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  Das Rheingold | Albert Pesendorfer (Wotan). Foto: Lutz Edelhoff

  Das Rheingold | Albert Pesendorfer (Wotan). Foto: Lutz Edelhoff

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… und schon Epilog: „Das Rheingold“ in Erfurt – Ein Teil für alle

Vorspann / Teaser

Das Haus ist ins Schlingern geraten, der Ring als Ganzes gecancelt – aber „Das Rheingold“ hält – pars pro toto? – den Erwartungen stand.

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Während seiner nun wohl zu Ende gehenden Langzeitintendanz in Erfurt hat Guy Montavon einen Nibelungen-„Ring“ wahrscheinlich immer auf später verschoben. Während das Thüringische Meiningen mit seinem Mielitz-Petrenko „Ring“ vor über zwanzig Jahren gewaltig Furore machte und auch Weimar 2017 mit einem „Ring“ nachzog, liegt der letzte in der Landeshauptstadt Erfurt schon 90 Jahre zurück. 

Wenn Loge jetzt im „Rheingold“ singt „kein Stein wankt im Gestemm“ gilt das zwar auch für das Erfurter Opernhaus. Aber dessen freigestellter Chef gibt eher den Wotan der „Götterdämmerung“. Zwar gilt außer dem Allgemeinplatz Nichts-Genaues-weiß-man-nicht, auch hier eigentlich die Unschuldsvermutung. Doch es ist ein Ende mit Schweigen hier und überlauter Begleitmusik da. Das aktuelle „Rheingold“ jedenfalls ist nicht der Vorabend in einem Großprojekt, sondern liefert im übertragenen Sinne gleich frei Haus den Epilog mit. So viel ist sicher – fertig geschmiedet wird dieser Ring nicht. 

Auf der Bühne kommt das Blutbad am Ende nicht unerwartet. Da schneidet der schamanenhafte Wotan der Reihe nach Kehlen durch und schreitet dann langsam so bedrohlich auf seine Gattin Fricka zu, dass die, voll Sorge, zurückweicht. Wie das ausgeht, werden wir nie erfahren. 

Durch diesen Abbruch bekommt der kurze hinzugefügte Prolog vor dem einsetzenden Vorspiel eine doppelte Bedeutung: Es ist der Verweis auf das Zyklische eines ewigen Vergeh-und-Werde. Und es wird zugleich zur selbstreferenziellen Pointe eines Projektes, das aus der Umlaufbahn geworfen wurde. Aus dem Off ertönt ein schelllackknisterndes Götterdämmerungsfinale. Dazu hat Wotan einen Auftritt – wäre somit also doch nicht in Flammen aufgegangen und in den Startlöchern für einen Neuanfang. Zugleich nutzt sein Gegenspieler Alberich die Gelegenheit, um sich für sein Auftakt-Geplänkel mit den Rheintöchtern an der Rampe zu platzieren. 

Brutal wird es auch bei der Exkursion von Wotan und Loge in das Ekel-Bergwerk der Nibelungen. Da sieht man im Video auf dem geschlossenen Vorhang, wie Wotan sein Auge verliert. Nicht irgendwie metaphorisch. Er reißt es sich so drastisch heraus, dass man sich mit dem Wegsehen beeilen muss. Eine gute Übung für jeden, der sich vor massenhaft wimmelndem Gewürm der Videoüberblendung des Bergwerks ekelt, das man als eine Fratze (des Unterbewussten?) sehen kann. Wenn sich der von Wotan und Loge entführte Alberich freikaufen muss, und zur Himmelsscheibe von Nebra, dem Tarnhelm und jeder Menge anderem Zierrat auch noch den Ring herausrücken soll, dann haut ihm Wotan hier gleich den ganzen Arm ab. Amputierte Finger gab es in der „Ring“-Geschichte schon öfter, auch mal eine Hand – aber gleich den ganzen Arm? Einen Umgang mit Wotans Auge und Alberichs Arm so wie bei Regisseur Jürgen R. Weber gab es wahrscheinlich noch nie. 

