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Christian Thielemann über seine letzten Osterfestspiele: „Ich bin adoptierter Salzburger“

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Christian Thielemann
Mit Richard Wagner, nämlich mit „Parsifal“, hat Christian Thielemann 2013 bei den Osterfestspielen begonnen, mit diesem Komponisten endet dort auch seine Ära. Am 9. April ist in Salzburg „Lohengrin“-Premiere. © Barbara Gindl/afp

Ein letztes Mal ist er Mittelpunktsfigur der Salzburger Osterfestspiele. Und auch wenn er gehen muss, gibt er sich vergnügt: eine Begegnung mit Christian Thielemann.

Die Heilsfigur ist enteilt, das Volk entsetzt. Ein großes, lautes „Weh!“ entfährt es allen, am Ende ist nur noch Frust und Wahn. Das passende Finale für den eigenen Abschied? „Neee. Außerdem endet der ,Lohengrin‘ danach doch im versöhnlichen, lichten A-Dur.“ Christian Thielemann gibt sich ganz vergnügt, und wahrscheinlich ist er es auch wirklich. Nur noch wenige Tage bis zur Wagner-Premiere bei den Salzburger Osterfestspielen, es ist dort zugleich seine letzte. Und tatsächlich scheint alles wenn nicht vergessen, so doch überwunden: die Wut, als sein Vertrag nicht verlängert wurde, der Divo-Zoff mit dem neuen Intendanten Nikolaus Bachler. Und der Streit darum, welche Oper gespielt werden soll.

„Ist doch auch schön zu gehen, wenn man positiv in Erinnerung bleibt“, sagt Thielemann. Es gibt Frankfurter mit Kren und Senf. Nachmittagspause in der Zirbelstube im Hotel Sacher. In den letzten März-Tagen ist der Potsdamer mit seiner Staatskapelle Dresden an die Salzach gereist. Vielleicht ja doch nicht zum letzten Mal: „Man sieht sich im Leben nicht nur zwei-, sondern drei- und viermal.“

Osterfestspiele Salzburg: Der Neue krempelt alles um

Bekanntlich muss Thielemann, der gerade in Salzburg 63. Geburtstag gefeiert hat, gegen seinen Willen gehen. Bachler, der neue starke Oster-Mann, krempelt das weltweit exklusivste Festival um. Kein Residenzorchester mehr, kein fester Dirigent. 2023 kommt das Gewandhausorchester Leipzig mit Andris Nelsons für Wagners „Tannhäuser“, für danach hört man von einer „Madame Butterfly“ mit dem römischen Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Antonio Pappano.

Italienisches hat auch Thielemann dem Oster-Publikum seit seinem Amtsantritt 2013 serviert. Gut, da war viermal Wagner, beginnend mit dem „Parsifal“, aber eben auch Puccinis „Tosca“ oder Verdis „Otello“. Und ohne Corona hätte es Verdis „Don Carlo“ gegeben. „Mir wurde gesagt, die Leute wollen hier Italiener hören“, sagt Thielemann. Dass die Osterfestspiele ohnehin nur ein Dutzend Opern vertragen, weil sonst das zahlungskräftige Publikum wegbleibt, weiß er. Und findet es, als Schlagerstar des Orchestergrabens, nicht einmal schlimm. Obwohl: Pfitzners „Palestrina“ hätte er schon gern gemacht. Der frühere Intendant Peter Ruzicka hat ihm das ausgeredet.

Überhaupt Ruzicka: „Ich habe in meinem Leben mit kaum jemandem so gut zusammengearbeitet wie mit ihm.“ Einer seiner engeren Freunde sei Ruzicka, der von 2015 bis 2020 als künstlerischer Leiter der Osterfestspiele amtierte. „Ein ungeheuer erfahrener, diplomatischer, gutartiger Mensch.“ Die Frage, wer welchen Hut aufhat, habe sich nie gestellt. Wer will, kann das auch als Spitze gegen dessen Nachfolger Bachler nehmen. Und wenn man all die Intendanten und Manager nimmt, die mit Thielemann irgendwann über Kreuz waren, dann gibt es eigentlich nur drei Menschen, mit denen durchwegs friedliche, fruchtbare Koexistenz möglich war: mit Ruzicka, mit Ulrike Hessler, der 2012 verstorbenen Intendantin der Dresdner Semperoper, und mit der Bayreuther Übervaterfigur Wolfgang Wagner.

