Frankfurt, Oper Frankfurt, DIE BANDITEN - Jacques Offenbach, IOCO Kritik

DIE BANDITEN: Als Jacques Offenbach seine Banditen im Dezember 1869 zur Aufführung brachte, konnte er nicht ahnen (oder wie viele Franzosen hoffen), dass Kaiser Napoléon III. bald Geschichte sein würde: Der deutsch-französische Krieg 1870/71 beendete die Monarchie

Frankfurt, Oper Frankfurt, DIE BANDITEN - Jacques Offenbach, IOCO Kritik
OPER FRANKFURT @ IOCO

von Ljerka Oreskovic Herrmann

Als Jacques Offenbach seine Banditen im Dezember 1869 zur Aufführung brachte, konnte er nicht ahnen (oder wie viele Franzosen hoffen), dass der vielgeschmähte Kaiser Napoléon III. bald Geschichte sein würde: Der deutsch-französische Krieg 1870/71 fegte die Monarchie in Frankreich endgültig von der (politischen) Bühne. Les Brigands, wie die Operette im Original heißt und aus der Feder der Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy stammt, bedeutet auf Französisch mehr nur als „Banditen“ – es bezeichnet neben den (heutzutage nicht mehr aktiven) Straßenräubern, Diebe, auch Gauner und Schurken, Menschen denen die Tugend nicht nachzuweisen ist. Und dies umfasst nicht nur die verurteilten Gesetzlosen, nein, dieser Menschentypus ist wohl in allen gesellschaftlichen Kreisen anzutreffen.

Trailer zu »Die Banditen« von Jacques Offenbach | Oper Frankfurt

Diese Doppeldeutigkeit findet sich bereits im ersten Akt, wenn Falsacappa – der Bandenanführer – vier ahnungslose Mädchen in sein Versteck lotst, die von ihm wissen wollen, wohin der Pfad führt. Auf Französisch singt er betont ironisch-ausbuchstabierend von: v-i-r-t-u-e. Der Tugend eben, die bedroht ist – im ganz konkreten Fall von seinen durchaus unsittlich gesinnten Kumpanen, die er abwehren muss. Damit ist der Ton und die Handlung gesetzt und durchzieht das Stück: tugendhaftes Handeln ist ein hehres und ach so rares oder gar unerreichtes Gut. Diese Spitze nimmt Katharina Thoma ihrer kurzweiligen und auf Deutsch gesungenen Inszenierung allerdings, sie betont stattdessen den „Dornenpfad“ der sich harmlos und hübsch anzusehen zwischen den Bäumen entlangschlängelt; fröhlich werden die Mädchen auf einer rechts oberhalb des Orchestergraben installierten Rutsche in die Räuberhöhle geschubst. Ihr ist die Leichtigkeit der Inszenierung wichtig, nicht der doppelte Boden, der sich im Libretto gesteigert durch Offenbachs Musik versteckt. Wobei sie freilich zutreffend formuliert, „dass man hier und da aktualisieren muss, aber man muss nicht jedem Bezug hinterherlaufen.“

Und dennoch böten sich „Bezüge“ an. Der notorisch untreue Napoléon III – hier ist es der Frauenliebhaber Herzog von Mantua – kann durchaus ins heutige übersetzt werden: Untreue ist kein Privileg des Adels, auch auf Zeit gewählte Staatsoberhäupter waren (oder sind?!) untreu, manche hatten, ja leisteten sich sogar eine Zweitfamilie. Vielleicht sollte man hinzufügen: zumindest ist es in Frankreich bekannt. Auch der Hang, den Amtssitz zu vergrößern oder umzugestalten ist nicht auf Monarchen beschränkt. Der Umgang mit Geld will gelernt sein, doch dazu später. Absprachen – hier zwischen Falsacappa und seinen Männer, die mehr Ertrag von ihren „Aktivitäten“ einfordern, oder der Millionenschwere Deal zwischen Granada und  Mantua, was in einer ungeliebten Heirat besiegelt werden soll – gehören nicht der Vergangenheit an; wohl nicht umsonst bemüht Thoma die EU-Symbole. Honi soit qui mal y pense. Und zur Rehabilitation des bis heute verachteten Napoléon III. (und seiner vom Volk wenig geliebten in Granada geborene Gattin Eugenie) sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die französische Hauptstadt, die bis in unsere Tage die meisten Besucherströme aus aller Welt anzieht, ein Verdienst von ebendiesem Kaiser ist: Die Opéra Garnier entstand in seinem Auftrag, wie überhaupt das heutige Stadtbild auf seine Initiative vom berühmten Stadtplaner Georges-Eugène Haussmann gestaltet wurde. Das alte Paris mit seinen engen und gewundenen Gassen war allerdings bis auf wenige Stadtteile perdu.