Der seit über zwanzig Jahren in Erfurt die Bühnenästhetik entscheidend bestimmende Hank Irwin Kittel, der sich nicht auf einen Stil, aber auf bühnenpraktische Virtuosität festlegen lässt, kann sich dieses Mal im Bündnis mit Kostümbildner Tristan Jaspersen und der Videokünstlerin Gretchen fan Weber regelrecht austoben. Im ersten Bild gibt es ein Rheinriff, das auch deshalb überwältigt, weil seine jugendstilhafte Opulenz sowohl natürlichen als auch menschengemachten Ursprung haben kann. Im zweiten und vierten Bild dann lässt Stonehenge grüßen. Die Bühne wird jetzt von kultischen Stelen beherrscht, die am Ende von innen in verschiedenen Farben aufglühen. Hinter dieser futuristischen Antike öffnet sich ein betörender Blick in die unendlichen Weiten des Weltraums mit einem fantastischen Gebilde im Orbit. Man könnte das für eine besonders abgefahrene Version von Götterbehausung halten, wenn es nicht am Ende verschwinden würde. Ein grandioser Hintergrund ist das jedenfalls. Zumal, wenn das göttliche Auge (Wotans) im Raum schwebt, so, als wäre es von Hieronymus Bosch oder Werner Tübke geborgt. 

Dieses „Rheingold“ ist optisch eine Art von Science-Fiction-Movie, bei dem dem Herrn des Rings Richard Wagner ein Seitenblick auf das Universum des Herrn der Ringe J. R. R. Tolkiens verordnet wird. Diese fantastische Reise führt mal nicht auf der Zeitachse von Wagner beziehungsweise dessen Mythosvariante oder seiner verschlüsselt zeitgenössischen Kapitalismuskritik in unsere Gegenwart oder ihre dystopische Fortschreibung. Hier geht die Reise in die andere Richtung. Sie seilt sich ab zu den Ursprüngen der Sagenwelt, aus der sich Wagner sein Personal zurecht gedichtet hat. Da die in Halle (an der Saale) verwahrte Himmelsscheibe von Nebra schon Teil des Schatzes dieses Nibelungen ist, dürfte die Zeitreise deutlich über 3000 Jahre zurückgehen. 

Es hat durchaus seinen Reiz, sich so mit dem Urgrund des Stoffes zu befassen, ohne in den Diskursen der Gegenwart mitzumischen. Auf diese Weise werden die Figuren in eine weite Ferne gerückt, denn es gibt nur noch entfernte Ähnlichkeiten mit den Menschen wie wir sie kennen. Oder wie wir sie in den Göttern, Halbgöttern, Riesen und Nibelungen erkennen. Alle sind auf mythische Sagen- und Märchenwesen reduziert, was ihre Tauglichkeit, etwas über die Mechanismen zu erzählen, die die Natur und die Menschen immer wieder auf Katastrophen zutreiben, stark einschränkt. 

Das kann man so machen – ob man das in diesen ästhetischen Prämissen bis zur „Götterdämmerung“ durchgehalten hätte? Wer weiß das schon.

Das fabelhafte Erfurter Ensemble machte allerdings Lust auf mehr. Den alle überragenden Mittelpunkt bildet Albert Pesendorfer. Der Österreicher gibt jetzt an dem Haus, an dem er vor zwanzig Jahren sein erstes Festengagement hatte, ein fulminantes Wotandebüt. Ein Glück für das Haus (und jeden Operndirektor, der einen Wotan braucht!). Alik Abdukayumov als kraftvoller Donner und Tristan Blanchet als wendiger Froh, aber auch Katja Bildt als Fricka, Laura Nielsen als Freia und Rose Naggar als vielarmige und -füssige Erda sind ebenso eine passgenaue Besetzung wie Máté Sólyom-Nagy als Alberich, Ewandro Stenzowski als Mime und Brett Sprague als geschmeidiger Loge. Sam Taskinen und Kakhaber Shavidze als Fasolt und Fafner sowie Tremblay Candela Gotelli, Daniela Gerstenmeyer und Valeria Mudra als Woglinde, Wellgunde und Floßhilde machen das vokale Wagnerglück komplett. Pedro Halffter am Pult des Philharmonischen Orchesters ist nach dem heiklen Vorspiel bald in einem Sound, der eigenständig erzählt und sich hin und wieder gut dosierte Ausbrüche gönnt. Die klingenden Hämmer der Nibelungen hört (und sieht) man selten so klar und dominant. Da grüßen dann doch das Industriezeitalter und was danach kam deutlich durch die raunende Geschichte aus fernen Zeiten zu uns herüber. Über die staunt das Auge Gottes vielleicht genauso, wie wir bei dessen Anblick.

  • (Die Eindrücke basieren auf einem Besuch der Hauptprobe auf Einladung des Opernhauses Erfurt, am 20. März. Die Premiere ging am 23. März als großer Publikumserfolg über die Bühne.)

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