Rinaldo-Premiere: „Händel war ein Theaterviech!“

Rubén Dubrovsky
Rubén Dubrovsky (c) Werner Kmetitsch
  • Drucken

Rubén Dubrovsky dirigiert Händels frühes Meisterwerk „Rinaldo“: Premiere ist morgen, Donnerstag, in der Wiener Kammeroper.

Rinaldo‘ ist genial“, schwärmt Rubén Dubrovsky von der ersten für London komponierten Oper des 26-jährigen Georg Friedrich Händel: „Alle frühen Highlights, von denen er noch viele Jahrzehnte gezehrt hat, sind darin enthalten. Ein unglaublich reifes Werk eines so jungen Kerls, mit wunderschönen langsamen Arien und auch fetzigen Nummern.“

Mit dem Bach Consort Wien und dem Jungen Ensemble des Theaters an der Wien bringt der in Buenos Aires geborene Dirigent die Oper rund um einen Kreuzritter in Kriegs- und Liebesnöten an der Wiener Kammeroper heraus. „Die Guten sind ein bisschen naiv und die Bösen schlau, das macht die Geschichte würziger“, findet Dubrovsky. Aber dann weichen sich die Fronten zwischen Christen und Sarazenen auf: „Die Liebesfähigkeit der Feinde wird zu ihrem Schwachpunkt.“ Er bricht auch eine Lanze für das Regiekonzept von Christiane Lutz: „Sie zieht Parallelen zwischen Händel und einem großen Künstler des 20. Jahrhunderts, dessen Namen ich noch nicht verraten will. Es wird jedenfalls humorvoll und sehr spannend!“

Der kreative Umgang mit dem Werk spiegelt sich auch im praktischen Zugang des Dirigenten. „Händel hat ,Rinaldo‘ zweimal herausgebracht. In der Umarbeitung werden einige Rollen transponiert, adaptiert, sogar zusammengefasst. Ich habe mir die Freiheit genommen, aus den beiden Fassungen das zu nehmen, was für uns am besten passt. Das heißt, Goffredo und Mago singen die zweite Fassung und werden deshalb von Countertenören zu Tenören, die übrigen singen die erste Fassung. Dadurch gewinnen wir den Reiz verschiedener Klangfarben – wunderbar, wie das mit dem Jungen Ensemble klingt!“ Den Vergleich der Versionen findet er ungemein lehrreich: „Händel war sehr schlau, ein Theaterviech! Beim Kürzen von Rezitativen zum Beispiel ist er viel mutiger, als man heute denken würde. Im Rezitativ vor ,Lascia, ch'io pianga‘ nimmt er eine Phrase, streicht zehn Takte, nimmt wieder eine Phrase, streicht 15 Takte und so weiter. Das Meisterwerk wird dadurch aber nicht zerstückelt, sondern mündet perfekt in diese vielleicht berühmteste Arie der Oper. Die Stelle verschafft mir immer wieder Gänsehaut, sogar jetzt, wenn ich nur darüber rede. Man muss da nicht einmal den Einsatz geben, die Musik fällt einem wie reifes Obst von alleine in den Schoß. Ich habe schon viele Händel-Opern dirigiert, aber bei jeder verneige ich mich noch tiefer vor ihm.“

Für das Kind einer polnisch-italienischen Künstlerfamilie war die Barockmusik zunächst gar nicht so sehr im Fokus. „Meine Mutter war Pianistin, ich bin sozusagen mit Brahms aufgewachsen und habe Cello studiert, daneben hat mich vor allem südamerikanische Volksmusik interessiert.“ Doch dann entdeckte er, wie die in Europa überlieferte Barockmusik bis heute in Südamerika weiterlebt, die spannendste Quelle für historische Interpretation dort also noch sprudelt.

„Sarabanda“ kommt aus Afrika

„Dass die Landbevölkerung in Südamerika so konservativ ist, entpuppt sich als großer Vorteil: Nicht nur die Häuser, auch die Gitarren werden noch so gebaut wie im 17.Jahrhundert – und so gespielt. Die eurozentrische Erzählung von Musik-, Kultur-, von Weltgeschichte blendet ja wichtige Aspekte aus. Das Wort Sarabanda taucht zum ersten Mal nicht etwa in Europa auf, sondern in Mexiko – und stammt ursprünglich aus Afrika.“ Das Gemisch aus der Musik afrikanischer Sklaven, der indigenen Völker und der spanischen Eroberer kam nach Europa zurück – „und landete bei Bach und Händel. „Die Sarabande ,Lascia, ch'io pianga‘ hat also in Mexiko einen afrikanischen Urgroßvater!“

Im 1999 von ihm mitbegründeten Bach Consort Wien leitete Rubén Dubrovsky die Aufführungen zunächst vom Cello aus: „Wir sind mit Bachs Musik in kammermusikalischem Verständnis erwachsen geworden, haben mit Emma Kirkby, Bernarda Fink im Musikverein musiziert.“ Als echter Dirigent wollte er aber zunächst anderswo Erfahrung sammeln: Bonn, Valencia, Dresden waren wichtige Stationen, bevor er schließlich in der neuen Rolle zu den alten Freunden zurückgekehrt ist. Das alte kameradschaftliche Verständnis ist aber geblieben: „Ich glaube an Kammermusik. Das Orchester ist nicht ein großes Klavier, auf dem ich spiele, sondern ein Geflecht, bei dem ich helfen soll, die inneren Verbindungen zutage treten zu lassen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.