Jacques Offenbach Grab in Montmartre @ IOCO

Während im ersten Akt der so gar nicht gefährliche Räuberwald (Bühnenbild Etienne Pluss, Licht Olaf Winter) mit den im Hintergrund dazugehörenden Bergen das Bühnenbild dominiert, bildet im zweiten Akt das Innere eines Hotel- und Restaurantbetriebs – ebenfalls mit Ausblick auf die Berge – den Rahmen für die Kostümwechsel und dem sich abwechselnden Personal: Wirtsleute, Spanier, Carabinieri und natürlich die Banditen. Pietro – herrlich Yves Saelens als Falsacappas Stellvertreter – ist für den reibungslosen Ablauf verantwortlich, allerdings hinkt er seiner Aufgabe, wie auch die Carabinieri, die ihr notorisches Zuspätkommen als Gesetzeshüter beklagen, immer etwas hinterher. Falsacappas Coup, an die Millionen, die der Herzog der spanischen Delegation als Schulden bei der Hochzeit tilgen soll, zu gelangen, hat Pietro nicht ganz verinnerlicht, die dafür notwendige Kostümierung vollzieht er aber treuergeben. Gerard Schneider ist nicht nur ein agiler Bandenchef, sondern auch ein äußerst liebevoller Vater und akzeptiert den „ehrlichen“ (von seiner Bande ausgeplünderten) Bio-Bauern, der eine erfolgversprechende Räuberkarriere zu entwickeln beginnt, als Schwiegersohn. Kelsey Lauritano singt und spielt überzeugend den zutiefst sympathischen Fragoletto, der sich nun mal in Fiorella verguckt hat und dafür bereit ist, sein bisheriges untadeliges Dasein gegen die Wagnisse eines Gaunerlebens einzutauschen.

DIE BANDITEN hier Bild Nummer 03: Gerard Schneider (Falsacappa; links stehend mit erhobenen Händen), am Boden sitzend v.l.n.r. Pipo (Kudaibergen Abildin), Ekin Su Paker (Pipetta) und Cláudia Ribas (Pipa) sowie Ensemble @ Barbara Aumüller

Die sehr spanischen Spanier, hereingefahren auf einer Sitzbank, erzeugen die meisten Lacher im Publikum, da sie eine herrliche Parodie aller Spanien-Klischees so ungeniert vorführen und die Inszenierung an Fahrt aufnimmt. Schließlich singen sie von den einzig echten Spaniern und dem verachtenswerten Versuch, sich unverschämterweise als diese auszugeben – wie Recht sie haben, zeigt sich im dritten Akt. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass im 19. Jahrhundert eine in Europa grassierende Spanien-Euphorie herrschte und die beiden Librettisten Meilhac und Halévy sich mit ihrer Bearbeitung von Prosper Mérimées Carmen-Novelle 1875 erneut in die Operngeschichte einschrieben. Bloß ist der Ausgang dieser Opéra-comique, wie Georges Biszets Oper im Untertitel heißt, alles andere als komisch.

DIE BANDITEN, Oper Frankfurt vlnr Gerard Schneider (Falsacappa), Elizabeth Reiter (Fiorella), Yves Saelens (Pietro, Kelsey Lauritano (Fragoletto) @ Barbara Aumüller

Bei Offenbach klingen die Castagnetten noch Spanienseliger, turbulent und verbreiten muntere Stimmung auf der Bühne wie im Zuschauerraum. Die Prinzessin und ihr Gefolge treten stolz in typischer Festtracht oder historisierenden Spanienkostümen auf: Die Frauen tragen allesamt Mantilla, die Männer gemahnen an Toreros – eine kleine, den Stierkampf evozierende Einlage hat sich Thoma nicht entgehen lassen. Und damit kein Zweifel an ihrer echten spanischen Identität aufkommt, lässt die Regisseurin dieses Quartett – Graf von Gloria-Cassis, Prinzessin von Granada, ihr unzertrennlicher Page Adolfo von Valladolid und der Hofmeister – in übertriebener Manier spanisch parlieren, was ebenso für Heiterkeit sorgt. Etwas mehr vom Sprachenwirrwarr – die Fahne der europäischen Union wird später im dritten Akt gehisst – hätte nicht geschadet. Jedenfalls kommt den echten Spaniern das Personal des Restaurants „Zum fröhlichen Grenzverkehr“ spanisch vor. Die echten Wirtsleute – Pipo, seine Frau Pipa und die Tochter Pipetta – befinden sich dagegen, wie schon zuvor die Carabinieri auf der Rutsche befördert, im Weinkeller.

