"Die Hexe hat etwas Elegantes und ein gewisses Flair"

Dirigent Christian Thielemann
Dirigent Christian ThielemannAPA/BARBARA GINDL
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Christian Thielemann dirigiert ab 19. November Humperdincks „Hänsel und Gretel“ in der Staatsoper. Im Vorfeld sprach er über Märchen, die Pegida-Demos vor der Dresdner Semperoper und die Bayreuther Festspiele.

Märchen haben in Christian Thielemanns Kindheit eine große Rolle gespielt: „Man gruselt sich, liegt in seinem Bettchen und ist froh. Märchenbücher waren früher, was heute die Katastrophenfilme sind“, erinnerte sich der große Thielemann Donnerstagnachmittag vor Journalisten in der Wiener Staatsoper an den kleinen Thielemann. Anlass war die Premiere von Humperdincks „Hänsel und Gretel“, eine Oper, die große Dirigenten wie Richard Strauss, Herbert von Karajan oder Sir Georg Solti schätzten. „Es ist ein schweres Stück Arbeit“, zitiert Thielemann Richard Strauss, der 1893 die Uraufführung in Weimar dirigierte.

Eine Frau, kein Mann („Humperdinck hat das gehasst“) singt die Hexe, besetzt mit Wagner-Heroine Michaela Schuster, die 2013 bei den Salzburger Osterfestspielen als Kundry im „Parsifal“, ebenfalls unter Thielemann, beeindruckte. „Die Hexe kann nicht so scheußlich sein, da ja alle Kinder auf sie hereinfallen“, ist Thielemann überzeugt: „Sie hat etwas Elegantes, ein gewisses Flair.“ Die Kinder ermorden eine alte Frau, das werde gern vergessen, sie handeln in Notwehr, betrachtet man die ganze Geschichte näher, habe sie etwas „Surreales“.

Noch spannender als „Hänsel und Gretel“ findet Thielemann die ebenfalls von Humperdinck vertonten „Königskinder“. Dass fast immer nur „Hänsel und Gretel“ von dem auf Wagners Spur wandelnden Humperdinck aufgeführt wird, hängt vor allem mit der Bekanntheit der Geschichte und eben mit der Knusperhexe zusammen: „Königskinder“, auch hier gibt es übrigens eine Hexe, sei viel komplexer. Aber auch die Musik zu „Hänsel und Gretel“ habe ihre Schwierigkeiten, „technisch und in der Flexibilität des Tempos“. Obwohl die Knusperhexe so berühmt sei, sei sie in Wahrheit nur 25 Minuten auf der Bühne. „Unschlagbar“, meint Thielemann, seien die Volkslieder und der „Abendsegen“.

"Zum Glück gibt es keine Philharmoniker-Hotline"

"Unfassbar" sei dafür, kommt Thielemann auf die immer weiter um sich greifenden Einsparungen im Kulturbereich zu sprechen, dass am Nationaltheater in Weimar die Musiksparte gestrichen werden soll: Ein solcher Schritt an diesem historischen Ort: „Das sind so Einsparungen wie bei der Hotline von der Telekom. Hot ist da nichts. Man hängt ewig in der Leitung. Zum Glück gibt es keine Hotline bei den Wiener Philharmonikern. Wenn ich sage, leiser, spielen sie leiser, und zwar gleich.“

Und welches Orchester zieht er nun vor, seine Dresdner Staatskapelle oder die Wiener Philharmoniker? Die Dresdner seien protestantischer, die Wiener „haben etwas vom Biedermeier und einen Hang zur Exaltiertheit“. Alles in allem: „Ich probiere in Dresden wie ich in Wien probiere. Ich muss mich nicht verstellen.“ Und dann ist da ja noch Bayreuth, wo er bis 2020 Musikdirektor ist. Der Dirigent sieht sich quasi in der Nachfolge des langjährigen Bayreuther Festspielleiters Wolfgang Wagner (1919-2010), als „Maitre de plaisir“ und „Grüßaugust“, aber auch als „Teil der Direktion“. Mit Katharina Wagner, Wolfgang Wagners Tochter, verstehe er sich „blendend“, bei Vorsingen bzw. Sänger-Besetzungen sei man sich meist nach wenigen Minuten einig. Im Orchester gebe es eine geringe Fluktuation, 30 Musiker kommen aus der Staatskapelle Dresden, deren Chefdirigent Thielemann seit 2012 ist. „Bayreuth ist eine schöne Aufgabe und liegt mir nahe.“ Die jährlich auftretenen Bayreuth-Skandale kann Thielemann nicht nachvollziehen, Sänger-Umbesetzungen seien „etwas Normales“, nicht nur in Bayreuth.

"Möchte in diesen Zeiten kein Politiker sein"

In Salzburg könne er im Sommer zwar das eine oder andere Konzert übernehmen, aber gebunden sei er in Bayreuth. Bei den Osterfestspielen hingegen ist Thielemann künstlerischer Leiter. Dass er sich mit dem Musikmanager Peter Alward, der heuer seinen Vertrag als geschäftsführender Intendant beendete, weniger gut versteht als mit Alwards Nachfolger Peter Ruzicka, Komponist und ehemaliger Intendant der Salzburger Sommerfestspiele, lässt Thielemann durchblicken: „Ruzicka habe ich sehr gern!“

Weniger gern hat der Dirigent, obwohl er ausdrücklich nicht gegen das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Rede ist, die Pegida-Demonstrationen vor der Dresdner Semperoper. Sie nerven ihn, wegen der unguten Schlagzeilen. Die Politiker wären allerdings gut beraten, in diese protestierende Menge, die keineswegs nur aus Pegida-Anhängern bestehe, hineinzuhören und mit jenen zu sprechen, die wegen „Sickergruben in Kleinschachwitz und Ärger mit dem Landrat“ dort sind: „Wenn mir ein Pianist sagt, ich spiele das jetzt langsamer, kann ich mir aussuchen: sage ich, ich mache es nicht mit ihm, oder höre ich mir an, warum er es so macht wie er es macht.“ Es sei kein Nachteil, wenn „die Politiker dem Volk aufs Maul schauen“. Er selber äußere sich selten und ungern zu politischen Fragen: „Ich möchte in diesen Zeiten kein Politiker sein.“

In der Oper gebe es keine Ausländerfeindlichkeit, „die Menschen äußern sich über ihre Arbeit, wo sie herkommen, spielt keine Rolle. Mit Ausländerfeindlichkeit kann man keinen Spielbetrieb machen.“

Matineen

Matineen zur "Hänsel und Gretel"-Premiere. Am Sonntag, den 15. November stellen Dirigent Christian Thielemann, Psychiater Paulus Hochgatterer, Regisseur Adrian Noble und Mitwirkende (Janina Baechle und Adrian Eröd) um 11 Uhr in der Staatsoper das Werk vor. In der von Clemens Hellsberg konzipierten Reihe "Kontrapunkte" spricht der ehemalige Philharmoniker-Vorstand am 21. 11. um 11 Uhr im Mahler-Saal mit Thielemann und dem ehemaligen Profil-Chefredakteur Herbert Lackner. Thema: Musik und Politik: Die Last der Geschichte.

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