1. Startseite
  2. Kultur

„Für eine Pointe gehe ich sehr weit“: Interview mit Georg Nigl

KommentareDrucken

Georg Nigl
„Heute sind solche Macho-Eskapaden natürlich irrsinnig. Aber den Eisenstein deswegen entschärfen?“ Szene mit Bariton Georg Nigl in der neuen Staatsopern-„Fledermaus“. © Wilfried Hösl

Auf den Opernbühnen dieser Welt ist er der Mann fürs Abgründige. Für die Besonderlinge am Rande der Gesellschaft und des Wahnsinns. Dazu passt irgendwie der Eisenstein: Georg Nigl ist ab 23. Dezember in der neuen „Fledermaus“ an der Bayerischen Staatsoper zu erleben.

Wie sehr passt die „Fledermaus“ in ihre Entstehungszeit? Und wie sehr zu unserer Gegenwart?

Das Stück ist vor einer Weltwirtschaftskrise geschrieben worden. In Europa gab es damals das erste große Theatersterben. Und was machen’s, die Autoren? Sie schauen sich ihre Kassenbücher an und schreiben eine Komödie. Die wollten damit richtig Kohle machen – was ihnen auch gelungen ist. Da sind also keine Bedenkenträger am Werk wie heutzutage in deutschen Talkshows, in denen sich angebliche Experten über Krisen unterhalten und so tun, als hätten sie einfache Antworten auf hochkomplexe Fragen. Alles sicher sehr wichtig und notwendig. Aber in einer Zeit, in der es den Leuten nicht gut geht, ist nichts dagegen zu sagen, dass man drei Stunden wohin geht und sich unterhält. Ich finde daran nichts Verwerfliches.

Also ein Stück, das perfekt zur Weltflucht taugt?

Nein. Weil gut ist hier niemand. Des san olle Gfraster. Der Eisenstein ist schon auch ein böser Filou, aber er muss liebenswürdig bleiben. Ein Möchtegernheld, dem nix gelingt. Ein Aufschneider. Und man hofft, dass er davonkommt. In unserer heutigen Zeit, in der wir aufpassen müssen, dass alles richtig gesagt wird und politisch korrekt ist, sind solche Macho-Eskapaden natürlich irrsinnig. Aber den Eisenstein deswegen entschärfen...? Dann müssten wir einen Großteil aller Stücke wegschmeißen. Was wir übrigens nicht vergessen dürfen: Das Stück spielt im kleinbürgerlichen und nicht im Ringstraßen-Milieu. Im Original passiert alles in Baden bei Wien. Dort versucht man oft vergeblich, die große weite Welt zu kopieren.

Wie wienerisch oder österreichisch ist die „Fledermaus“ überhaupt?

Ganz allgemein sagt das Stück etwas über uns alle aus – wie jedes gute Stück. Auch bei Macbeth sitzen ja die Leute mit Beinfreiheit in der ersten Reihe und glauben, da würde nix über sie erzählt. Die Boshaftigkeit der „Fledermaus“ ist allerdings schon typisch Österreich. Nicht zuletzt heißt es ja, hinter dem dritten Wiener Bezirk beginnt der Balkan. Es gibt im Übrigen Codes, die in Österreich komplett anders sind als in anderen deutschsprachigen Ländern. Als ich einmal am Innsbrucker Flughafen gelandet bin, kam ich von der Gangway runter, da stand eine Stewardess und rief „Griaß eich!“.

Das zeugt ja doch vom direkten Interesse dem anderen gegenüber.

Nein, das zeugt von großem Desinteresse. Mir hat einmal jemand erklärt: „In Wien hast schnell einen Freund. In Hamburg dauert es sehr lang. Aber wenn du dort einen hast, dann ist er es wirklich.“ In Wien sind das Verhaberungen, einmal so, einmal so. Wenn du dich umdrehst, kann der plötzlich ganz anders über dich sprechen.

Die österreichische Freundlichkeit ist also falsch.

Teilweise ja. Man nimmt aber schon übel, wenn der Freund sich als ein vermeintlicher herausstellt. Und es ist immer wieder überraschend, dass man davon überrascht ist. Was mir noch zur „Fledermaus“ einfällt: Als sie geschrieben wurde, da war Österreich ein Riesenreich. Jeder hat versucht, über Wien sein Glück zu machen. Es gab auch Klassenkämpfe. Es ging immer darum: Wer ist schon da? Wer kommt dazu? Ein Aufstieg war möglich, wenn man Protegés findet. Und ob sich das verändert hat bis heute? Da bin ich mir nicht so sicher.

