Alles beginnt mit einer Blechbläserfanfare wie in Monteverdis Orfeo. Und man fragt sich für zwei Minuten, sind wir in der falschen Oper? Es ist aber Strawinsky und das Freiburger Theater spielt an diesem Abend The Rake's Progress. Der Komponist erweist sich eben als wahrer Schelm. Er hat sich nur dem Stil des Frühbarocks angenähert, so wie er sich im Verlauf der Oper einer Fülle weiterer Formen der ganzen Operngeschichte bedient. Aus den besten Rezepten älterer Opernköche hat Strawinsky mit diesem Werk einen musikalischen Festschmaus für Opernliebhaber bereitet. An keiner Stelle zitiert oder kopiert er aber nur, sondern spielt äußerst kreativ mit der Tradition, die er harmonisch oder rhythmisch mit modernen Zutaten würzt – es bleibt eben immer original Strawinsky, der hier seine Könnerschaft im Parodieren beweist.

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Jakob Kunath und Michael Borth (Nick Shadow)
© Laura Nickel

Parodistisch ist auch das Textbuch, das vom Abstieg eines gewissen Tom Rakewell handelt, wie er in einer Folge von Kupferstichen von William Hogarth aus dem frühen 18. Jahrhundert gezeigt ist. Diese haben W.A. Auden und Chester Kallman zu einem Libretto geformt, das ebenfalls aus einer überreichen Fundgrube schöpft – in diesem Fall aus Motiven der Weltliteratur, von der antiken Mythologie über das Faust-Drama, Da Pontes Don Giovanni  bis in die Märchenwelt.

Die Regisseurin Eva-Maria Höckmayr hat sich davon anstecken lassen und auf der Szene auch eine ganze Palette glänzender Ideen ausgebreitet. Da wechseln sich Tragik und Komik, Revue und bitterer Ernst, Realismus und Stilisierung, Tanz und Akrobatik pausenlos ab. Alles aber steht im Dienst der Handlung und erhellt oder konterkariert die Charaktere der Protagonisten. Alle drei Komponenten ergeben über zweieinhalb Stunden einen höchst unterhaltsamen Opernabend.

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Junbum Lee (Tom Rakewell)
© Laura Nickel

Doch was passiert eigentlich? Im ersten Bild sehen wir Tom mit seiner Braut Anne, wie sie sich in putziger Frühlingsidylle ewige Liebe versprechen. Aber zuerst zieht es Tom zum großen Geld. Da tritt Nick Shadow ins Spiel, der fortan Tom nicht mehr von der Seite weicht, ein Zauberer, der ihm alle Wünsche erfüllt, über den Lohn vorerst aber nicht sprechen will. Das Publikum weiß natürlich: Dieser Schatten Toms ist Old Nick, der Teufel. Die Regisseurin stellt ihn als Conférencier dar und dies gleich verdoppelt, wodurch die Rolle noch mehr zum Spielmacher in dieser Versuchsanordnung wird, in der sich Tom in seinen übersteigerten Ansprüchen und seiner Realitätsblindheit selbst ins Verderben treibt – eher kein Wüstling im Wortsinn, sondern unbedarft, mit Flausen im Kopf und leicht manipulierbar.

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The Rake's Progress
© Laura Nickel

Flugs fingiert Nick eine reiche Erbschaft, mit deren Hilfe Tom nun sein Glück machen will. Zuerst schleppt er ihn ins Freudenhaus von Mother Goose, wo der täppische Tom eher ausgelacht wird; denn, über die Liebe befragt, bringt er nur eine melancholische Arie zustande.

Darauf überredet ihn Nick zur Heirat mit der Baba, einer skurrilen Zirkusberühmtheit mit wallendem Vollbart. Die aber quasselt ihn beim Frühstück in Grund und Boden, bis er sie schier erwürgt. Schließlich verhilft ihm Nick zu einer aberwitzigen Erfindung, mit der er die Welt verbessern und zudem sehr reich werden könnte. Deren gescheiterte Vermarktung ruiniert Tom aber endgültig.

Nick fordert seinen Lohn und Tom begreift erst jetzt, dass der Teufel es auf seine Seele abgesehen hat. Diese Szene auf einem Friedhof mit der trockenen Begleitung nur des zirpenden Cembalos wird zum eindrucksvollsten Moment dieser Aufführung. Als wahrhaft existentieller Kampf ist sie inszeniert: Der ruinierte Tom und der um ihn herum tänzelnde, listig auf die Beute lauernde Nick – sie liefern sich einen grotesken Totentanz, in dem letztlich doch der Teufel verliert, weil Tom wider Erwarten die drei Karten errät, die Nick ihm gezogen hat. Aber auch nur, weil ihm im rechten Moment Anne als dea ex machina zu Hilfe kommt.

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Cassandra Wright (Anne Trulove)
© Laura Nickel

Diese Anne Trulove erscheint als eine Verkörperung der wahren Liebe. Unerschütterlich trotz aller Eskapaden Toms hält sie zu ihm, folgt ihm dahin, wo sie sie ihm helfen kann und bleibt auch an seiner Seite, als er schließlich im Irrenhaus landet, nachdem in einer theatralisch turbulenten Szene seine ganze Habe versteigert worden ist.

Mit schönster Mozartstimme, leicht und jugendlich frisch als charmantes Mädel vom Lande singt Cassandra Wright diese Rolle. Junbum Lee bringt als Tom mit wohlklingendem Tenor passend für alle Situationen große Flexibilität auf, sei es in der Emphase, der Melancholie oder dem Wahnsinn. Die beiden Nicks, verkörpert von Michael Borth und Jakob Kunath, geben zwei erstklassige Teufel ab, stimmlich wie darstellerisch, charismatisch, lockend und entschlossen. Wie überhaupt alle Beteiligten in diesem Opernspiel dank der subtilen Personenregie außerordentliche Bühnenpräsenz zeigen. Dies gilt auch für Anja Jung als Mother Goose und keifende Baba, Roberto Gionfriddo als katzenhafter Auktionator und Yunus Schahinger als biederer Vater Trulove.

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Roberto Gionfriddo (Sellem) und Anja Jung (Mother Goose, Baba the Turk)
© Laura Nickel

Das Philharmonische Orchester spielte klangschön, aber das Dirigat von Ektoras Tartanis konnte nicht ganz überzeugen. Der Klang war nicht plastisch genug, oft nicht genug strukturiert und verschwommen, so dass leider nicht alle Details von Strawinskys inspirierender Partitur zu ihrem Recht kamen. Dass dieser Abend dennoch ein großer Erfolg wurde, lag an dem großartigen Ensemble und der kreativen, witzigen und im besten Sinn werkgerechten Regie.

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