Es meckert die Ziege, es wiehert das Pferd, und auch mit dem Grunzen der Schweine dekliniert das Ensemble die bauernhöfische Kakophonie lautmalerisch durch. Auf der Bühne wird das Innere eines kargen Schlachthofes angedeutet und wenn der Esel mit dem Namen „Benjamin” im japsenden Falsetto jauchzt, dann ist das unbequem, ja sogar anstrengend. Denn soviel schon Vorweg: Diese österreichischen Erstaufführung an der Wiener Staatsoper des Auftragswerkes Animal Farm von Alexander Raskatov ist kein idyllisches Wochenende auf dem Bauernhof mit elegischem Schönklang.

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Animal Farm
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Die Handlung basiert auf George Orwells gleichnamiger Fabel und bietet dem Kenner grundsätzlich nicht viel Überraschendes. Über gut zwei Stunden wird in zwei Akten der Aufstand der Tiere auf einem abgewirtschaftetem Bauernhof skizziert und wie diese glorreiche Revolution schrittweise und ganz wörtlich ihre Kinder frisst.

Nach dem ersten, erfolgreichen Aufstand steht der Zwist der beiden schweinischen Revolutionsführer Snowball und Napeolon im Zentrum des Geschehens. Der eine will eine arbeitserleichternde Windmühle für mehr Komfort bauen, der andere möchte auf die Produktion von Waffen setzen. Wer sich in diesem ungleichen Kampf durchsetzt und wer am Ende als Braten auf dem Banketttisch des Epilogs landet, muss wohl nicht erwähnt werden.

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Animal Farm
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Durchaus Erwähnung finden muss aber die Entscheidung von Damiano Michieletto, diese Inszenierung nicht ins abstrakte oder politische abgleiten zu lassen. Egal ob man nach Russland oder in die USA schaut, aktuelle Anlässe und Parallelen gibt es damals wie heute. Nein, nah am Libretto, bei dem sich Raskatov Unterstützung von Ian Burton holte, tragen die Sänger ausgeklügelte tierische Masken und abgewetzte Arbeitsgewänder.

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Animal Farm
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Am Anfang kriechen sie noch auf allen vieren, doch mit jedem Takt, den sich Napoleon und seine Schergen vom proklamierten Animalismus entfernen, vermenschlichen sie. Die Masken fallen, die Kleidung wird schick, das revolutionären Manifest wird in die Bedeutunglosigkeit abgeändert und auch der Gesang verliert seine expressionistischen Ecken und Kanten.

Und so bekommt Orwells Grundidee, Raum sich zu entfalten und kann, so die Hoffnung, seine eigentliche Zielgruppe erreichen – ohne sie schon im Vorhinein zu antagonisieren.

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Holly Flack (Mollie), Isabel Signoret (Muriel) und Gennady Bezzubenkov (Old Major)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Es ist vielleicht der stärkste Moment in dieser Inszenierung, als der Chor der Hennen und Enten im bukolischem Schönklang und in grauer Pionieruniform die vermeintlichen Errungenschaften von Napoleon besingt. Es ist einer der wenigen Fragmente, wo sich der Zuschauer in den Sessel zurücklehnen möchte und leise denkt „Ach wie schön!”. Nur die Tatsache, dass das Federvieh vom Fortschritt singt, aber im Gleichschritt rückwärts geht, zerstört die Illusion. Die Wahrheit ist selten bequem.

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Clemens Unterreiner (Mr. Pilkington) und Holly Flack (Mollie)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Musikalisch bleibt dieser Abend durchweg spannend. Raskatovs eklektische Partitur, in der immer wieder Schostakowitsch durchklingt, bietet viel Neues, aber bleibt in weiten Teilen dem lautmalerischen Element treu. Alexander Soddy setzt das Orchester der Wiener Staatsoper überzeugend und mit viel Verve ein und schafft es, die Illusion musikalisch zu vervollständigen, ohne sie ins lächerliche oder kitschige abgleiten zu lassen.

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Michael Gniffke (Snowball)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Besonders abwechslungsreich ist die Partitur nicht, streckenweise gar monoton in ihrer ständigen Wiederholung vergleichbarer Motive und ihrer ausgeprägten Rhythmik. Hoch-tief, hoch und wieder tief – wie das I-Ah eines Esels, das tatsächlich mehrfach ausgesprochen wird, bohrt sich der Gesang in den Gehörgang.

Gleich drei Tenöre in höchsten Lagen für Erstaunen: Karl Laquit muss in seiner Doppelrolle als durchweg überzeugender Esel Benjamin (und später auch als Young Actress) herausgestellt werden. Ebenso wie Andrei Popov, der dem Namen des Schwein Squealer alle Ehre machen konnte. Auch Michael Gniffke scheute als Snowball die quiekenden Töne nicht.

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Wolfgang Bankl (Napoleon)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Bei einem weitestgehend gleichwertigen Ensemble von 14 Hauptrollen, ist es schwer einen Star des Abends zu benennen. Qua seiner schieren Bühnenpräsenz stach Wolfgang Bankl als Napeoleon mit einem durchdringenden Bassbariton sicherlich hervor. Aber auch Gennady Bezzubenkov blieb mit allertiefstem Bass nachhaltig in Erinnerung. Mit höchster stimmlicher Überzeugungskraft krabbelt er vierbeinig und grunzend in einer Schweinemaske als tierischer Leninverschnitt durch den Schlachthof.

Zu recht viel Applaus erhielten an diesem Abend auch die Koloratursopranistin Holly Flack als dem Luxusleben verfallene Stute Molly sowie Isabel Signoret als Ziege Muriel.

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Stefan Astakhov (Boxer), Margaret Plummer (Clover), Isabel Signoret (Muriel) und Karl Laquit
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Insgesamt ist diese Inszenierung durchweg zu empfehlen. Es ist pointiert, konzise und lädt auf (un)angenehme Weise zum Nachdenken ein. Ob das Werk als solches nachhaltig den musikalischen Nerv des Publikum treffen kann, wird sich herausstellen. Es ist in jedem Fall kurzweilig genug und bietet mit kindlicher Herangehensweise eine Projektionsfläche für viele komplexe Probleme. Mit Glück wird es in den kommenden Jahren vielleicht auch jenseits von Wien und Amsterdam auf dem Spielplan stehen.

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