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Opern-Kritik: Bayerische Staatsoper – Die Fledermaus

Das ungarische Prickeln

(München, 23.12.2023) Die ausgereizten Pole des Stücks und seiner Umsetzung passen eben doch zusammen: Das beweist Barrie Kosky als Regisseur so sehr wie der GMD der Bayerischen Staatsoper. Unter Vladimir Jurowski leuchtet Münchens 500-jähriges Staatsorchester.

vonRoland H. Dippel,

Nach der Pandemie- und Streaming-Premiere von „Der Rosenkavalier“ lösen GMD Vladimir Jurowski und Barrie Kosky mit ihrer „Fledermaus“-Inszenierung das zweite Stück ab, welches im späten 20. Jahrhundert unter Carlos Kleiber und Otto Schenk mit unübertrefflichen Besetzungen maßgeblich zum weltweiten Nimbus der Bayerischen Staatsoper beigetragen hatte. In Sachen Figuren-Profilierung kann sich Koskys Regie der Musteroperette über Moral-Erosionen des österreichischen Geldbürgertums ohne weiteres mit der für‘s Fernsehen aufgezeichneten Münchner „Fledermaus“-Sternstunde von vor 40 Jahren messen. Jurowski, der 1997 an der Komischen Oper Berlin Harry Kupfers „Fledermaus“-Produktion als Assistent begleitete, hat damals mächtig viel gelernt. Kurz vor Heiligabend erntete die neue „Fledermaus“ im Nationaltheater einen rauschenden Erfolg.

Szenenbild aus „Die Fledermaus“
Szenenbild aus „Die Fledermaus“

Erwartungsüberdruck

An großen Häusern lastet auf Repertoire-Spitzentiteln mit spezifischer Regionaltradition totaler Überdruck durch Qualitätsmaßstäbe. Im besten Falle sollen diese ein Langzeit-Publikum gewinnen, zur Identifikationsmarke des Hauses werden sowie in mehreren Sängergenerationen Sinn und Form bewahren. Der Münchner „Fledermaus“ von Otto Schenk gelang das neben dessen Münchner „La bohème“ und August Everdings „Zauberflöte“. Bei der „Fledermaus“-Folgeinszenierung des Schauspiel-Überfliegers und Operetten-Novizen Leander Haußmann wurde dagegen bis zur letzten Serie unter Kirill Petrenko immer wieder nachgebessert. Staatsopernintendant Serge Dorny plante das Münchner Kernrepertoirestück als Koproduktion mit Amsterdam. Dessen Fluidum stimmt hier: Die Brillanz des Staatsoper-Chors (unter neuer Leitung von Christoph Heil), die Chorkostüme (Koskycher Non-Binär-Chic von Klaus Bruns) und die den legendären Cockettes nachempfundene Entourage des Prinzen Orlowski. Ob dieses „Glitter and be gay“ in der Maskerad‘ aus der Peripherie der großen Wienerstadt nach einigen Spielzeiten noch so tough und trendy wirkt wie zum vierten Advent 2023, wird sich erweisen.

Szenenbild aus „Die Fledermaus“
Szenenbild aus „Die Fledermaus“

Koskys Kabinettstückerl

Auf der Haben-Seite der Produktion steht, wie Kosky die Figuren in ihrer ambivalenten Allzu-Menschlichkeit belässt, dabei Spaß an den Zuständen nach dem Wiener Börsenkrach und des Uraufführungsjahrs 1874 entwickelt. Kosky konserviert vertraute Dialog-Erfindungen, ohne Traditionen zu krawallbürsten. Zuerst steht das Ehebett der Eisensteins vor Rebecca Ringsts Richtung Art Nouveau und Nachkriegswien blinzelnden Häuserfassaden. Attacca erfolgt die offene Verwandlung in den zweiten Akt. Fahrbare Gerüste zeigen Metall-Gerippe, zum kuschelseligen „Duidu“ senken sich die Lüster. Das Gefängnis im dritten Akt besteht nur noch aus Klettergittern. Nach der Pause ging Kosky beim unter Führung von Max Pollak und Franz Josef Strohmeier zum Tanzsextett vervielfältigten Gefängnisdiener Frosch trotz Stepp-Einlage ein bisschen die kreative Puste aus. Oder war diese Ausnüchterung operettenkonformes Konzept, weil die rauschende Ballnacht das Vorgeplänkel und die Katerstimmung der Rahmenakte überstrahlen muss?

