Frankfurt: „Martha“, Friedrich von Flotow (zweite Besprechung)

Als einen „Goldklumpen, den man heben muss“ bezeichnet die Regisseurin Katharina Thoma die einstige Erfolgsoper Martha von Friedrich von Flotow im Programmheft. Damit dieser Klumpen wieder glänzt, reicht das alleinige Heben allerdings nicht – der Klumpen bedarf auch einer gehörigen Portion Politur. Und genau diese hat sie Flotows Oper verabreicht und damit dieses Schmuckstück, das Jahrzehnte lang die meistgespielte Oper weltweit war, erneut zum Funkeln gebracht.

(c) Barbara Aumüller

In der Oper, die zur Regierungszeit von Queen Anne spielt (1702-1714), machen sich zwei gelangweilte Damen aus der Oberschicht einen Jux daraus, sich auf einem Bauernmarkt feschen Pächtern als Mägde anzubieten. Die Regisseurin sieht das für die heutige Zeit genauso, mit dem kleinen Unterschied, dass man sich erst mal auf einschlägigen Dating Apps durch das Angebot swipt und so eine Vorauswahl trifft. Also erstellt Nancy für ihre Herrin Lady Harriet flugs ein Profil auf „Posh Pair“ und schon gibt’s über 500 Matches. Das ist szenisch äußerst raffiniert umgesetzt, mit der Projektion des Bildschirms von der beiden Tablet, auf dem sie sich durch das Angebot swipen, die esoterischen, verweichlichten Yoga-Männer und die biederen Brillenträger schnell nach rechts wischen (Papierkorb), hängen bleiben sie dann bei zwei bärtigen, attraktiven Bauern, deren Profile nach links gewischt werden (interessiert). Das reale Treffen findet dann nicht auf dem Markt zu Richmond, sondern im Festzelt eines Oktoberfestes statt, wo die Gaudi in vollem Gange ist und als Höhepunkt auch eine Mägdeversteigerung abgehalten wird. Unter die Mägde mischen sich auch Crossdresser, die sich einen reichen Daddy schnappen wollen und die (männlichen) Cheerleaders scheinen direkt vom CSD zu kommen. Herrlich turbulent. So geht’s auch weiter; Harriet und Nancy müssen also dem vom Richter bestätigten Vertrag Folge leisten und den beiden Bauern auf den Hof folgen. Der wird allerdings gerade umgebaut, so dass alle vier in einem engen Campingwagen unterkommen müssen. Das ist alles so wunderbar genüsslich und detailverliebt in Szene gesetzt, dass man aus dem amüsierten Schmunzeln gar nicht mehr herauskommt. Die raffinierte Bühne von Etienne Pluss, welche sich die Frankfurter Spezialität der doppelten Drehbühne reichlich zunutze macht, ermöglicht einen unendlichen Reigen von Requisiten, welche die Handlung mit Witz und Schmiss voranbringen. Da fährt Marthas Verehrer Lord Tristan im Mini Cooper vor, um die beiden Mädels von den Bauern zu entführen, da findet die Jagdszene auf dem Golfplatz statt, mit einer Horde von pinken Playboy-Bunnies, die gejagt werden. Es ist einfach alles umwerfend komisch in Szene gesetzt, ohne den Grundgedanken des Werks zu verletzen. Selbstredend ist das alles auch handwerklich kompetent und geschickt inszeniert mit perfektem Timing der Gags, von dem „running gag“ der Treppe vor dem Boudoir Lady Harriets, die Lord Tristan das Leben schwer macht, bis zum Stromgenerator, der von den beiden Mägden auf dem Bauernhof betrieben werden soll (anstelle des Spinnrads im Libretto). Und selbst das aus heutiger Sicht problematische Ende des Werks, das quasi die endgültige Vereinigung von Lyonel und Martha nur dank eines Rings ermöglicht, der Lyonels vornehme Abstammung beweist und somit die Standesunterschiede aufhebt, wird in der augenzwinkernden Interpretation