der Handlung beitragen, entsprechend befremdet: Er singt expressiv, als ob es um „Idomeneo“ ginge. Aber der wird, wie gesagt, diesmal leider nur erwähnt...

„Telemaco“ wurde 1765 zur Hochzeit Josephs II. mit Maria Josepha von Bayern komponiert. In der Eile konnte Gluck offenbar die Musik zum Schlusstableau nicht schreiben. Die Handlung basiert auf der Odyssee, doch hat Textdichter Marco Coltellini auch seine Fantasie walten lassen. Die Wiener Produktion ergänzt die Personenliste noch um eine Sprechrolle für Penelope.

Aufführungen: 22., 24., 27. und 29. Februar

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2012)

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