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„Ich bin Pazifist“: Andrei Zhilikhovsky singt an der Bayerischen Staatsoper in „Krieg und Frieden“

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Andrei Zhilikhovsky
Andrei Zhilikhovsky als Andrej Bolkonski in Prokofjews „Krieg und Frieden“. © Wilfried Hösl

Es ist die heikelste Premiere seit Langem. Am 5. März bringt die Bayerische Staatsoper „Krieg und Frieden“ heraus. Sergei Prokofjew vertonte das Roman-Epos von Lew Tolstoi um die unglückliche Liebe zwischen Andrej und Natascha vor dem Hintergrund des napoleonischen Angriffs auf Russland. Ein Stück mit unüberhörbarem russischem Patriotismus. Andrei Zhilikhovsky, Bariton aus Moldau, singt die männliche Hauptrolle.

Krieg und Frieden
„Das Konzept wurde geändert“: Szene aus der Münchner Produktion (Regie und Bühne: Dmitri Tcherniakov). © Wilfried Hösl

Wenn Sie ein Jahr zurückdenken: Hätten Sie sich damals, zu Beginn des Kriegs gegen die Ukraine, vorstellen können, dass diese Produktion jemals herauskommt?

Das war eine wirklich schwierige Entscheidung. Aber es gab ein gemeinschaftliches Votum dafür. Das Konzept wurde geändert. Wir haben es hier doch mit beeindruckender Musik und einem wunderbaren Libretto zu tun – warum sollte man das Stück nicht aufführen? Natürlich leben wir in schlimmen Zeiten. Kann schon sein, dass es nicht die richtige Zeit für diese Oper ist.

Vielleicht gibt es die nie. Wir erleben so gut wie keine Zeit ohne Krieg.

Genau. Was es eben so schwierig macht: Kriege waren uns immer sehr fern, nehmen wir nur den in Afghanistan. Und nun fühlen wir uns fast direkt betroffen. So simpel, wie manche glauben, ist die Entscheidung für oder gegen das Stück nicht. Es gibt zwei Seiten einer Medaille. In Europa herrscht Krieg, das ist jedem klar. Aber in diesem Stück geht es auch um Frieden. Und um zu verstehen, was Frieden bedeutet, ist es notwendig, den Krieg in all seiner Brutalität und Schrecklichkeit zu zeigen.

Sind dann angesichts des aktuellen Hintergrunds überhaupt normale Proben möglich? Kann man sich freimachen von der Nachrichtenlage?

Ja, wir haben eine wunderbare Probenzeit. Menschen aus vielen Kulturen und Nationen sind hier zusammengekommen. Ich bin aus Moldau, die Natascha-Sängerin Olga Kulchynska kommt aus der Ukraine, unser Pierre-Sänger Arsen Soghomonyan aus Armenien, Marja-Sängerin Violeta Urmana aus Litauen, Sergei Leiferkus als Fürst Bolkonski aus Russland und so weiter. Schauen Sie: Ich habe 14 Jahre lang in Russland gelebt. Es ist mein zweites Heimatland. Der politische Druck konzentriert sich zwar auf Russland, nicht auf Moldau. Und trotzdem fühle ich mich manchmal, als ob er auch mich trifft. Ich habe am Moskauer Bolschoi-Theater gesungen und vorher in St. Petersburg studiert. Krieg ist immer ein Desaster, nun ist man plötzlich Teil einer furchtbaren Geschichte.

Haben Sie Angst um Ihre Heimat Moldau?

Ja. Weil es eine große Unklarheit gibt, was als Nächstes, nach dem Krieg gegen die Ukraine passiert. Es ist das Schicksal von kleinen Ländern, dass sie fast automatisch bedroht sind. Ich lebe wieder seit vier Jahren dort. Meine Familie ist auch noch in Moldau.

Sie haben dort erst Violine studiert, dann Chorleitung, Dirigieren, auch Singen – war Letzteres eher Zufall?

