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Kritik – "Schneeflöckchen" in Erl Dieses Anti-Märchen muss man gehört haben!

Rarität bei den Tiroler Festspielen in Erl: Nikolai Rimski-Korsakows "Schneeflöckchen" überzeugt vor allem musikalisch. Eine glückliche Entscheidung von Noch-Intendant Bernd Loebe, sie aufs Programm zu setzen.

Rimski-Korsakows "Schneeflöckchen"  | Bildquelle: Tiroler Festspiele Erl

Bildquelle: Tiroler Festspiele Erl

Zuletzt sah man im Erler Festspielhaus immer wieder etliche freie Plätze und wahrscheinlich veranlasste vor allem dieser Umstand den Präsidenten und Mäzen Hans Peter Haselsteiner zu einer eigenwilligen Entscheidung. Bernd Loebe, vielfach prämierter Intendant der Oper Frankfurt, wird nach nur fünf Jahren (die naturgemäß ob der Corona-Zeit keine 'echten' waren) Erl verlassen, ab nächstem Winter wird Jonas Kaufmann das Festival übernehmen.

Bernd Loebe verlässt Erl nach diesem Jahr

Dass Kaufmann keinerlei Erfahrung in solchen Dingen hat, spricht freilich nicht gegen ihn. Erfolgreiche Quereinsteiger gab es schon öfters. Bernd Loebe selbst begann seine Karriere als Musikjournalist. Allerdings verliert man mit Loebe leider eine Koryphäe mit stupendem Sinn für Stimmen, Stücke und Stimmungen. Gerade jetzt etwa ein russisches Werk, das kaum jemand kennt, in Erl vorzustellen, zeugt von Mut und Überzeugung gleichermaßen.

"Schneeflöckchen" wurde 1882 in St. Petersburg uraufgeführt und ist, wie manch vergessene Oper von Nikolai Rimski-Korsakow, ein sehr spezielles Ding. Die Titelfigur wird, wir spoilern einfach mal, am Ende schmelzen, sie ist die Tochter von Frühlingsfee und Frost und bringt mit ihren besonderen Genen die Jahreszeiten durcheinander. Dazu sorgt sie für Liebeswirrwarr. Ein nicht gerade gütiger Zar entscheidet sie zu opfern, damit der Sonnengott (wieder) herrsche.

"Schneeflöckchen": Ein Märchen, das sich verschieden deuten lässt

Natürlich bietet diese Handlung (sie basiert auf einem Märchendrama von Alexander Ostrowski) allerlei Deutungsmöglichkeiten. Florentine Klepper inszeniert das Ganze in einem sehr wandelbaren Raum, mit vertikal und horizontal verschiebbaren Lamellen (Bühne: Wolfgang Menardi), als Psychostück. Eine nicht recht verortbare Gemeinschaft führt seltsame Rituale durch, man vertreibt etwa eine lebendige Strohpuppe, bevor das unschuldige Mädchen mehr und mehr in den Fokus rückt. Anna Sofie Tumas Kostüme sind erstmal streng schwarz/weiß gehalten, nur Schneeflöckchen trägt einen pinken Rock. Im letzten Akt wird die Dorfgesellschaft zu einer Art Sekte mit dezent regenbogenfarbigen Gewändern, die dahinschmelzende junge Frau wird mitleidslos mittig drapiert, ein heller Lichtkegel bestrahlt sie.

Die archaischen Rituale, die Märchenaspekte des Stücks erzählt Klepper zwar ziemlich ausführlich, aber sie wirken eher wie Fremdkörper. Hinzu kommt eine oft recht behäbige Personenführung, vor allem bei jenen, die nicht gerade im Zentrum des Geschehens sind, da wird dann arg ratlos im Halbdunkel herumgestanden. Das Stück ist sehr lang und durchaus langatmig – man braucht einen geduldigen szenischen Atem, der Kleppers Inszenierung oft fehlt. Schließt man mal kurz oder mittellang die Augen, versäumt man kaum etwas. Unfreiwillig rückt so die Musik ins Zentrum und die hat es in sich! Was da an volksliedhaften Motiven, an kirchentonalen Momenten, an üppigen Tutti-Schwelgereien zu hören ist, klingt wirklich wunderbar!

Loebe beweist seine Fähigkeit als Stimmenscout

Dmitry Liss animiert das Tiroler Festspielorchester und die Chöre zu voluminösem, extrem farbenreichen Spiel und Gesang. Alle brauchen zwar zu Beginn eine kurze Auftauzeit, doch dann erlebt man ein fulminantes Raumklangtheater, das einen gerade ob der eigenartig ausufernden musikalischen Dramaturgie mehr und mehr fasziniert. Die Instrumentationskunst von Rimski-Korsakow wird in Fülle erlebbar, einzig das häufige, bis in die 19. Reihe hörbare Mitmurmeln des Dirigenten stört etwas.

Bernd Loebe gilt ja als Stimmenscout par excellence und wird seinem Ruf auch diesmal voll gerecht. Clara Kim singt die Titelpartie hinreißend, mal glockenhell liebes(sehn)süchtig, mal melancholisch dunkel timbriert. Ihre Eltern werden von Victoria Pitts (Frühlingsfee) und Aidan Smith (Frost) überragend interpretiert. Bei den liebenden Herren glänzen Iurii Iushkevich (Lel) mit kraftvollem Melos und Danylo Matviienko (Misgir) mit traumschönen Kantilenen. Ein kräftiger, lauter Tusch gilt dem übrigen Ensemble!

Für Trüffelsucher und Feinschmecker ist diese Aufführung eine dringliche Empfehlung! Gelegenheit gibt es nochmals am 3. und 6. Januar. im Erler Festspielhaus. Ach ja, fast vergessen: die Premiere war äußerst gut besucht!

Sendung: "Allegro" am 28. Dezember ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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