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NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino: LA FORZA DEL DESTINO

Welch wundersamer Sopran...

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Fotos: Metopera

NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino / Village Cinema Wien Mitte:
 LA FORZA DEL DESTINO von Giuseppe Verdi 
 9,
März 2024

Welch wundersamer Sopran…

Geben wir es doch zu, „Die Macht des Schicksals“ (wir verwenden seltsamerweise lieber den deutschen Titel als korrekt „La forza del destino“) ist eine mühselige Oper. Am besten geeignet für jene „Querschnitte“, die es in der Zeit der Langspielplatte gab: Die berühmte Ouvertüre, die schönsten Arien, Duette (vor allem Tenor / Bariton, sensationell), Chorszenen auf einem Fleck, und man erspart sich manches Mühselige. Aufgrund eines dramaturgisch komplett verfahrenen Librettos musste Verdi vieles komponieren, wozu ihm auch nicht wirklich Inspiriertes (wir nehmen ihn selbst als Maßstab, also den höchsten) eingefallen ist.

Wenn nun die neue Produktion der Metropolitan Opera mit ihrer Spieldauer von viereinviertel Stunden helle Begeisterung hervorrief und auch besonders gute Kritiken erntete, muss sie etwas zu bieten haben. Und das fand statt – mit der Leonora und mit der Inszenierung. Wenn man bedenkt, dass man die „Forza“ zuletzt 2019 (auch im Kino natürlich) in der Covent Garden-Aufführung mit einer Anna Netrebko auf der Höhe ihrer Kunst (und dazu Jonas Kaufmann und Ludovic Tezier) gesehen hat, dann schien es unmöglich diese gesangliche Leistung zu toppen. Nun, zumindest Lise Davidsen ist es gelungen. In einem Ausmaß, wie man es – man kann das nur beschämt zugeben – nicht für möglich gehalten hätte.

Doch die Inszenierung zuerst, die man weder zu hoch noch zu gering schätzen soll. Sie stammt von dem Polen Mariusz Treliński, dem Direktor des Warschauer Nationaltheaters, der in Wien schon (im Theater an der Wien) „Halka“ und an der Met „Tristan und Isolde“ inszeniert hat.  Wenn er die Handlung ins 20. Jahrhundert verlegt, kann man das in diesem Fall nicht als den üblichen modischen Schnickschnack abtun, zumal der Regisseur im Pauseninterview sagte, dass man dem Werk so viel schuldig sei wie der Zeit, in der man lebt. Nicht jeder Regisseur hält so rein…

Und tatsächlich gibt es nur kleine Verschiebungen zum Original, aber nichts, was die Handlung unkenntlich machte oder verbiegen oder veralbern würde, was immer sich Regisseure heutzutage leisten. Dass die Handlung der „Forza“ im von Verdi vorgesehenen 18. Jahrhundert genau so albern wirkt wie heute, ist keine Frage. Aber das Schwergewicht, das der Regisseur mit seinem bemerkenswerten Ausstatter (Boris Kudlička) auf das Motiv des Krieges legt, ist uns nahe. Und wenn (es gibt viele, nicht immer sinnvolle, aber oft sehr gelungene Videosequenzen) vor einem Flammenhimmel die Kampfhubschrauber fliegen, ist man ebenso an „Apocalypse Now“ wie an „Miß Saigon“ erinnert…

Tatsächlich spielt der Krieg schon im ersten Akt herein, wenn im „Hotel Calatrava“ eine Party stattfindet und die Besucher in den Faschisten nachempfundenen Uniformen erscheinen. Papa ist vielleicht noch der Marchese di Calatrava, vielleicht auch Hotelbesitzer, jedenfalls selbst in Uniform und nicht sehr sympathisch, wenn er die Party in Sex und Alkohol ausarten lässt. Als Alvaro, der verbotene Geliebte seiner Tochter Leonora, ihn irrtümlich erschießt, bedauert man das nicht sehr. Jedenfalls darf der tote Papa der Tochter und dem Sohn mehrfach als Geist erscheinen (und der Sänger, wie es üblich, aber nicht wirklich verständlich ist, dann auch den Pater Guardian verkörpern).