Thielemann tröstet sich mit Auslandseinsätzen

Bekanntlich ist Thielemann demnächst alle Chefposten los. In wenigen Tagen den der Osterfestspiele, 2024 den bei der Staatskapelle Dresden, in Bayreuth lief der Vertrag als Musikdirektor folgenlos aus – auch wenn er dort weiter dirigiert. Den Umbruch hat er verwunden. Der Terminkalender ist voll, unter anderem tröstet er sich 2024 mit Wagners „Ring“ an der Mailänder Scala. Außerdem ist wieder Zeit für Abstecher nach Nordamerika, bereits im kommenden Herbst fliegt er zum Chicago Symphony Orchestra – „nach 20 Jahren!“

Zwei, drei Jahre, das lässt Thielemann durchblicken, hätte er noch gern bei den Osterfestspielen gewirkt. Die Zeit an der Salzach inklusive Ausflüge in die Umgebung genießt er. Ein „adoptierter Salzburger“ sei er schließlich. Und auch wenn es mit dem Frühlingsspektakel nun vorbei ist: „Ich bin ja im Sommer regelmäßig da.“ Auch diesen wieder, bei den Wiener Philharmonikern.

Trotzdem muss da noch ein Stachel sein. Wer hört, wie Thielemann vom Vorbild Herbert von Karajan schwärmt, dem wird klar: Chef bei den Osterfestspielen, bei dem 1967 von Karajan gegründeten Privatfestival, das muss eine besondere Genugtuung sein. Zum 50. Geburtstag des Spektakels hat Thielemann sogar die Kulissen des Gründungsstücks entstauben und nachbauen lassen. Es gab noch einmal Wagners „Walküre“ als ultimative Karajan-Beschwörung. Und dass Thielemann 2013 dort mit dem „Parsifal“ startete, hat auch eine besondere Bewandtnis: Einst saß er als Assistent am Klavier, als der heilige Herbert das Opus einstudierte.

„Lohengrin“-Premiere ohne Schwan

Schon damals hat Thielemann die akustischen Tücken des Großen Festspielhauses kennengelernt. Welches Pianissimo dort möglich ist, so erzählt er mit leuchtenden Augen, habe ihm Karajan vorgeführt. Aber ob die Osterfestspiele ein weiteres halbes Jahrhundert halten? Thielemann ist sich da nicht so sicher. Vor allem die finanzkräftigen Karten-Käufer und Sponsoren würden weniger. „Diese Art von Publikum sehe ich am diminuieren“, formuliert er es. Seine Grundrezeptur fürs Festival: Star-Solisten und ebensolche Dirigenten.

Die Regie erwähnt Thielemann nicht. Damit hat er sogar recht. Für eine aufregende neue Lesart eines Stücks lässt sich kaum ein Gala-Gast erwärmen. Trotzdem ist heuer für den „Lohengrin“ Jossi Wieler mit Dauer-Regiepartner Sergio Morabito engagiert worden. Ein Duo, das bekannt ist für seine aufregenden, unaufgeregten, tief lotenden Röntgenabende. Der „Lohengrin“ wird koproduziert mit der Wiener Staatsoper, Thielemann wird auch dort dirigieren. An Wieler gefalle ihm vor allem die Personenführung. Außerdem gebe es keinen Krach – und auf der Bühne keinen Schwan. „Nicht mal eine Ente.“

Informationen:
Die Osterfestspiele beginnen am 9. April mit der „Lohengrin“-Premiere und dauern bis 18. April; osterfestspiele-salzburg.at.

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