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WIEN / Volksoper: DIE LUSTIGE WITWE

Schäbig ist's da im Altersheim

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Fotos: Volksoper

WIEN / Volksoper: 
DIE LUSTIGE WITWE von Franz Lehar
Dialogfassung für die Volksoper bearbeitet von Jakob Semotan
Premiere: 2. März 2024

Schäbig ist’s da im Altersheim

Die Grisetten proben den Aufstand. Aus einem Pavillon ist eine Holzkiste geworden. Und Hanna Glawari und Danilo Danilowitsch? Na, die sind schon recht alt geworden. Kurz, in der neuen Produktion der „Lustigen Witwe“ an der Volksoper ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Und man kann nicht sagen, dass es dem Werk gut getan hat…

Wie man mit Operette im 21. Jahrhundert umgeht, wird diskutiert werden, solange man sie spielt. Eine Kunstform, die in unseren Augen so künstlich, so verlogen, so verkitscht ist, wenn man es denn so sehen will, ungeachtet der oft prachtvollen Musik, die man dazu geliefert bekommt (bei Lehar bestimmt). Bringt  man sie in der bekannten Weise auf die Bühne, in Belle epoque-Ausstattung, der Opulenz und Schönheit verpflichtet, wird die Operette bei den meisten Besuchern wohl noch ihre (nostalgische) Wirkung tun. Aber das will man heutzutage ja nun gar nicht (ohne sich zu fragen, was man nicht nur dem Publikum, sondern auch dem Werk wegnimmt und antut.)

Lotte de Beer (bei der Frauen auf der Bühne bei jeder Gelegenheit protestieren dürfen) hat die französische Regisseurin Mariame Clément geholt, die von keiner Interpretations-Tradition belastet ist und geradewegs zeigen durfte, dass sie das Werk offenbar für Blödsinn hält. An das strahlende-streitende Liebespaar von einst, Hanna und Danilo, glaubt sie nicht. Sie möchte nur zeigen, dass die beiden alt sind (er scheint eher aus dem Altersheim als aus dem Maxim daher zu schleichen ,und der armen Anett Fritsch hat man jede Menge künstlicher, hängender Falten aufs Gesicht geklebt). Macht dies die Geschichte besser, tiefer, glaubwürdiger? Mitnichten. Man hat nur ein Stückchen Diversität eingebracht (denn Alter gehört ja wohl zu den diskriminierten Lebensformen) …

Die Regisseurin sagt uns auch nicht, wann und wo sie die Geschichte ansiedelt, das Paris der reichen Leute und der Diplomatie ist es mit Sicherheit nicht. Die Damen stapfen in reizlosen Kleidern mit schwingenden Röcken herum, unter denen sich gewiß einige Petticoats befinden – fünfziger Jahre. Hanna trägt eine blonde Lockenfrisur, die für die vierziger Jahre Filme Hollywoods typisch sind, ihr  zweites Kleid ist andeutungsweise Jugendstil. Die Anzüge der Herren sind von ausgesuchter Schäbigkeit. Nein, die bessere Gesellschaft ist das nicht. Und bei allen 20. Jahrhundert-Mix ist immer noch die Rede davon, dass Danilo mal für den Kaiser ritt und seine adelige Familie die nichtadelige Braut nicht akzeptieren wollte. Wo sind wir, bitte?

Julia Hansen, die für die gesamte Ausstattung zuständig war, verortet auch die drei Schauplätze – alle sind von rauschenden Festen gekennzeichnet – nicht. Es drehen sich anfangs einfach Holzwände, und wenn sich später der eine oder andere Schauplatz ergibt, weiß man nicht, was er soll. Und ein schäbigeres Maxim hat man noch nie erlebt. In Paris sind wir jedenfalls mit Sicherheit nicht, und das Balkan-Flair, das manch eine Wiener Operette geschmückt hat, kommt auch nur rudimentär vor. Es gibt für alles nur einen gemeinsamen Nenner: Hauptsache hässlich.

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Dass in diesem Umfeld, das keinerlei Logik des Geschehens zulässt, die „Lustige Witwe“ mit all ihren Qualitäten nicht funktioniert, ist klar. Eine Geschichte erzählt sich nicht, nur ein Detail: „Dialogfassung für die Volksoper bearbeitet von Jakob Semotan“, kann man lesen. Dieser junge Mann bekam nämlich – auch hier wollte man offensichtlich mit der Tradition brechen – die Rolle des Njegus zugeteilt, die üblicherweise nicht von ungefähr mit souveränen alten Schauspielern besetzt wird, die ihre scharfen Pointen einwürzen. Semotan hat sich ein Über-Wienerisch mit „tätaten“, „gengaten“. „hättaten“ zugelegt, das nur nervt und eigentlich nicht sinnvoll ist. Aber was macht an diesem Abend schon Sinn? Nicht einmal das immer wieder angebotene sinnlose Geblödel bei jeder Gelegenheit,

Kaum einer der Sängerdarsteller gewinnt Kontur. Aaron Casey Gould lässt als Rosillon einen veritablen Operetten-Tenor hören, Hedwig Ritter ist hausbacken alles andere als eine raffinierte Valencienne, Szymon Komasa brüllt sich als ihr Gatte wenigstens gelegentlich komisch durchs Geschehen, und was einen Fernsehstar wie Brigitte Kren bewegen konnte, die Neben-Neben-Nebenrolle einer lüsternen alten Atteché-Gattin in einem peinlichen Auftritt zu zu übernehmen, weiß wohl nur sie allein. Die Schar der Herren versinkt in Farblosigkeit (und Njegus unter ihnen).

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Bleibt das zentrale Paar, das hier auch nichts retten kann, schon gar nicht Daniel Schmutzhard, als Danilo nicht vorhanden. Keine Eleganz, kein Schmäh, kein Hauch von verführerischer Ausstrahlung, nur ein trockener Bariton in eine müde Rollengestaltung gezwungen. Anett Fritsch ist – trotz aller Schmink-Verschandelungen – eine attraktive, persönlichkeitsstarke Frau, allerdings mehr Femme fatale -Klischee als Operettendiva, die entschlossen darüber hinwegsingt, dass sie über einen schönen, schlanken Opernsopran, aber nicht über die volle, sinnliche Stimme verfügt, die hier gefordert wäre.

Da Ben Glassberg am Dirigentenpult aus Lehars vielgestaltiger Musik nur ein Tschindarassa macht, kann man sagen, dass an diesem Abend wirklich alles nicht stimmt. Nur eines muss den Kritiker natürlich stutzig machen – der unwidersprochene heftige Premierenapplaus. Heißt das, dass Operette im 21. Jahrhundert wirklich so geht? Das würde allerdings bedeuten, dass niemand mehr die wahre Qualität des Werks erleben und erkennen wird.

Renate Wagner

 

 

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