Heute hat Österreich andere Ausdehnungen. Leidet das Land also an einem Minderwertigkeitskomplex? Und klammert sich an k.u.k.-Reste wie das Neujahrskonzert?

Das würde ich schon sagen. Die Filme mit Romy Schneider, Hans Moser, Paula Wessely & Co., die Walzerseligkeit, die Hofreitschule, all das gehört dazu. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg war das sehr stark. Die wirkliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus begann in Österreich viel zu spät. Erst 1988 durch die Rede des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky, als er sich entschuldigte. Da merkten die Österreicher plötzlich: Wir waren ja gar nicht Hitlers erstes Opfer, wir waren Täter. Das muss man sich einmal vorstellen: Die haben in der Nazi-Zeit einen Johann Strauß mit seiner jüdischen Herkunft zum Arier gemacht! Das ist fast schon zum Lachen.

Woher kommt eigentlich dieser bizarre bis brutale Humor der Österreicher?

Als Kind habe ich immer „Mainz bleibt Mainz“ angeschaut, nix verstanden und bin eingeschlafen. Die Sendung fand ich extrem unwitzig. Bei Hans Moser blieb ich wach und hab’ lachen können. Es lässt sich also nicht vergleichen. Ich kann nur heute von mir als Bühnenmensch sagen: Für eine Pointe gehe ich sehr weit. Ich habe ja lange Zeit im Ausland gelebt und gearbeitet. Und aus dieser Perspektive wurde mir irgendwann sehr deutlich: Dieses eigentlich so kleine Land hat eine Fülle an Kultur und Wissen hervorgebracht. Es muss also sehr reich sein, in jeglicher Hinsicht. Es gibt daher eine gute Möglichkeit in diesem Land, nachdenken zu können. Auch dadurch bringt es extrem kritische Denker hervor wie Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek. Oder Kabarettisten wie Georg Kreisler, Karl Farkas und Helmut Qualtinger. Das ist eine Härte im Umgang mit sich selbst, die es heute fast gar nicht mehr gibt. Diese Härte ist auch notwendig. Wer sein Land so bespiegelt, gerät allerdings oft in große Schwierigkeiten. Bei euch in Deutschland wäre da Heinrich Heine zu nennen, der sein Land verließ und in Paris starb. Trotzdem: Wenn man sich unseren Output an Denkern anschaut im Vergleich zum an Einwohnern größeren Bayern, dann hat sich in Österreich schon mehr getan.

Sie sind der einzige Wiener in dieser Besetzung. Inwiefern braucht es authentische Sänger für die „Fledermaus“?

Ob der Eisenstein von einem Wiener gesungen wird, ist gar nicht so ausschlaggebend. Man braucht einfach einen versierten Singdarsteller. Jeder Eisenstein, der nur so tut als ob und auch noch unterstreicht, dass er lustig ist, der ist eine Fehlbesetzung. Und derer gibt es viele. Ich gehe nicht in eine Aufführung, um jemanden zu sehen, der sich eine gute Zeit macht. Er soll gefälligst mir als Publikum eine gute Zeit machen. Diesem Prinzip fühle ich mich verpflichtet, und ich hoffe, dass es mir gelingt.

Die bizarre Rache Eisensteins an seinem Freund, dazu die ebenso bizarre „b’soffene G’schicht“ um die Ibiza-Affäre und den FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache, aus der man ebenfalls eine Operette stricken könnte: Ist das alles typisch Österreich?

Strache auf der Finca in Mallorca, das ist purer Größenwahn. Diese Leute vergessen völlig, was es heißt, bodenständig zu sein. Das Lustige: Genau solche Leute behaupten immer zu wissen, was bodenständig und verwurzelt bedeutet – und sind doch mehr als abgehoben. Das Größenwahnsinnige dürfte schon irgendwie zu Österreich gehören. Mancher Österreicher hatte damit ja in Deutschland großen Erfolg...

Das Gespräch führte Markus Thiel.

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir erweitern den Kommentarbereich um viele neue Funktionen. Während des Umbaus ist der Kommentarbereich leider vorübergehend geschlossen. Aber keine Sorge: In Kürze geht es wieder los – mit mehr Komfort und spannenden Diskussionen. Sie können sich aber jetzt schon auf unserer Seite mit unserem Login-Service USER.ID kostenlos registrieren, um demnächst die neue Kommentarfunktion zu nutzen.

Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Danke für Ihr Verständnis!