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STUTTGART/ Staatsoper: DAS RHEINGOLD von Richard Wagner am 7. Mai 2024

08.05.2024 | Oper international

„Das Rheingold“ von Richard Wagner am 7. Mai 2024 in der Staatsoper/STUTTGART

Im gespenstischem Nachtzirkus

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Foto: Martin Sigmund

 Stephan Kimmig verlegt die Handlung von Wagners „Rheingold“ in einen unheimlichen Nachtzirkus. Das merkt man schon gleich zu Beginn, wenn die Rheintöchter so ganz ohne Wasser Alberich verführen und auf die Schippe nehmen. Der raubt das Rheingold dann kurzerhand in einem Schubkarren. Die Götterwelt um Wotan und seine geifernde Frau Fricka erscheint dann ganz und gar entmystifiziert. Die Betrachtungen zur menschlichen Einrichtung der Welt und die damit verbundenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten stehen grell im Mittelpunkt des Geschehens. Wagner verarbeitete hier sehr wohl seine Erfahrungen mit der industriellen Revolution. Die Götter fahren mit Elektro-Autos durch den Raum. Die weiträumige Bühne von Katja Haß und die Kostüme von Anja Rabes beleuchten hier sehr stark unsere realistische Gegenwart. Auch die Fahrt der Götter nach  Nibelheim wirkt hier weniger mystisch, aber gespenstisch. Es ist ein grotesker Ort der traurigen Clowns. Die Artistinnen Janine Riedesel und Nina Treiber lassen diese seltsame Zirkuswelt  immer wieder mit morbidem Charme aufblühen. Gedanken und Träume haben dabei trotzdem reichlich Platz. Am stärksten wirken die Szenen mit Alberich, der von Michael Mayes grandios verkörpert wird. Nachdem er die Liebe verflucht hat, ist er zum gewissenlosen Tyrannen geworden. Doch es gelingt Wotan und Loge schließlich, ihn zu überlisten und ihm den Ring zu entreissen, was ihn völlig machtlos werden lässt. Alberich verflucht diesen Ring, nachdem er von den Göttern in grausamer Weise an einen Drehkreisel gefesselt wurde. Diese Szenen besitzen eine beklemmende Aura, die schaurigen Alpträume Alberichs und der von ihm gequälten Menschen werden packend in suggestiven Video-Aufnahmen von Rebecca Riedel festgehalten.

Stephan Kimmig kritisiert in seiner Inszenierung vor allem, dass der Reichtum von den Menschen und Göttern nicht gerecht verteilt wird. Die Zerstörung der alten Werte ist dabei nicht mehr aufzuhalten – selbst dann nicht, als die von den Riesen verschleppte Göttin Freia von Wotan wieder befreit wird. Fafner erschlägt aus Habgier seinen Bruder Fasolt, auch die Riesen erliegen dem Fluch des Ringes. Das Bedürfnis nach radikaler Veränderung möchte Kimmig ganz im Sinne Richard  Wagners beleuchten.  Das „Ring“-Projekt flackert ganz zu Beginn wie ein elektrischer Impuls auf die Projektionswand des Bühnenhintergrundes. Man erinnert sich an eine Kino- oder Werbetafel. Die Rheintöchter entdecken und erkunden den Ort fast akribisch. Sie werden als Schülerinnen oder Studentinnen gezeigt. Zuletzt enthüllen sie sogar ein Transparent mit der Aufschrift „Lasst alle Feigheit fahren!“ Die Götter werden direkt angesprochen, die beim Auftritt Donners noch zusätzlich den Wind anfeuern. Man denkt  sogar an die Bewegung Fridays For Future. Die Rheintöchter kommen hier aus reichen Verhältnissen, was fast ein Widerspruch ist. Sie holen Alberich wie einen Obdachlosen von der Straße. Und der missbrauchte Alberich  wird sich später dafür bitter rächen. Für Kimmig öffnen sich in den nächtlichen Stunden Visionen mit anderen Vorstellungen und Fantasien als am Tag. Da ergeben sich dann starke Bilder. Man erkennt in den Videos auch die weinende Göttin Freia. Eine tatsächliche Möglichkeit zum Ausstieg aus den fatalen Verstrickungen ergibt sich für Kimmig am Ende, wenn der von Goran Juric mit machtvollem hohem Bass verkörperte Wotan seinen Schlussgesang „Abendlich strahlt der Sonne Auge“ intoniert. Das Motiv der Apokalypse wird bei Stephan Kimmig im Zusammenhang mit der Möglichkeit des Umdenkens und des Miteinanders realisiert, was szenisch allerdings nicht immer gelingt. Erda erscheint sogar als Politikerin und Aktivistin auf dem Fahrrad.

