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Musiktheater
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Fin de Partie (Endspiel)

Szenen und Monologe - Oper in einem Akt
Libretto von György Kurtág nach dem gleichnamigen Drama von Samuel Backett
Musik von György Kurtág


in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 10' (keine Pause)

Szenische deutsche Erstaufführung im Theater Dortmund am 1. März 2024
(rezensierte Aufführung: 1. Mai 2024)




Theater Dortmund
(Homepage)

An den Untergang mag man in dieser gepflegten Kunstrasenhölle nicht glauben

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thomas M. Jauk

92 Jahre alt war György Kurtág, als er 2018 seine erste und wohl auch einzige Oper für die Uraufführung an der Mailänder Scala freigab. Als vollendet betrachtete er das Werk seinerzeit nicht, eher als "work in progress". Dabei ist Fin de Partie keineswegs ein Torso. Es fehlt nichts an Handlung, denn ohnehin besitzt das gleichnamige Drama von Samuel Beckett, das Kurtág zum Libretto komprimierte, keinen klassischen Spannungsbogen. Die Oper hat, wie es sich gehört, einen Anfang und ein Ende. Dazwischen herrscht Trostlosigkeit im Beckett'schen Sinn. Vier Menschen warten "in einem Haus am Meer", wie es in der Szenenanweisung heißt, nach einer globalen Katastrophe nahezu apathisch auf den endgültigen Untergang. Hamm, der Hausherr, ist blind und gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Während er nicht laufen und stehen kann, ist sein hinkender Diener Clov unfähig zu sitzen. Hamms Eltern Nagg und Nell haben gleich gar keine Beine mehr (ein Sportunfall) und vegetieren in Mülltonnen als "Abfall" dieser obskuren Gesellschaft. Und was tun diese vier Personen im Wartezustand? Sie quälen sich gegenseitig.

Szenenfoto

Hamm im Rollstuhl, dahinter Clov

Das ergibt, vorsichtig gesagt, keinen klassischen Opernstoff. Kurtág hat natürlich auch kein konventionelles Musikdrama daraus gemacht. Die Bezeichnung "Szenen und Monologe" deutet das Fehlen einer traditionellen Handlung bereits an. Die Komposition klingt oft extrem fragmentiert und reagiert auf kleinstem Raum auf den Text und dessen Wendungen. Stilistisch weist die Musik in ihrem der Sprache angepassten, wandlungsfähigem Gestus auf die Kleinteiligkeit in den Anfängen der Oper bei Claudio Monteverdi hin, aber gleichzeitig auch auf die Reduktion und extreme Konzentration bei Anton Webern, die das Ende der Tonalität markieren. Direkt erkennbare melodische Linien sind meist extrem kurz. Und doch ergeben die Partikel kunstvoll konstruierte Zusammenhänge, die sich erst nach und nach erschließen. Es ist keine Musik, die das Geschehen unmittelbar emotional trägt, die aber keineswegs emotionslos auftritt. Kurtág hat jede Gesprächswendung fein ziseliert auskomponiert. Das große Orchester wird dabei wie ein Kammermusikensemble behandelt. Dirigent Johannes Kalitzke lässt mit den über weite Strecken atemberaubend präzise spielenden, gegen Ende in der Konzentration etwas nachlassenden Dortmunder Philharmonikern kaum eine Aufwallung zu. Die Musik wird ausgesprochen delikat dahingetupft und gelegentliche (wohldosierte) Forte-Ausbrüche schnell zurückgenommen. Der Klang ist von bestechender Transparenz, jeder Ton und Akkord eine kleine Welt für sich. Leicht machen es Kurtág und Kalitzke dem Publikum nicht, denn es verlangt außerordentliche Konzentration, der Entwicklung dieser Musik zu folgen. Auf der anderen Seite ist man ebenso stark gefordert, die deutsche Übersetzung des französischen Textes mitzulesen. Man müsste Fin de Partie wohl fünf- oder sechsmal erleben, um das Stück einigermaßen erschließen zu können.

