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Opern-Kritik: Theater Lübeck – La Fille du régiment

Apocalypse now

(Lübeck, 8.3.2024) Im Theater Lübeck premiert mit „La Fille du régiment“ mittlerweile die zweite Inszenierung mit Comic-Charme aus der Feder von Regisseur Pier Francesco Maestrini, auch hier mit grundsätzlichem Erfolg. Für eine Überraschung sorgte die kurzerhand ausgewechselte Titelpartie.

vonPatrick Erb,

Warum sollte man in einer Kritik nicht mal eine außergewöhnliche Theatersynergie zuerst loben: Auf der Lübecker Bühne stehen Laila Salome Fischer, die die blasierte Marquise von Berkenfield vom linken bis zum rechten Mundwinkel großartig verkörpert – von der gesanglichen Qualität ist da noch nicht die Rede – und Hortensius, der Hofmeister der Marquise, den Steffen Kubach nicht minder liebevoll spielt. Die beiden Vertreter einer High Society sind als Slapstick-Korrektiv in der Oper unterwegs und scherzen sich vom Anfang bis zum Ende durch den Abend. Fischer fällt dafür nicht selten gekonnt epochal in Ohnmacht, vergewissert sich der Kenntnisnahme aller anderen und fällt erneut in Ohnmacht.

Szenenbild aus „La Fille du régiment“
Szenenbild aus „La Fille du régiment“

Denn in der Welt dieser Inszenierung hat eigentlich niemand mehr was zu lachen. Pier Francesco Maestrini versetzt das nicht ganz ernstgemeinte Revolutionsspiel zwischen Napoleonischer Armee und Tiroler Unabhängigkeitskämpfern in die Wirren einer postapokalyptischen, durch den finalen Atomkrieg zerstörten Einöde. Von Gammastrahlung entstellte, aber liebevolle Rebellen mit Mad Max-Allüren stehen reichlich versnobten Sicherheitszonenbewohnern gegenüber; dazwischen die Regimentstochter Marie.  

Die Überraschung am Abend

Diese wird am Premierenabend nicht wie vorgesehen durch Andrea Stadel gesungen, die leider aufgrund stimmlicher Überlastung kurzfristig ausfiel, sondern durch Elvire Beekhuizen aus dem Lübecker Theaterstudio. Mit reichlich Probenbeobachtung der Hauptbesetzung und nur zwei Gesangsproben, wie Opernchef Stefan Vladar dem Publikum mitteilt, debütiert die junge Niederländerin in der Hansestadt. Das Ergebnis ist dabei akzeptabel: Die Choreografie sitzt, die komischen Elemente mit den anderen Darstellern kommen zur Geltung, doch vor allem im Stimmvolumen ist noch viel Nacharbeit notwendig. Beekhuizen kennt zwar ihre Gesangspartie, doch geht das Gesungene unter in den Klangwogen des durch Takahiro Nagasaki wohlwollend unterstützenden Orchesters. So manche Arie wirkt wie ein orchestrales Intermezzo.

Szenenbild aus „La Fille du régiment“
Szenenbild aus „La Fille du régiment“

Dabei ist das Lübecker Haus klanglich hervorragend auszufüllen, was vor allem Yoonki Baek in der Rolle des Liebhabers Tonio dazu befähigt, seiner Stimme in den Gesangskoloraturen das Timbre eines pathetischen Heldentenors zu verleihen, was in dieser Rolle fast schon unfreiwillig komisch wirkt. Sehr überzeugend ist dagegen Laurence Kalaidjan, der als liebevoller Ziehvater Sulpice, gesanglich wie schauspielerisch, die Fäden, beziehungsweise sein Gewehr in der Hand hält.

Szenenbild aus „La Fille du régiment“
Szenenbild aus „La Fille du régiment“

Comic und Komik

Wenn man den Videospielklassiker „Borderlands“ nicht kennt, so hat man nach dem Besuch dieser Version der „Regimentstochter“ eine Vorstellung davon. Maestrinis Konzept verharmlost charmant die grässliche Vorstellung eines nuklearen Fallouts. Das zeigt allen voran die Ouvertüre des Stücks, bei der ein Comic-Film die Figuren des Stücks mit Slapstick-Elementen und Stummfilm-Ästhetik vorstellt – ein enormer Aufwand, der dann allerdings nur noch als Hintergrundelement in den beiden Bühnenbildern aufgegriffen wird.

Szenenbild aus „La Fille du régiment“
Szenenbild aus „La Fille du régiment“

Damit die hier begonnene Comic-Komik auch im Stück fortgesetzt werden kann, setzt man auf deutsche Dialoge zu den französischen Arien und als Verfremdungseffekt schließlich auf ein Schlagzeug, um die auch schon in Donizettis Originalpartitur grotesk und derb wirkenden Soldatenlieder in ihren zukunftsdystopischen Kontext zu setzen.

Das Ergebnis lässt sich sehen: Zwischen den vielen, teilweise schwierig gewichteten Elementen der Inszenierung und der Verschiedenheit der Besetzung finden die Darsteller am Abend ihren Weg, das Premierenpublikum zu unterhalten.

Theater Lübeck
Donizetti: La Fille du regiment

Takahiro Nagasaki (Leitung), Pier Francesco Maestrini (Regie), Juan Guillermo Nova (Bühne), Marco Nateri (Kostüme), Alessandra Panzavolta (Choreografie), Jan-Michael Krüger (Chor), Carsten Lenauer (Licht), Sören Sarbeck (Dramaturgie), Elvire Beekhuizen, Yoonki Baek, Laila Salome Fischer, Steffen Kubach, Laurence Kalaidjan, Changjun Lee, Imke Looft, Simon Rudolf, Statisterie des Theater Lübeck, Chor und Extrachor des Theater Lübeck, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck




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