Ich bin aus einem kleinen Dorf. Dort gab es keine Musikschule. Deshalb bin ich an einen anderen kleinen Ort, wo ich Violine studieren konnte. Ich mag dieses Instrument, aber es war nicht unbedingt mein Traum. Man konnte bei uns Dirigieren ohne große Zugangsberechtigung oder Prüfung studieren, also habe ich das auch ausprobiert. Ich hatte eine tolle Zeit und verstehe jetzt viel mehr von musikalischen Hintergründen, wenn ich auf der Bühne bin. Ich wurde letztlich Sänger, weil ich es als etwas Mystisches empfinde. Es lag irgendwie in meinem Herzen, ich habe das gespürt.

Sie haben einmal gesagt, Ihre Kindheit sei kein richtiges Leben gewesen. Klingt sehr negativ.

Es war kein einfaches Leben. Die Schule lag weit weg von unserem Zuhause. Es gab keine Elektrizität und kein fließendes Wasser. Das war in Moldau nicht unüblich. Trotzdem denke ich zurück an eine wunderbare Kindheit. Außerdem: Welche Wahl hat man denn als Kind? Also arrangiert man sich auf natürliche Weise mit der Situation. Und jetzt als Opernsänger ist es gar nicht schlecht, wenn man weiß, dass es auch solche Lebenssituationen wie damals gibt. Man kann davon etwas mit auf die Bühne nehmen, weil dadurch die Rollengestaltung interessanter, authentischer wird.

Können Sie sich leicht mit Andrej identifizieren?

Der originale Andrej aus dem Tolstoi-Roman ist ein wenig anders als der in Prokofjews Oper. In unserer Produktion ist er nochmals ein ganz anderer. Es handelt sich zwar um dieselbe Musik und dieselben Gefühle, aber die Ausgangssituation wird hier eine sehr unterschiedliche sein. Insofern weiß ich gar nicht genau, mit welchem dieser drei Andrejs ich mich identifizieren soll oder nicht. Was ich sagen kann: Er liegt mir wunderbar in der Stimme, genau an der richtigen Stelle.

Ist es eine historische Figur oder eine überzeitliche?

In unserer Produktion ist er eine aus der Gegenwart. Alles, was wir zeigen, passiert gerade jetzt. Andrej ist ein ganz normaler Mann wie ich, keine historische Figur. Es geht um Leben und Hass, um Krieg und Frieden, das sind nicht Dinge, die nur vor 200 Jahren passiert sind. Andrej ist irgendwann bereit zu sterben, weil er alles verloren hat, nicht nur Natascha. Er ist total leer. Und kann als Soldat nicht einmal mehr um sein eigenes Leben kämpfen. Andrej und Natascha sterben wie Romeo und Julia.

Mussten Sie eigentlich Soldat in Moldau sein?

Bei uns gib es einen Freiwilligendienst. Ich war nicht Soldat. Ich bin Pazifist.

Es wird einem zurzeit übel genommen, wenn man sich zum Pazifismus bekennt.

Ich weiß. Jeder muss für sich entscheiden, welches Leben er leben möchte. Ich hoffe, dass dieser Krieg bald endet. Das vielleicht größere Problem ist: Was wird danach sein? Weiter nur Hass? Ich bin Christ. Mein Gott ist keiner des Hasses, sondern der Vergebung. Es ist normal, zum Beispiel einem Kind zu vergeben. Um wie viel wunderbarer ist es doch, auch seinem Feind zu vergeben. Ich versuche, das zu leben. Man kann ohnehin nur bei sich selbst anfangen und sein eigenes Herz befragen.

Also ist es auch nicht notwendig, ständig über persönliche Gesinnungen zu sprechen und zu richten?

Wenn man in einem Ensemble wie am Bolschoi-Theater ist, dann ist es gefährlich, über den Krieg zu sprechen. Wie überhaupt in Russland. Das kann Auswirkungen auf einen selbst und auf die Familie haben. Und in Europa oder den USA gilt man als Russe schnell als politisch fragwürdig. Meine Haltung ist ganz klar: Gott sagt, man darf nicht töten. Und er herrscht über Moldau, über die Ukraine, über Russland und über Deutschland.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

Premiere am 5. März, 17 Uhr, Übertragung auch auf staatsoper.tv.

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