Szenenbild aus „Die Fledermaus“
Szenenbild aus „Die Fledermaus“

Der Chor ist diesmal ein Star – und auch das Ballettensemble, welches unter Anleitung von Koskys Choreographie-Medium Otto Pichler als Mäuse bzw. Fledermäuse die Ouvertüre durchwalzert. Immer wieder schiebt sich so ein ungarisches Prickeln in die Handlung, in die Dialoge und in die Rosalindes Csardas furios begleitenden Tänzer. Was dieses ungarische Prickeln ist, erfährt man nicht genau – aber sicher etwas Unanständiges… Genau gelesen hat die Regie im Textbuch: Sogar die physische Katze blinzelt aus dem Haus, aus dem sich Eisenstein vom Ehe-Mauserl weg zum „himmlischen Fest“ schleicht. Kosky­-Kabinettstückerl par excellence ist der in High Heels und Pailletten-Slip vom Ball zum Dienst robbende Gefängnisdirektor Frank (satte Wiener Volksopern-Kompetenz: Martin Winkler). Kevin Conners als Doktor Blind bleibt unauffällig, Miriam Neumaier gibt eine brillante Schwester Ida mit Strapsen und kesser Lippe.

Szenenbild aus „Die Fledermaus“
Szenenbild aus „Die Fledermaus“

(Sehn-)Sucht nach Amouren und Abenteuern

Weg von der Staatsopern-Galaoperette: Kosky zeigt, dass „Die Fledermaus“ auch aus der Wiener Lokalposse kommt. Die Figuren geben sich schofelig bis charmant und bleiben trotz ihrer manchmal bösen Schnurren sympathisch. Zuerst Rosalinde. Diana Damrau spielt sie als Österreicherin durch und durch – eloquent, ein bisschen schäbig, ein bisschen lässig und unter Glockenlocken, Seidenpyjama, Galaroben ein Vulkan. Das steht genau so bei Haffner und Genée. Katharina Konradi gibt als Zofe Adele eine Überraschungsperle an Temperament und Montur, welche schon beim Winseln über die „sterbenskranke Tante“ mehr tolle Töne reiht als eine „Mein Herr Marquis“-Strophe an Koloraturen hat. Die Herren sind mit Ausnahme vom kräftigen Andrew Watts als Prinz Orlowski in türkiser Textilwolke und Sean Panikkar als Alfred eine Nuance desensibilisiert. Watts ist eine Prachtfigur, die viril ihre Hand zum Kuss reiht und sich damit als führende Ballsirene bestätigt. Panikkar gibt einen heutigen Bilderbuch-Tenor mit echtem Glück bei den Frau‘n, denunziert die Figur nicht zur Kammersänger-Persiflage. Kosky verleiht dem Eisenstein von Georg Nigl fast so großes Gewicht wie der im Partien-Umfang dominierenden Rosalinde. Mit Markus Brück steht Eisenstein als Falke ein Lebemann mit Format und Erfahrung zur Seite. Beide brüllen im zweiten Salonlöwen-Frühling und sind genau in dem Alter, wo sich wieder (Sehn-)Sucht nach Abenteuern und Amouren einstellt. Kosky änderte an den Dialogen weniger, setzte auf mehr Zügigkeit als Otto Schenk. Die Gesamtspieldauer ist noch immer bei dreieinviertel Stunden.

Szenenbild aus „Die Fledermaus“
Szenenbild aus „Die Fledermaus“

Der schöne Schein trügt nicht

Orchestral glitzern die Walzer- und Polka-Arrangements für Streichquartett als Bühnenmusik im Ballakt. Eine derart weiche und transparente, im Volumen dabei üppige „Fledermaus“ ist wahrscheinlich nur in der hell-klaren Akustik des Münchner Nationaltheaters machbar. Jurowski lässt die Orchestergruppen machen und setzt vor allem Akzente für Nebenstimmen, Crescendi sowie für Johann Strauß‘ zahlreiche Glücksgefühl-Harmonien. Der schöne Schein trügt nicht: Vor allem bei Damrau und Nigl zählen mehr die feinen Übergänge als das laute Fortissimo, wird die Gesangsoperette immer wieder zum klug parlierenden und parierenden Konversationsstück. Der vielleicht zwingende Eindruck des Abends war, wie die ausgereizten Pole des Stücks und seiner Umsetzung doch zusammenpassten. Münchens 500-jähriges Staatsorchester leuchtete.

Bayerische Staatsoper München
Johann Strauß: Die Fledermaus

Vladimir Jurowski (Leitung), Barrie Kosky (Regie), Otto Pichler (Choreographie), Rebecca Ringst (Bühne), Klaus Bruns (Kostüme), Joachim Klein (Licht), Christoph Heil (Chor), Christopher Warmuth (Dramaturgie), Georg Nigl, Diana Damrau, Martin Winkler, Andrew Watts (Prinz Orlofsky), Sean Panikkar, Markus Brück, Kevin Conners, Katharina Konradi, Miriam Neumaier, Max Pollak, Franz Josef Strohmeier, Danilo Brunetti, Giovanni Corrado, Deniz Doru, Oliver Petriglieri, Bayerischer Staatsopernchor, Bayerisches Staatsorchester

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