ELEKTRA von Richard Strauss bei den Osterfestspielen Baden-Baden

ELEKTRA von Richard Strauss bei den Osterfestspielen Baden-Baden

Von unserer Gastautorin Sinhá Helena Düker

25.03.2024

Die Neuinszenierung von Philipp Stölzl ist eine Reminiszenz an den Film „Dr. Caligari“ und dem Expressionismus vom Anfang des 20 Jahrhunderts

Es gibt einen stilistischen Meilenstein in der deutschen Filmgeschichte:
Der Film „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von Regisseur ROBERT WIENE aus dem Jahre 1920.
Mit seiner ganz neuen Bildsprache begründete er den Expressionismus im Film.
PHILIPP STÖLZLS „Elektra“ ist durchdrungen von diesen visuellen Ideen.

Zwischentitel aus „Das Kabinett des Dr. Caligari“ – CC – Wikimedia Commons

Die Oper

Die Dramatik ist kaum zu überbieten: Nach dem Trojanischen Krieg wird der griechische Heerführer Agamemnon von seiner Frau Klytämnestra (und ihrem Geliebten Aegisth) getötet, weil Agamemnon ihre gemeinsame Tochter Iphigenie geopfert hatte.

Aus Wut über die Tat ihrer Mutter schmieden die anderen Töchter Elektra und Chrysothemis und deren Bruder Orest Rachepläne.
Am Ende werden Klytämnestra, Aegisth und alle, die zu ihnen gehörten, von Orest erschlagen.

Die Oper „Elektra“ gilt gemeinhin als Überleitung von der Romantik in die Moderne.
RICHARD STRAUSS sagte sich 1909 mit dieser Partitur von den tradierten Formen der Oper los, indem er sie bis zum Exzess ausweitete, was sich nicht zuletzt an der enormen Instrumentation niederschlug.
Unabhängig stehende Klangblöcke und Dissonanzen erinnern an die späteren Kompositionen Arnold Schönbergs.
In der Partitur der Klytämnestra ist dies musikalisch eingeschrieben. Zwischen verschiedenen Jazztonika changierend, wird die Arie zum Exempel des expressionistischen Stils.

„Elektra“, Osterfestspiele Baden-Baden, ph: Monika Ritterhaus

Die Inszenierung

Das Regie-Team um PHILIPP STÖLZL und PHILIPP KRENN nimmt den Expressionismus ernst.
Die Inszenierung, als visuelles Erlebnis konzipiert, betritt den Weg, den ROBERT WIENES Caligari wie folgt beschrieb:
„Der Film muss Grafik werden“.
PHILIPP STÖLZL, der sich auch als Filmregisseur einen Namen gemacht hat („Der Medicus“), übersetzt dieses Diktum auf die Oper: die Oper muss lebendige Grafik werden.

Das komplette Libretto von HUGO VON HOFMANNSTHAL wird in bewegten Lettern auf die Bühne projiziert.
Genauer gesagt: Auf eine Treppe.
Die Sänger bewegen sich auf, unter und über jene projizierten Worte, die sie singen.
Auf beweglichen Treppenstufen, die auch mal zu einer Wand oder mal zu einem Paternoster werden können.
Manchmal scheint das Wort sie zu erdrücken, manchmal hebt es sie hinauf.
Die Typografie dieser Worte erinnert an jene der Wiener Werkstätten.

Somit wird die Schrift zum prägenden Element der Bühne.

Diese elaboriert, welche Wirkung der Raum durch reduzierte Mittel entfalten kann.
Denn Treppen sind als Traum- und Alptraumsequenz ein wiederkehrendes Stilelement des Expressionismus.
Die Beleuchtung eben dieser, auf welcher die Sänger rollen, fallen und aufsteigen, wechselt zwischen gespenstischem Grün, Lila und Gelb, gemäß einer farblichen Tonung des Stummfilms.
Schlussendlich die Mordszene, in welcher Elektra (NINA STEMME) ihrem Bruder Orest (JOHAN REUTER) mit einer Taschenlampe leuchtet und den Schatten der Tat an die zur Wand erstarrten Treppe wirft – ist wiederum ein Zitat des expressionistischen Films.
Das durch und durch grafische Bühnenbild (PHILIPP STÖLZL)  findet letztlich noch in den schwarzen Kostümen (KATHI MAURER) seine Entsprechung.
Der Chor (Prager Philharmonischer Chor) der Bediensteten huscht, schemenhaften Furien gleich, über die Bühne.

„Elektra“, Osterfestspiele Baden-Baden, ph: Monika Ritterhaus

Die Sängerinnen und das Orchester

Die Schlichtheit und die Reduktion der Inszenierung bringt die Kraft der Musik zur vollen Entfaltung.
KYRILL PETRENKOS Geschick im Umgang mit Partituren der Moderne ( Korngold, Berg, Xenakis, Norman) lässt sich hören.

Die schiere Größe des Orchesters (Berliner Philharmoniker) mit 111 Musikern, unter denen auch einige sehr exotische Instrumente, wie das Heckelphon oder das Bassetthorn, bedient werden müssen, erfordert eine überaus präzise und gefühlvolle Ausarbeitung der Tempi.

Die Wagnerstimme NINA STEMMES verleiht dem Sopran der Elektra Tiefe und Schmerz.
Der Gegenpart der Chrysothemis, gesungen von ELZA VAN DEN HEER erklingt ungleich zarter und lyrischer.

Die Mezzosopranistin MICHAELA SCHUSTER, die hier die Klytämnestra singt und interpretiert, ist allein schon ein Besuch wert.
Mit gutturalen Sprüngen und Kratzen stimmlich an die Grenzen des Gesangs gehend, verleiht SCHUSTER auf diese Weise der Tragik der Handlung ihre besondere Dramatik.

Dieses weibliche Sängerinnen-Trio zusammen mit dem Orchester der Berliner Philharmoniker unter dem Dirigat von KYRILL PETRENKO lässt uns die Musik voll Erhabenheit erleben.

Fazit: Ein Opernabend, der uns in eine expressionistische Welt voll Düsternis, Traumsequenzen, Hoffnung und Erlösung entführt.

„Elektra“ von Richard Strauss
Osterfestspiele Baden-Baden 2024, Festspielhaus
Premiere war am 23.03.2024
Musikalische Leitung: Kyrill Petrenko, Regie + Bühne: Philipp Stölzl, Kostüme: Kathi Maurer.
Mit: Nina Stemme (Elektra), Elza van den Heever (Chrysothemis), Michaela Schuster (Klytämnestra), Johan Reuter (Orest), Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Aegisth).
Es spielen die Berliner Philharmoniker
Spieldauer ca. 1 Std. 50 Minuten

Nächste Vorstellungen am 31. März 2024  um 18.00 Uhr

Am 4. und 7. April dirigiert Kyrill Petrenko die „Elektra“ konzertant mit den Berliner Philharmonikern in der Philharmonie Berlin. Tickets hier

Bilderserie mit 6 Fotos aus „Elektra“:

Johan Reuter (Orest), Elza van den Heever (Chrysothemis), „Elektra“, Osterfestspiele Baden-Baden, ph: Monika Ritterhaus

 

 

 

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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