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Die folgenden Akte werden in einer Ausstattung, die in den Kriegsszenen etwas von Irrealität vermittelt (Preziosilla ist offenbar keine Marketenderin mehr, sondern fast eine Gestalt von symbolstarker Bedrohlichkeit), dann nur noch von Kampf, Elend und Zerstörung, kurz, von der Atmosphäre des Krieges geprägt. Die Idee, dass die fliehende Leonora (per Video) ihr Auto in den Graben fährt und dann blutüberströmt zum Kloster wankt, ist nicht einmal weit hergeholt.

Manches andere wirkt auf den ersten Blick eher seltsam  – warum Pater Guardian im letzten Akt blind ist? Nun, vielleicht um das Vergehen der Zeit zu zeigen. Denn in dieser Inszenierung sind nicht Jahre, sondern möglicherweise Jahrzehnte vergangen, alle haben weiße Haare, und Leonora schleppt sich als Greisin am Stock. (Was keinesfalls so sinnlos wirkt wie neulich das grundlose Altern der Lustigen Witwe und ihres Danilo…). Es ist durchaus glaubwürdig, dass sich der Krieg über Jahrzehnte hinzieht – und die Verzweiflung der Protagonisten auch. Mit einem Wort, die Inszenierung tut dem Werk keine Gewalt an und sie ist, von Opernklischees entfernt, bemerkenswert detailliert in der Personenführung.

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Lise Davidsen also, der neue skandinavische Star mit dem machtvollen Sopran, der man nach einer fulminanten Met-Ariadne nur das deutsche Fach zugetraut hätte. Dass sie ihre Riesenstimme nicht nur bändigen, sondern auch vollendet auf den Verdi-Stil anpassen könnte, dass sie wundersame Legati, Piani, delikate Spitzentöne bieten würde, man hätte es nicht geglaubt, und es geschah. Ihre Stimme kann man nur als leuchtend bezeichnen, die Leistung als makellos, die Darstellung ohne Pathos vollendet in ihrem tragischen Umriß. Schön, so etwas zu erleben.

Die zweitstärkste Kraft des Abends war der russische Bariton Igor Golovatenko (zuletzt in Wien in der „Sizilianischen Vesper“ zu hören, im Mai wird er hier  der Jago zu Andreas Schagers Othello sein). Das ist zweifellos eine der schönsten Bariton-Stimmen, die derzeit unterwegs sind, perfekt in Timbre, Kraft und Stil. Zudem ein Darsteller von großer, überzeugender Intensität.

Brian Jagde steht sicher in der vorderen Reihe der Tenöre, kann aber die Spitze nicht erreichen – weil er nicht wie ein solcher klingt. Abgesehen von seiner fraglos starken und überzeugenden Höhe, hört sich seine überschattete Mittellage baritonal und glanzlos an (was den Duetten mit dem Bariton auch wegen mangelnden Kontrasts etwas von ihrer Wirkung nahm). Darstellerisch war auch er überzeugend geführt.

Mittelmaß im übrigen – bei der allzu höhenscharfen Preziosilla von Judit Isabela Kutasi, bei Soloman Howard, der als Marchese bald stirbt (und dann geistert), für den Pater Guardian aber keinesfalls jene herrliche Basses Grundgewalt hören lässt, die man für die Rolle verlangen kann. Noch schwächer der Fra Melitone des Patrick Carfizzi – dass er nicht so lustig ist wie die Musik, die Verdi ihm teilweise gegeben hat, tut nichts zur Sache, es war stimmliche Unzulänglichkeit.

Yannick Nézet-Séguin erging sich im Pausengespräch in Schwärmerei über diese Verdi-Oper und ließ hören, dass er es wirklich meint: Er zauberte mit dem Orchester alles an Nuancen und Farben, was da an Divergierendem in der Partitur liegt. Besser hätte man den langen, langen Abend nicht begleiten können, der in New York auf ein begeistertes Publikum und in Wien auf zwei ausverkaufte Kinosäle in der Landstraße stieß. Man hat schließlich in Wien seit zwölf Jahren keine „Forza“ mehr gesehen…

Renate Wagner

 

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