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Kritik – "Elektra" in Baden-Baden Ein Libretto macht noch keine Oper

Kirill Petrenko überzeugt in Strauss' "Elektra" am Pult mit den Berliner Philharmonikern als Osterfestspielpremiere in Baden-Baden. Doch die Inszenierung von Philipp Stölzl enttäuscht und wirkt wie ein halblebendiges Reclam-Heft.

Szene aus "Elektra", Festspielhaus Baden-Baden (Premiere 23. März 2024) | Bildquelle: Monika Rittershaus

Bildquelle: Monika Rittershaus

Bald inszeniert Philipp Stölzl wieder auf der riesigen Seebühne in Bregenz, es gibt Webers "Freischütz". Vermutlich wird das wieder ein toll gestaltetes Spektakel nebst einem klug durchdachten dramaturgischen Konzept. Wie so oft bei diesem Künstler, der Oper eigentlich genau so gut kann wie Schauspiel oder auch Film. Eigentlich...

Skulpturale Erstarrung und nervöses Gerenne

Im Falle der Baden-Badener Osterfestspielpremiere ist zu berichten, dass Stölzl gemeinsam mit seinem Co-Regisseur Philipp M. Krenn zur "Elektra" vor allem zwei Dinge eingefallen sind. Der rachsüchtige Orest ist offenbar kriegsversehrt und tötet trotzdem mühelos den bösen Aegisth (mit deutlicher Diktion, aber doch ein wenig blass: Wolfgang Ablinger-Sperrhacke). Wie genau? Nun ja, eher unfreiwillig komisch. Und auf offener Bühne statt hinter den Kulissen.

Die zweite Idee dauert exakt so lang wie das Werk selbst. Es gibt ein riesiges Bühnenbild (auch von Stölzl konzipiert), das aus – je nach Sichtweise – beweglichen Stufen, Treppen, Schubladen besteht. Dort steht oder outriert das Personal, Statik trifft Händeringen, skulpturale Erstarrung trifft auf nervöses Gerenne. Es gibt schon intensive Momente und Situationen, aber zu selten. Die eigentliche Idee ist das ununterbrochene Projizieren des gesamten Librettos Hugo von Hofmannsthals in unterschiedlichen Größen und Schrifttypen - auf die Bühne! Und zwar oft auf so flache und banale Weise, dass bei Elektras Ausruf "Orest" da in riesigen Lettern halt "Orest" steht. Über dem Bühnenungetüm gibt es freilich trotzdem noch deutsche (und englische) Übertitel.

Ermüdende Textflut

Szene aus "Elektra", Festspielhaus Baden-Baden (Premiere 23. März 2024) | Bildquelle: Monika Rittershaus Bildquelle: Monika Rittershaus Für völlig unbeleckte Opernneulinge mag das zeitweise interessant sein zum Verständnis des Stücks, für die meisten anderen dürfte die konstante Textflut rasch ermüdend wirken. Jedenfalls gibt es keinerlei Mehrwert, man leidet nur stumm mit dem Team, das wochenlang an dieser Produktion gearbeitet hat und nun für die exakte Dauerbetitelung sorgen muss. Die Beleuchtung des Ganzen (wiederum von Stölzl verantwortet) bleibt erstmal ziemlich konstant gleichförmig mittelhell, dann wird es grün, am Ende - naturgemäß - rot. Der Vorteil ist, dass man problemlos längere Zeit mal die Augen schließen darf, weil man so gut wie nichts verpasst. Der Nachteil ist, dass wir halt doch bei einer wichtigen Festspielaufführung sind, die nicht als halb-konzertante Veranstaltung mit Textinstallation angekündigt wurde.

Kirill Petrenko überzeugt am Pult der Berliner Philharmoniker

Matter Applaus fürs Regieteam, einige Buhs, ein paar Bravi waren die Folge. Anders verhält es sich mit den Berliner Philharmonikern unter Kirill Petrenko (unterstützt vom Prager Philharmonischen Chor). Laut und zackig geht es los, die Tempi sind überwiegend rasch, viel Kantiges, Schroffes (auch ein paar kleinere Unschärfen) sind zu hören, aber im Dezibelgewitter wetterleuchtet es immer wieder farbenreich und differenziert, wunderbar ausgeformt, betörend schön.

Nina Stemme gibt die Titelpartie

Szene aus "Elektra", Festspielhaus Baden-Baden (Premiere 23. März 2024): Nina Stemme als Elektra | Bildquelle: Monika Rittershaus Nina Stemme als Elektra | Bildquelle: Monika Rittershaus Nina Stemmes Elektra klingt mal nach schwerem, goldenem Samt, mal nach schriller – aber nie übersteuerter – Furie. Michaela Schuster gibt ihre Mutter Klytämnestra darstellerisch wie vokal als hypernervöses Wesen, mit tollen Spitzentönen. Elza van den Heevers Chrysothemis klingt klar, aber manchmal ein wenig uninspiriert. Johan Reuters Orest hingegen bleibt einiges an Deutlichkeit und Emphase schuldig, bei den kleineren Partien ist die Sache durchwachsen, am überzeugendsten die Erste Magd von Katharina Magiera sowie Serafina Starke als Vertraute. Was fangen wir nun mit diesem seltsamen Abend an? Sehen wir es positiv. Für die nächste "Elektra" sind wir textmäßig bestens gerüstet!

Sendung: "Leporello" am 25. März 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Montag, 25.März, 15:29 Uhr

Petra Frohnmüller-Kaufmann

Elektra 23.3.24

Auf den mittelteuren Plätzen, 2. Rang Mitte, waren wegen der riesigen Guckkastenbühne die obersten Treppenstufen nicht zu sehen: die Auftritte und Abtritte aus dem Palast kamen aus dem Nichts, alle kamen irgendwie heruntergepurzelt und krochen dann über den Boden. Gesten vereinheitlicht, keine wirkliche individuelle Körperarbeit. Elektra ist eine Königstochter, ohne das wenigstens kurz durch Haltung deutlich zu machen und anderes mehr.
Zuviel Text auf der Bühne. Sänger und Orchester große Klasse. Für die Regie ein "Buh"!

Sonntag, 24.März, 13:53 Uhr

DoLaNi

Ich hätte es nicht besser formulieren können!

Lieber Jörn Florian Fuchs,

gestern selbst bei der Opernpremiére „Elektra‘s“ im Festspielhaus Baden-Baden anwesend, war ich gespannt auf die ersten Kritiken im Netz heute. Und was soll ich sagen: Sie treffen mein Empfinden nach dem gestrigen Abend zu 100 %.
Vorteil (wie von Ihnen anscheinend auch praktiziert) des Schließens der Augen: „Frau“ konnte sich dem sensationellen Klangkörper der Berliner Philharmoniker voll und ganz hingeben und das „eigene „ Kopfkino“ abspielen lassen.
Mit besten sonntäglichen Grüßen
DoLaNi

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