Mensch in Schwanengestalt auf einem See von Mädchenhänden: Richard Wagners "Lohengrin" in einer Neuinszenierung.

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Mikko Franck ist ein Basisdemokrat.

Foto: Heikki Tuuli

STANDARD: Maestro Franck, Sie haben nach dem Aussteigen von Bertrand de Billy aus der "Lohengrin"-Produktion an der Wiener Staatsoper sehr kurzfristig das Dirigat von Wagners Oper übernommen. Streitpunkt war, ob eine Passage gestrichen werden soll oder nicht. Was ist Ihre Meinung zu dieser Angelegenheit?

Mikko Franck: Dabei handelt es sich um einen sehr üblichen Strich, der bei 99 Prozent der Aufführungen gemacht wird. Das ist überhaupt kein Thema für mich.

STANDARD: Wagner selbst hat im März 1876, als er "Lohengrin" in Wien dirigierte, die fragliche Stelle ausgelassen. Können Sie dennoch verstehen, wenn jemand sie hören will?

Franck: Ich bin zu einem Zeitpunkt in die Produktion eingestiegen, als diese Sache schon gelaufen war. Daher möchte ich das nicht kommentieren. Es gibt bei der Oper immer eine Kombination verschiedenster Beteiligter: Bühne, Regie, Sänger, Chor, Orchester. Da muss man immer Kompromisse finden, um alle Bedürfnisse unter einen Hut zu bekommen. Nur wenn sich alle Teile voll entfalten können, wird die Oper zur großen Kunst. Aber gleichzeitig ist es notwendig, dass alle aufeinander zugehen - und freundlich, respektvoll miteinander umgehen.

STANDARD: Wie waren diesbezüglich Ihre Erfahrungen als Leiter der Finnischen Nationaloper?

Franck: In diesen sieben Jahren hat mein ganzer Job daraus bestanden, Lösungen und Kompromisse zu finden. Kompromisse werden ja oft als etwas Negatives gesehen. Für mich sind sie aber etwas Positives. Wenn man mehrere Meinungen berücksichtigt, ist das Ergebnis meistens besser.

STANDARD: Muss nicht jemand das letzte Wort haben?

Franck: Natürlich hat jeder in einem Opernbetrieb eine bestimmte Rolle, aber das Denken in Autoritäten ist etwas sehr Seltsames für mich. Es sollte daher überhaupt nicht um die Frage gehen, wer das letzte Wort hat. Wenn diese Frage gestellt wird, läuft schon etwas falsch. Viel mehr geht es darum, dass alle zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen, dass man gemeinsam Entscheidungen findet. Konflikte gibt es auch in der glücklichsten Ehe. Die Frage ist, ob man sich scheiden lässt oder ob man versucht, es gemeinsam besser zu machen.

STANDARD: Ein häufiges Konfliktthema rund um die Oper ist die Regie. Sind Sie diesbezüglich ebenfalls harmoniebedürftig?

Franck: Da bin ich eher altmodisch. Manchmal wundere ich mich, wenn es auf der Bühne so extrem zugeht. Manchmal gibt es dafür gute Gründe, und dann kann ich es verstehen. Aber wenn sich die Szene gegen die Musik richtet, frage ich mich immer, warum dann überhaupt Oper gemacht wird.

STANDARD: Wenn Sie an Ihre eigene Tätigkeit denken: Gab es da je Konflikte zwischen Ihrer Arbeit als Opern- und als Konzertdirigent?

Franck: Nein, überhaupt nicht. Ich hatte das Glück, von Anfang an beides machen zu können. Von Opern konnte ich viel über dramaturgische Aspekte lernen, die ich auch bei Symphonien brauche, und umgekehrt versuche ich symphonische Elemente auch in die Oper zu bringen. Für mich begleitet das Orchester hier nicht einfach nur die Sänger. Generell versuche ich, mein Repertoire möglichst vielfältig zu gestalten, um frisch zu bleiben.

STANDARD: Nach der Wiener Produktion werden Sie eine Reihe von Konzerten mit Symphonien von Einojuhani Rautavaara geben. Warum ist die zeitgenössische Musik in Finnland ein so selbstverständlicher Teil des Kulturlebens?

Franck: Wir sind ein sehr junges Land mit einer jungen Kultur. Wir haben natürlich eine Figur wie Jean Sibelius, aber ansonsten keine angsteinflößende Tradition. Das Publikum ist sehr enthusiastisch und betrachtet die Musik als natürlichen Teil ihres Lebens.

STANDARD: Es gibt ja in Finnland auch eine ungemein hohe Dichte an Musikerziehung und Veranstaltungen. Ein Luxus?

Franck: Ehrlich gesagt, mache ich mir ein bisschen Sorgen über die jüngsten Entwicklungen. Der Musikunterricht wird immer weniger. Man muss fürchten, dass die großartigen Dinge, die entstanden sind, wieder zerstört werden. Natürlich geht es ums Geld, und es trifft immer die Kunst, weil sie nichts hervorbringt, was sich in Zahlen ausdrücken lässt. Noch hat jede kleine Stadt ein eigenes Symphonieorchester. In Finnland mit seinen 5 Millionen Einwohnern gibt es davon 30. So kann wirklich jeder Musik hören. Aber auch das wird in Frage gestellt. Ich hoffe, dass die Politik zur Vernunft kommt. (Daniel Ender, DER STANDARD, 11.4.2014)