PARSIFAL
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Staatsoper
1. April 2024

Musikalische Leitung - Alexander Soddy



Amfortas - Michael Nagy
Gurnemanz - Günther Groissböck
Parsifal - Daniel Frank
Klingsor - Werner van Mechelen
Kundry - Elina Garanca
Der damalige Parsifal (Schauspieler) - Nikolay Sidorenko
Titurel - Wolfgang Bankl
1. Gralsritter - Katleho Mokhoabane
2. Gralsritter - Jusung Gabriel Park
1. Knappe - Stephanie Houtzeel
2. Knappe - Alma Neuhaus
3. Knappe - Norbert Ernst
4. Knappe - Ted Black
1. Blumenmädchen/1. Gruppe - Ileana Tonca
2. Blumenmädchen/1. Gruppe - Miriam Kutrowatz
3. Blumenmädchen/1. Gruppe - Anna Bondarenko
1. Blumenmädchen/2. Gruppe - Maria Nazarova
2. Blumenmädchen/2. Gruppe - Jennie Hietala
3. Blumenmädchen/2. Gruppe - Stephanie Maitland


„Emanzipierte Kundry

(Dominik Troger)

Das Wetter war an diesem Ostermontag schon ganz auf April eingestellt: tagsüber sommerlich warm, am Abend ein erfrischender Regenguss, der die gralserwärmten Gemüter des Publikums nach über fünf Stunden „Parsifal“ stark abkühlte.

Nichts wars mit einer lauschigen Frühlingsnacht, in der sich Blattwerk mit raunigem Rascheln knospensprengend und karfreitagssüchtig ans Licht gedrängt hätte – nein, eine Fußwaschung mit kaltem Wasser wurde einem verabreicht. Nach fünf Stunden szenischer Kirill-Serebrennikov-Tristesse hätte man darob beinahe Verschwörungstheorien entwickeln können. Aber erstens haben Operndirektionen und Dramaturgen glücklicherweise noch keinen Einfluss auf das Wetter und zweitens wurde die Inszenierung, die sehr viel mit Herrn Serebrennikov und nur peripher mit Richard Wagners „Parsifal“ zu tun hat, von mir in früheren Besprechungen bereits ausführlich genug „gewürdigt“.

Es war ohnehin der Abend der Elina Garanca. Sie hat zu COVID-Zeiten in der gestreamten „Parsifal“-Premiere ohne Publikum die Kundry gesungen, erst drei Jahre später ist sie jetzt mit dieser Partie im Repertoire zu Gast. Garanca sang mit edler  Stimme, war ganz diese moderne, emanzipierte Journalistin, die in Gefängnissen lüstern auf muskelbepackte junge Häfenbrüder schielt und sie für ein Hochglanzmagazin abfotografiert. Warum sie unter seltsamen religiösen Wahnvorstellungen leidet, bleibt bei diesem Regiekonzept zwar unklar, aber damit müssen Ausführende und das Publikum leben.

Garanca folgte der Partie bis in feine Nuancen, erzählte lustvoll vom jungen Parsifal an seiner Mutter Brust und führte das „Ich sah ihn und lachte“ zu einem eruptiven, stimmlichen Ausbruch. Garancas Mezzo lotete die gesanglichen Möglichkeiten der Partie aus, nah am Wort, raumfüllend. Dabei entzog sich Garancas Kundry selbstbestimmt Wagners Mitleids- und Erlösungssehnen. So wie die Inszenierung den Mythos in bizarre Gefangenentatoos verbannt hat, blieb auch Kundry von ihrer Jahrtausende durchmessenden Existenz faktisch unberührt, entwickelte sie gegenüber Parsifal kein metaphysisches Bedrohungspotenzial. Auf diese Weise erfüllte Garanca mit ihrem selbstbewussten Aufreten und ihrem kontrollierten Gesang die inszenatorischen Vorgaben ideal.

Der von Kundry gemordete Chefredakteur Klingsor, von Werner van Mechelen gesungen und gespielt, war sehr umtriebig, mit einem hellen, kräftigen Bassbariton gesegnet, aber fern jeglicher Dämonie: ein unangenehmer Chef, der seinen Redaktionsharem unter strenger Kontrolle halten möchte. Der vom Schauspieler Nikolay Sidorenko gedoppelte Parsifal produzierte sich in diesem zweiten Aufzug ansehnlich und kurz mit nacktem Hintern vor Kundrys Kolleginnen und dem Publikum. Sidorenko hat noch jedem Parsifal-Sänger in dieser Produktion ein wenig die Show gestohlen, seine schüchterne Jugendlichkeit und Erotik, mit der er sich von Kundry verführen lassen soll, hat schon einen besonderen Reiz. 

Daniel Frank, dieses Mal als singender Parsifal aufgeboten, war regiebedingt im ersten Aufzug kaum vorhanden, wie eine im Bühnenvordergrund vergessene Requisite, die farblos gegenüber Gurnemanz ihr Nichtwissen eingesteht. Im zweiten und dritten Aufzug reüssierte er mit einem in der kräftigen Attacke leicht grell färbenden Tenor, der sich Autorität zu verschaffen wusste und gut übers Orchester kam. Günter Groissböck sang einen stimmlich trockenen, hörbar nicht in Bestform befindlichen Gurnemanz. Von der Statur und im Auftreten war er eine glaubwürdige Autoritätsperson, die aufmüpfigen Zellengenossen schnell klar gemacht haben würde, wer in der Gefängnishierarchie das Sagen hat. Michael Nagys Amfortas überzeugte vor allem durch sein kraftvolles Wehklagen. Stimmkräftig war auch der Staatsopernchor – und die Blumenmädchen hatten ein etwas grelleres Pflänzlein darunter gemischt. Wolfgang Bankl ergänzte als Titurel den ersten Aufzug.

Das Orchester wurde von Alexander Soddy zu klarem funkelndem Wohlklang animiert, der sich manchmal bis in ein feines Violinkräuseln verästelte, das wie Lichtfahnen vom Gralskelchgold auffirnte. Aber so wie Serebrennikov in seiner Inszenierung ließ auch Soddy nur die Oberfläche zu, tauchte er nicht in den Mythos ein. Der erste Aufzug kam nicht recht von der Stelle, obwohl Soddy zeitmäßig keine „Überstunden“ machte und etwas unter einer Stunde und fünfzig Minuten blieb. Klingsors aufgewühlte Zauberwelt erregte mehr Interesse – das ein Blick auf die Bühne allerdings sofort wieder zunichte machte. Der Schlussapplaus lag bei sieben oder acht Minuten.

PS: Inzwischen bin ich der Überzeugung, Serebrennikov hätte über den „Parsifal“ besser einen Film gedreht. Die Schwarz-Weiß-Videos, die über der Bühne mitflimmern, diese Schneelandschaften, die Kirchenruine, diese Gefängnisbilder samt Rasierklingenmord würden ein beklemmendes cineastisches Porträt ergeben haben – eine Heldenreise zu sich selbst, eine Erlösungssuche, nicht religiös, sondern existentialistisch untermauert. Serebrennikov hätte sich dabei an Wagners Musik halten können, garniert mit neuen Dialogen. Er hätte auf diese Weise eine eigenständige künstlerische Tat gesetzt, ein Fortschreiben des Mythos mit zeitgemäßen Mitteln. Eine andere Möglichkeit haben 2017 im Theater an der Wien der Künstler Jonathan Meese und der Komponist Bernhard Lang mit ihrem „Mondparsifal“ aufgezeigt, dessen charmantes Motto lautete: „Erlösung von Erlösern“.