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Foto: Martin Siegmund

Der 85jährige Altmeister Marek Janowski steht bei dieser elektrisierenden Aufführung am Pult des Staatsorchesters Stuttgart – und man hört dabei viele Motive und thematische Zusammenhänge neu. Vor allem kann Janowski hervorragend mit der künstlerischen Ökonomie umgehen. Der musikalische Konversationston wirkt beschwingt und besitzt trotzdem Tiefgang. Schon beim Es-Dur-Orchestervorspiel mit den Rheintöchtern prägen sich die Bässe tief und fast hypnotisch ein, der Klangraum wird nach und nach erschlossen. Auch die durchlaufenden Achtel des Wellen-Motivs zeigen eine ungeahnte Lebendigkeit, die nicht nachlässt. Und auch der schmeichelnde Undinengesang der Rheintöchter besitzt glühendes Feuer, denn Josefin Feiler als Woglinde, Lucia Tumminelli als Wellgunde und Deborah Saffery als Floßhilde wachsen gesanglich ganz zusammen. Das Nibelungen-Motiv offenbart gleichsam das grausame Spiel. Das Rheingold leuchtet in strahlendem C-Dur, die Trauertonart c-Moll symbolisiert markant Alberichs Absage an die Liebe. In der zweiten Szene kann sich neben Goran Juric als Wotan Diana Haller als ausdrucksvolle Fricka profilieren, die den schlafenden Ehemann schroff wachrüttelt. Marek Janowski gelingt es mit dem famosen Staatsorchester ausgezeichnet, den dynamischen Bogen immer weiter zu komprimieren und elektrisierende Spannung zu schaffen. Als Loge kann auch Moritz  Kallenberg überzeugen, der mit schlanken Kantilenen sein bewegtes dramatisches Feuer-Motiv intoniert. Die paranoide Goldkrankheit erfasst jetzt auch die Riesen Fasolt und Fafner,  die von David Steffens und Adam Palka mit robusten hohem und tiefem Bass verkörpert werden. Grandios gestaltet Marek Janowski mit dem Staatsorchester Stuttgart die Verwandlungsmusik nach Nibelheim, in der das Loge-, Weib-, das groteske Rheingold- und Ring-Motiv in suggestiver Weise vereint werden. Die 16 Ambosse enthüllen eine geisterhafte Szene, wo der Tyrann Alberich über die kindlichen Nibelungen herrscht.  Der Fluch Alberichs ist aus der Umkehrung des Ring-Motivs entwickelt, was Michael Mayes sehr facettenreich verdeutlicht. Am Schluss des „Rheingolds“ verdrängt strahlendes C-Dur das Des-Dur beim Einzug der Götter in Walhall. Der pompöse Schluss lässt auch bei Janowski an die Macht der Grand opera denken. Die voluminöse Altistin Stine Marie Fischer erscheint als Erda bei ihrem cis-Moll-Auftritt auf dem Fahrrad als Naturgöttin in der Moll-Variante des Rhein-Motivs. In weiteren Rollen imponieren bei dieser gelungenen Aufführung Pawel Konik als markanter Donner, David Kerber als Froh, Thomas Cilluffo als hinterhältiger Mime sowie Eliza Boom als innerlich bewegte Freia. Jubel und viele „Bravo“-Rufe.

 

Alexander Walther

 

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