Hamburg: „La Cenerentola“, Gioachino Rossini

„Sciencefiction“ hatte zu den Frühzeiten des Genres fast immer etwas mit einer nicht näher definierten Zukunft zu tun. Die war, ähnlich wie die Kunstrichtung des Futurismus, ästhetisch bestimmt von einem Bruch mit als veraltet empfundenen Traditionen und einer Verliebtheit in alles Dynamische, technisch Überhöhte. Die Inhalte waren phantastisch oder utopisch und weitab von allem, was an Märchenhaftigkeit aus einem rückwärtsbezogenen 19. Jahrhundert – zumindest in seinen ersten Jahrzehnten – in ein ebenso wenig definiertes Mittelalter blickte.

Photos aus dem Archiv © Klaus Lefebvre

Nun ist die ältere Sciencefiction-Literatur auch schon in die Jahre gekommen und solche einst vor neuartigem Gerät mit vielen Lämpchen, stahlblitzenden Raumschiffen oder entsprechender Architektur strotzenden Filme wie „Metropolis“, „Commando Cody – Sky Marshal of the Universe” (für letzteren Hinweis ein herzlicher Dank an die Filmkennerin Dana Vick!) oder die „Flash Gordon“-Serien wirken heute liebenswürdig-verstaubt, ja geradezu rührend angesichts der bescheidenen technischen Mittel der frühen Filmindustrie. Da mußte schonmal der Inhalt eines China-Böllers reichen, um den Funkenregen aus einem Raumschiff darzustellen.

Hand aufs Herz – sowas fanden unsere Eltern und Großeltern noch „dufte“ und wir aus den 60er Jahren glaubten noch, daß wir nach dem Jahr 2000 in gläsernen Kuppelbauten wohnen würden und mit dem fliegenden Auto irgendwelchen Ufos ausweichen müßten.

Die Zukunft ist hier also schon Geschichte geworden und damit spielt Renaud Doucets Inszenierung von Rossinis „La Cenerentola“ an der Staatsoper Hamburg. Die Produktion hat seit der Premiere 2011 selbst auch schon 13 Jahre auf dem edelstählernen Buckel, aber sie hat durch dieses Spiel mit der futuristischen Ästhetik (Bühnenbild und Kostüme: André Barbe) selbst schon eine Art von Zeitlosigkeit erreicht.

Da bereits mehrfach besprochen, sei hier nur noch einmal auf die Grundidee verwiesen, „die Zukunft in den Augen der Vergangenheit zu zeigen“, so André Barbe in einem Interview im Programmheft. Leitmotivisch zieht sich der meist leuchtende Schriftzug „Diventa sua moglie“ durch die Produktion und in dieser Anweisung, „Werde seine Frau“, steckt ebensoviel Archaik wie Aktualität. Das Aschenbrödel, hier als unterschätzte Büro-Mieze dargestellt, hat den Auftrag, das eigene Glück zu finden und weg vom verachteten Rand der Gesellschaft, durch eine Heirat über den eigenen Stand hinweg das ganz große Los zu ziehen. Heute bauen Frauen ihre Karrieren selbst, aber diese Geschichte geht eben so und wer sie erzählt, muß irgendwie mit den Klischees umgehen.

Der Trick bei dieser Inszenierung ist die Überhöhung des „Dramma giocoso“ vom rein Lustigen ins Karikaturhafte, manchmal Slapstickartige und das Spiel mit Zitaten unter Verwendung aller medialer Möglichkeiten. So ragen nicht nur Wolkenkratzer mit Art-déco-Elementen in einen Himmel, durch den Raketen sausen, wie man sie aus den „Tim und Struppi“-Comics kennt, und alberne, allzu menschenähnliche Roboter rollen entweder als stahlgraues Paar mit Greifarmen oder gleich als Ballettgruppe über die Bühne, nein – es gibt auch eine 30er Jahre-Revue-Treppe und das in den späten 20ern entwickelte Fernsehen wird wie etwas revolutionär Neues in das Bühnengeschehen integriert. Man hätte auch den Untertitel „Drei Ufos für Aschenbrödel“ wählen können.

Das alles macht wirklich Spaß und den haben am 29. Februar offenbar auch alle Mitwirkenden. Solistinnen und Solisten behaupten sich nach anfänglicher Zurückhaltung gegen das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Francesco Lanzilotta; die Hamburger geben Rossinis schmissige Musik mit großer Leichtigkeit, gutem Gefühl für die Dynamik und forschem, aber nicht eilendem Tempo wieder. Bereits für die Ouvertüre spendet das Publikum im etwas karg besuchten Opernhaus herzlichen Beifall.

Raffaela Lupinacci widmet sich der Titelrolle mit klarem, hellem Mezzosopran und ist auch spielerisch absolut überzeugend. Die berühmte Final-Arie mit fein ausgearbeiteten Verzierungen gerät zum abschließenden Höhepunkt ihrer Darbietung. Ihr Prinz Ramiro, der sich ja erst als Diener verkleidet, ist Anton Rositskiy, ein Tenor mit Strahlkraft, der aber in den oberen Höhen achtgeben muß, daß er nicht ins Schreien gerät. Sein Bediensteter Dandini wird von Efrain Solis verkörpert, der nicht nur stimmlich, sondern auch komödiantisch eine wunderbare Leistung abliefert. Das Spaßige wird noch übertroffen von Tigran Martirossian als Don Magnifico, der in köstlicher Weise andere Stimmen imitiert, und in Gestik sowie Mimik echte Lachnummern hinlegt. Die Clownsfrisur hätte man lassen können, die Figur ist ohnehin comichaft überzeichnet.

Photos aus dem Archiv © Klaus Lefebvre

Viele waren sicher vor allem wegen Erwin Schrott gekommen, der als Alidoro erneut eine großartige Probe seines raumfüllenden, gut artikulierten Gesangs abgibt, aber in dieser Rolle kaum Möglichkeiten zu seiner charakteristischen, vielfältigen Modulation und dem Spiel mit dem Libretto hat.

Die beiden zickigen Schwestern sind Kady Evanyshyn (Tisbe) und Narea San (Clorinda), die sowohl Bösartigkeit als auch hysterische Affekte wundervoll erlebbar machen.

Nach geringfügigen anfänglichen Problemen mit der Synchronizität überzeugt der bewährte Chor der Staatsoper Hamburg unter Christian Günther in der gewohnten Stärke und Akkuratesse.

Beim Fallen des Vorhanges mit der Filmplakat-artigen Darstellung einer Fliegerin, die an die berühmten Pionierinnen der Luftfahrt, also an Frauen wie Hélène Dutrieu, Melli Beese, Harriet Quimby, Amelia Earhart oder Margot Duhalde Sotomayor erinnert, spendet das Publikum langanhaltenden, begeisterten Beifall.

Der Traum, sich vom Tellerwäscher zum Millionär hochzuarbeiten, wird hier neuerzählt als Aufgabe einer Bürokraft, den Himmel und damit das Reich der Männer zu erobern. Den Prinzen gibt es dazu. „Glück ab, gut Land!“, Aschenbrödel! Und paß auf die Ufos auf!

Andreas Ströbl, 2. März 2024


La Cenerentola
Gioachino Rossini

Staatsoper Hamburg

29. Februar 2024

Inszenierung und Choreographie Renaud Doucet
Musikalische Leitung: Francesco Lanzilotta
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Nächste Vorstellungen: 3, 8., 12. und 15. März.