Große Gefühle, großartige Stimmen: La Gioconda (Anna Netrebko) und ihre Nebenbuhlerin Laura (Eve-Maud Hubeaux).
Große Gefühle, großartige Stimmen: La Gioconda (Anna Netrebko) und ihre Nebenbuhlerin Laura (Eve-Maud Hubeaux).
APA/BARBARA GINDL

Es ist rätselhaft, warum manch Oper ein Dasein am Rande des Repertoires als Rarität fristet, die man bisweilen aus dem Museum der Musikgeschichte hervorholt. Bei Amilcare Ponchiellis La Gioconda dürfte der Versuch, sehr viele Beziehungs- und Eifersuchtsebenen ineinander zu verzahnen, ein Mitgrund sein – nebst den horrenden vokalen Anforderungen. Die Oper, 1876 an der Mailänder Scala erfolgreich uraufgeführt, verstrickt sich, bei aller reich vorhandenen Eleganz der kompositorischen Handschrift, in sich selbst.

Da wäre nicht nur Laura, deren Herz eigentlich für Enzo schlägt, der in Wahrheit der aus Venedig verbannte Fürst Grimaldo ist. Wir begrüßen auf der Bühne auch Inquisitor Alvise Badoero, mit dem Laura zwangsverheiratet wurde.

Verstrickungen und Schmerzen

Nicht zu vergessen natürlich die Hauptfigur der Oper, La Gioconda! Sie hatte mit Enzo, der nach wie vor Laura liebt, als Straßensängerin ein Verhältnis, das ihr weiterhin emotional nachhängt. Um all das herum schwirrt allerdings auch noch Barnaba, der von Gioconda erotisch besessen ist. Als Spion der Inquisition repräsentiert er eine niederträchtige charakterliche Giftmischung aus Verdis Jago und Puccinis Scarpia. Er befeuert (und verwirrt) die Handlung als das intrigante gewissensbefreite Böse.

Das ist also schon ziemlich viel an psychologischen Verstrickungen und Schmerzen. Insofern ist der Regie von Oliver Mears bei dem Salzburger Osterfestspielen zu danken, die Dinge nicht zusätzlich verkompliziert zu haben. Die wenigen Ideen, die sie hatte, stören nie, auch nicht am Anfang. Um die Wirrnisse zeitaktuell auszudeuten, inszeniert der britische Regisseur ja eine Vorgeschichte.

Schuld macht blind

Giocondas Mutter La Cieca (kraftvoll: Agnieszka Rehlis) zwingt die Kleine aus ökonomischer Not, den sich mit Zuckerwatte als Geschenk annähernden Barnaba über sich ergehen zu lassen. Auch die Blindheit der Mutter wird so miterklärt. Im Großen Festspielhaus verliert sie in der Intro das Augenlicht aus Schuldgefühl, ihre Tochter dem Missbrauch ausgesetzt zu haben. Auch für den berühmten Tanz der Stunde hat der Regisseur noch eine retrospektive Idee: Mears lässt Giocondas Geschichte in Tanzform erzählen (Choreografie: Luce Burge), in der nun auch ihr Vater vorkommt. Das Ganze könnte auch "Papas Familienglück und -ende" heißen: Tanzend stirbt der Vater; abermals sieht man, wie die Mutter die Tochter als Sexware an das Böse verscherbelt. In Form von Barnaba ist das Böse in dieser Inszenierung fast immer und überall. Mal sieht man ihn als mit Gitarre getarnten Straßensänger, dann wieder als Koch oder als Folterarzt.

Und auch wenn Letzteres lächerlich wirkt, hat das Vorteile. In der Rolle des Widerlings ist der eindringlich singende Luca Salsi lange Zeit der Einzige, der eine glaubwürdige Figur abgibt. Im Bereich Personenführung bleibt der Abend vielfach ja eher bescheiden im starren, alten Stil. Gerät der sehr gute Choro dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia einmal in Bewegung, so doch nur, um läppisches Discogehopse zu absolvieren. Muss nicht sein.

Vokale Volltreffer

Bei dieser Edelbesetzung kam Trost immer auch von der vokalen Seite. Als Enzo blieb Tenor Jonas Kaufmann zwar unterinszeniert. Mit seinem Samttimbre landet er aber die nötigen vokalen Volltreffer delikat und wirkt nur bisweilen bei den Registerwechseln verunsichert. So kultiviert wie durchdringend präsentiert sich Eve-Maud Huberaux als Laura, während Tareq Nazmi als Lauras Zwangsgatte Alvise Badoero solide bleibt.

Dramatisch: Jonas Kaufmann als Enzo Grimaldo.
Dramatisch: Jonas Kaufmann als Enzo Grimaldo.
APA/BARBARA GINDL

Natürlich: Anna Netrebko. Als La Gioconda hat sie in den Höhen und den Tiefen markant zu wirken. Und nach wie vor – bis auf kleine Ausrutscher – ist sie konkurrenzlos, wenn es darum geht, in der Höhe Lyrik mit delikater Pianissimokultur zu erwecken. In den Tiefen gewinnt ihre Stimme immer dann an Charakter, wenn sie mehr Mut zu Wut und Wahrheit zeigt und nicht primär auf Schönklang aus ist. Zum Schluss hin schafft es Netrebko, all ihre vokalen Qualitäten mit den szenischen Anforderungen zu einem packenden Porträt einer verletzten Frau zu formen, die mehr mordet, als diese Oper vorsieht.

Viel Lob

Zuerst ersticht sie Lauras Ehemann, dann am Ende Barnaba. Sie selbst aber bleibt am Leben, was von Ponchielli auch nicht komponiert wurde. Sie wird hier zur rächenden, sich befreienden Frau, der auch der Tod der Mutter nichts auszumachen scheint. Das dürfte die Schlussbotschaft des leicht ausgebuhten Regisseurs Mears sein, der seine Ideen in ein angedeutetes Mafia-Venedig pflanzte (Bühne: Philipp Fürhofer).

Das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Dirigent Antonio Pappano bildet den edel klingenden Rahmen. Elegant und kantabel wurde das vokale Kollektiv getragen, das alles Lob abbekam. (Ljubiša Tošic, 24.3.2024)