Szenenfoto Nell und Nagg

In dieser überhaupt erst zweiten Inszenierung der Oper sitzt das Publikum auf der Bühne und damit ziemlich nahe bei den Darstellenden. Meist sind solche Lösungen durch die fehlende Distanz akustisch ungünstig - hier funktioniert es verblüffend gut, auch weil durchweg sehr klangschön und nie forciert gesungen wird. Frode Olsen hat den Hamm bereits bei der Uraufführung und den Folgeaufführungen verkörpert. Mit noblem und würdevollem Bariton gibt er den despotischen Patriarchen im Stile eines eloquenten Geschäftsmannes, immer auf stimmliche Eleganz bedacht, in die sich aber auch ein gewisses Maß an Gefährlichkeit mischt. Morgan Moody singt und spielt den Clov mit clownesker Agilität und hoher Intensität. Auch Leonardo Cortellazzi gehörte als Nagg zur Uraufführungsbesetzung. Laut Libretto ist er Hamms Vater, worum sich die Inszenierung von Ingo Kerkhof nicht weiter schert und ihn deutlich jünger erscheinen lässt als Hamm. Aus seiner (im Boden versenkten) Tonne heraus glänzt er mit strahlendem, nicht grellem Tenor und macht mit Minenspiel wett, was der Figur (keine Beine!) an Beweglichkeit genommen ist. Ruth Katharina Peeck gibt mit zurückgenommenem Sopran eine klangschöne, dabei zerbrechlich anmutende Nell.

Szenenfoto

Clov (rechts) und Hamm

Ausstatterin Anne Neuser hat die Bühnenfläche mit Kunstrasen ausgelegt und an drei Seiten durch ein umlaufendes niedriges Holzpodest begrenzt (das Orchester sitzt dahinter). Ein Haus gibt es nicht, allein ein Klavier in der Ecke (nicht benutzt) erinnert an einen Innenraum. Worin die Katastrophe bestand, die das Personal hierhin verschlagen hat, zeigt die Regie nicht. Überhaupt fehlen Konkretisierungen oder Verweise auf das Zeitgeschehen. Allein die Erscheinung des Hamm verweist darauf, dass wir uns wohl in der Gegenwart befinden. Mangels äußerer Handlung und dramatischer Entwicklung konzentriert sich die Regie ganz auf die Personen und lebt vom präzisen Spiel der Akteure. Szenisch kommt die Nähe zum Publikum dem Kammerspiel entgegen. Gleichwohl müssen zwei Stunden Spieldauer (ohne Pause) auf mäßig bequemen Stühlen ausgestaltet werden - da tritt das Endspiel zwischendurch auch auf der Stelle und man wünschte sich mehr Mut zur Überspitzung und Absurdität. Der ermüdenden Schleifen des Wartens auf ein Ende der Welt mögen als Sprechtheater ihren ganz eigenen Rhythmus finden; hier steht ihnen die auf gleichbleibend hohem (Anforderungs-)Niveau angelegte, alles andere als illustrative Musik mit ihrer nie äußerlichen, aber beständig immanent mitklingenden Vitalität entgegen. Dagegen kann sich die Inszenierung nicht behaupten, will das vielleicht auch gar nicht.

Szenenfoto Hamm, Clov, Nagg

Dann wird Shakespeare eingeblendet, Zitate aus dem Sturm: "We are such stuff /As dreams are made on, and our little life / Is rounded with a sleep". Das sieht ein wenig nach einem bildungsbürgerlichen Rettungsanker aus, an den sich das nach Interpretation suchende Publikum klammern darf, als sei Beckett nicht zu trauen. Und es gibt außerdem ein Zeichen der Hoffnung in der Katastrophe: Ein Kind deckt die Akteure am Ende mit weißen Tüchern zu wie ausrangierte Möbel (zu Beginn hatte es diese Tücher abgezogen). Die allerletzte Generation waren Hamm und Gefolge also nicht. Es gibt Zukunft. Aber nicht für die hier vorfgeführte Gesellschaft.

FAZIT

Kurtágs subtile Musik wird in Dortmund sehr eindrucksvoll zum Klingen gebracht. Kerkhofs unaufdringliche, dabei aber allzu brave Regie kann das Problem, dass dafür szenisch zwei Stunden des Wartens spannungsvoll ausgestaltet werden müssen, nicht so recht lösen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Kalitzke

Regie
Ingo Kerkhof

Bühne und Kostüme
Anne Neuser

Licht
Kevin Schröter

Dramaturgie
Daniel C. Schindler


Statisterie des Theaters Dortmund

Dortmunder Philharmoniker


Solisten

Hamm
Frode Olsen

Clov
Ks. Morgan Moody

Nell
Ruth Katharina Peeck

Nagg
Leonardo Cortellazzi


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

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