von Katharina Thoma zum amüsanten Moment: Die Queen schwebt ganz im Sinne der ersten Barockopern als veritable Dea ex Machina in Purpurrobe und Hermelinumhang vom Bühnenhimmel und weist Martha den Weg zum Liebesglück, das dann im Campingwagen, auf dem nun „Just married“ steht, seine Erfüllung findet. Neben dem Lob für Szene und Regie gehört auch ein großer Dank an Irina Bartels für die knallbunten und fantasievollen, den Charakteren wunderbar angepassten Kostüme, an Olaf Winter für das Licht, an Michael Schmieder für die Chorgeographie, an den Chor und den Damen-Extrachor der Oper Frankfurt (Einstudierung: Tilman Michael) und vor allem an die Leiterin der szenischen Wiederaufnahme, Caterina Panti Liberovici, die am gestrigen Abend eine ganz besondere zusätzliche Aufgabe übernommen hatte, sie spielte nämlich den Lyonel, da AJ Glueckert krankheitsbedingt absagen musste. Der Einspringer, Gerard Schneider, stammt zwar auch aus dem Frankfurter Ensemble, war am Vorabend jedoch als Lenski an die Komische Oper nach Berlin ausgeliehen worden und musste danach schnell nach Frankfurt zurückreisen. Für szenische Einweisungen blieb also keine Zeit mehr und so sang er die Partie ab Blatt vom Bühnenrand her – und dies ganz beachtlich, mit warmem Schmelz in der Stimme. Vor allem die Tenorarie aller Tenorarien „Ach so fromm – Martha, Martha, du entschwandest“ gelang ihm fein und berührend. In der Titelpartie glänzte Monika Buczkowska mit sicher geführtem, in den Koloraturen perlig agilem Sopran und natürlich frischer Darstellungskunst. Von zartem Vibrato umflort ging die Arie von der „letzten Rose“ zu Herzen. Ganz fabelhaft sang und agierte Katharina Magiera als Nancy: Was für eine wendige, wohklingende und mit sattem Timbre ausgestattete Altstimme. Der bodenständige Plumkett von Erik van Heyningen war ihr ein kongenialer, spielfreudiger Partner, ein echter Sympathieträger in seinem Pullunder und mit den Gummistiefeln. Sebastian Geyer  gab ein herrlich eitler Geck als Lord Tristan mit seinen grellfarbenen Anzügen (türkis und lila) und war verdammt komisch im Kilt auf dem Oktoberfest, wo er seinen Intimbereich gegen die übergriffigen Dirndlmädels zu schützen versuchte. Franz Meyer hatte einen beindruckend komischen Auftritt als Richter am Oktoberfest und der Schlagzeuger Georg Hromadka verdiente sich einen Sonderapplaus durch seine Auftritte mit Trommel, Triangel und Becken auf der Bühne.

(c) Barbara Aumüller

Victorien Vanoosten leitete mit Verve das Frankfurter Opern- und Museumsorchester und ließ den unsterblichen Melodien Flotows das gebührende Quäntchen Schmalz effektsicher angedeihen.

Der Goldklumpen wurde gehoben und mit frischem, neuem Glanz versehen. Diese Oper ist so gekonnt gearbeitet, so einfallsreich in ihrem Reichtum an Melodien, dass sie unbedingt wieder öfter auf dem Spielplan auftauchen müsste. Auch wenn man Flotow einen gewissen Eklektizismus nicht absprechen kann, so ist das Werk doch von zumindest ebenbürtiger QualItät im Vergleich zu häufig anzutreffenden Buffo-Opern und hat mit dem romantischen Touch einen zusätzlichen Reiz.

18. Dezember 2023 Kaspar Sannemann


Martha
Romantisch-komische Oper von Friedrich von Flotow

Oper Frankfurt

Wiederaufnahme am 11. November 2023
Premiere am 16. Oktober 2016
Besuchte Aufführung: 16. Dezember 2023

Inszenierung: Katharina Thoma
Musikalische Leitung: Victorien Vanoosten
Frankfurter Oper- und Museumsorchester

Trailer