Der Wiener Dirigent Stefan Gottfried.

Foto: Robert Newald

Wien - Er ist ein überaus vielseitiger Praktiker. Und er ist bescheiden. Dass er da in der Kammeroper, der inspirierenden Studiobühne des Theaters an der Wien, überhaupt zum ersten Mal am Dirigentenpult steht, hängt er nicht an die große Glocke. Lieber erzählt er von der Faszination jenes Stückes, das seit mehr als zwei Jahrhunderten nicht mehr gespielt wurde: Florian Leopold Gassmanns komische Oper Gli uccellatori ("Die Vogelfänger") wurde dafür in der Nationalbibliothek aus dem Magazin geholt und von einem musikwissenschaftlichen Team eigens ediert.

"Das Stück hat eigentlich keine Interpretationsgeschichte", erzählt Stefan Gottfried. "Wir wissen aber, dass es 1759 zum Beispiel mit den damals neuen Crescendo-Effekten Furore gemacht hat. Die Leute haben vergessen zu atmen, so aufregend war das." Der gebürtige Wiener, der nach und neben einer breit angelegten Ausbildung an der Wiener Musikuniversität auch an der Schola Cantorum Basiliensis studierte, ist in der Musikszene bis dato vor allem als Continuo-Spieler in Ensembles mit historischen Instrumenten, zuweilen aber auch bei modernen Orchestern, bekannt. Für Alte Musik hatte er schon immer ein Faible.

Als Gymnasiast entdeckte er Nikolaus Harnoncourt, besuchte die Proben des Dirigenten, interessierte sich für das Cembalo und andere alte Tasteninstrumente, was ihn freilich nicht daran hinderte, auch ein Diplom auf dem modernen Flügel zu erwerben. Schließlich gehen seine Interessen bis zum Repertoire des 19. Jahrhunderts und darüber hinaus, bis zum Jazz. Als Fundament seines Tuns sieht Gottfried bis heute sein Schulmusik-Studium an der Musikuniversität: "Da war von Stimmbildung bis Dirigieren alles dabei, was man als Musiker braucht. Das empfinde ich als mein Kapital, das ich seither weiterentwickeln durfte." Auch das ist bescheiden ausgedrückt.

Vor allem war es Harnoncourts Concentus Musicus Wien, in dem der Klavierspieler (im historischen Sinn, der zwischen Cembalo und Hammerklavier souverän zu wechseln vermag) bald zum regulären Continuo-Spieler wurde. Daraus entwickelte sich eine umfassende Mitwirkung bei Harnoncourts Produktionen: Mehrfach übernahm Gottfried die Studienleitung, die Betreuung der Proben und dirigierte auch als Assistent. Beim Salzburger Figaro 2006 mit Anna Netrebko beispielsweise war er in dieser Rolle dabei. Der Schritt hin zu einer eigenen Produktion war vielleicht für sein Umfeld rascher naheliegend als für Gottfried selbst, dessen Fähigkeiten die Verantwortlichen im Theater an der Wien schon vor Jahren entdeckten.

An die Grenzen des Virtuosen

Nun kam es also zur Aufführungsreihe in der Kammeroper. Der Musiker ist fasziniert vom zeitlichen Umfeld von Gassmanns Oper: "Die Musik zwischen Händel und Mozart liegt ja immer noch im Dunkeln. Dabei gibt es hier eine hochinteressante Entwicklung zu beobachten, die von vielen Quellen zur Aufführungspraxis bereichert wird."

Die sind auch höchst notwendig. Denn die Noten bleiben, wie Gottfried eindrücklich schildert, in einem hohen Ausmaß interpretationsbedürftig: "Die Notation ist skizzenhaft und rudimentär. Die Musik scheint über weite Strecken ziemlich einfach gestrickt - ,eins glatt, eins verkehrt' - und ist von sehr gleichförmigen Mustern geprägt. Artikulation, Dynamik und Klanggestaltung sind hier sehr wichtig, um den Text und die Affekte genau herausarbeiten zu können." Es spricht für den Neo-Dirigenten, dass er sich bei aller Prägung nicht nur an seinen Erfahrungen mit Harnoncourt orientiert, sondern seinerseits die Quellen genauestens studiert, um zu seinen eigenen Interpretationen zu kommen: "Die Musik braucht viele kleine Tempofreiheiten, die damals schon sehr verbreitet waren und jeweils im engen Zusammenhang mit den Affekten stehen. Wir wollen auch jeden Abend an die Grenzen des Virtuosen gehen und möglichst spontan musizieren. Das ergibt ein echtes Uraufführungsfeeling!" (Daniel Ender, DER STANDARD, 3.4.2015)