Im dritten Akt soll die Heirat und Geldübergabe zwischen Mantua und Spanien mit einem Hochzeitsfest besiegelt werden, derweil hoffen die Banditen das Geld-Vermögen für sich zu ergaunern. Aber als falsche Spanier überzeugen sie nur kurz in ihren übergestülpten Spanienkostümen, zwar wie die „echten“ auf der Bank herangefahren, dieses Mal in dem etwas heruntergekommenen Palazzo des Herzogs von Mantua. Seine Garderobe (Kostüme: Irina Bartels) dagegen ist tadellos, er trägt standesgemäß Smoking oder empfängt seine Damenschar im opulenten Bademantel, um sie eine nach der anderen – es sind beinahe zwanzig, die sein Boudoir bevölkern – vor seiner Hochzeit zu verabschieden. Und da er eine Auge für schöne Frauen besitzt, fällt ihm allmählich auf, dass ihm die vermeintlich spanische Prinzessin doch sehr bekannt vorkommt: Es ist natürlich Fiorella! Elisabeth Reiter verkörpert die Räubertochter, die ihn im Wald vor der Bande gerettet hat, mit einer Verve und Freude am Spiel; ihre Ausdruckskunst (nicht nur in den Dialogen) reicht von der „lieben-kleinen-Mädchen-Attitüde“ bis hin zur selbstbewussten Ansage, in die Fußstapfen ihres Vaters treten zu wollen. Es ist ihr zu verdanken, dass der Herzog nicht alle verhaften lässt, denn schließlich fühlt er sich ihr verpflichtet. Peter Marsh ist der aus der Zeit gefallene, doch liebenswürdige Aristokrat, der im Grunde nur sein Leben wie bisher genießen möchte.

Interview mit Regisseurin Katharina Thoma zu »Die Banditen« | Oper Frankfurt

Am Ende fliegt alles auf. Auch, dass es gar kein Geld gibt, was wahlweise überreicht oder geraubt werden soll. Antonio, Peter Bronder, verkörpert den herzoglichen Schatzmeister, hat alles verprasst – das von Mantua, nicht sein eigenes Geld! Der bemitleidenswerte, und wie die Gauner ebenfalls klamme, Geldverwalter hat sich die ganze Zeit schamlos aus der Staatskasse bedient und mit seinen jeweiligen Herzensdamen verjubelt. Ein letzter spritzig-fröhlicher Tanz (Choreographie: Katharina Wiedenhofer) beendet das muntere Treiben.

Die Frankfurter Erstaufführung überzeugt mit einem spielfreudigen Ensemble, zumal alle Mitwirkenden am Premierenabend ihr Rollendebüt geben; neben den bereits gennannten singen und spielen die Räuber: Jonathan Abernethy (Carmagnola), Michael McCown (Domino), Jarrett Porter (Barbavano). Die Wirtsleute sind Kudaibergen Abildin (Pipo), Cláudia Ribas (in einer Doppelrolle als Frau Pipa und die Marquise) sowie Ekin Su Paker (ebenfalls in einer Doppelrolle als Tochter Pipetta und die Herzogin).

Theo Lebow als Baron von Campotasso und Dietrich Volle als Kapitän der Carabinieri gehören zum Gefolge des Herzogs von Mantua. Die Spanier werden von Abraham Bretón (Graf von Gloria-Cassis), Juanita Lascarro (Prinzessin von Granada), Tianji Lin (Adolfo von Valladolid, ihr Page) und Pilgoo Kang (Hofmeister) dargeboten. Die vier jungen Mädchen, vom Räuberhauptmann Falsacappa vom Pfad der Tugend auf charmante Weise entführt, sind: Eui Kyung Kim (Fiametta), Konstanze Schlaud (Zerlina), Julia Mattheis (Bianca) und Hyemi Rusch-Jung (Cicinella).

Eine weitere und bedeutende Rolle kommt unter der Leitung von Tilman Michael dem Chor zu, der nicht nur alle Kostüm- und Ortswechsel glänzend bewältigt, sondern – wie immer, sollte man hinzufügen – hervorragend präsent ist und damit diese Aufführung entscheidend mitträgt. Ebenso geht dieses Lob selbstverständlich auch an das Frankfurter Opern- und Museumsorchester, das von Karsten Januschke geleitet wurde. Januschke hat seine Karriere in Frankfurt zunächst als Solorepetitor begonnen, später als Kapellmeister erfolgreich weitergeführt und kehrt immer wieder als Gast an sein ehemaliges Haus zurück. Für Die Banditen hat er das kleinbesetzte Orchester im Graben wie auch die Bühnenmusik (Ku-Hsin Chen, Horn) gut vorbereitet, den Farbenreichtum der Musik herausgearbeitet, „das Tänzerische auf die Bühne“, was für ihn bei Offenbach im Mittelpunkt steht, gekonnt zur Entfaltung gebracht. Januschke weiß aber auch um die andere Seite der Opéra-bouffe: „Zur angesprochenen Leichtigkeit kommt die scharfe Satire hinzu.“

Eine musikalisch gewinnende und mitreißende Darbietung des Orchesters und vom Publikum – wie alle anderen Mitwirkenden sowie das Regieteam – mit großem Applaus bedacht.

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