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Frankfurt, Oper: DIE NACHT VOR WEIHNACHTEN; 15.12.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Rimsky-Korsakow

copyright aller Bilder: Barbara Aumüller, mit freundlicher Genehmigung Oper Frankfurt

Aufführung des Jahres - im Opernhaus des Jahres

Oper in vier Akten | Musik: Nikolai A. Rimski-Korsakow | Text: vom Komponisten nach dem zweiten Teil der Erzählung Abende auf dem Weiler bei Dikanka von Niklai Gogol | Uraufführung: 28 November 1895 in St.Petersburg | Aufführungen in Frankfurt (Wiederaufnahme): 15.12. | 18.12. | 20.12. | 23.12. | 25.12. | 31.12.2023

Kritik

UND ES LEUCHTEN DIE STERNE

Sie blinken nicht nur aus den hunderten von Lichtdioden, welche in den weiss gefliesten Bühnenraum von Johannes Leiacker eingebaut sind, sie leuchten auch aus dem Orchestergraben, von wo aus uns das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Takeshi Moriuchi auf diesen so wunderbar entspannenden, schon beinahe psychedelischen Trip mitnimmt. Aber es ist ein Trip von der guten Sorte, einer der nur Freude und Beseeltheit hinterlässt. Dies ist dem Zusammenspiel aller Beteiligten zu verdanken, welche Rimski-Korsakows so wunderbar konzipierte und von Wärme und Liebe zu den Menschen, aber vor allem auch zur Natur erfüllte Oper zum Ereignis machen. Der Regisseur Christof Loy führt die Personen mit liebevoller Charakterzeichnung (bis in  die kleinste Chor-Rolle), niemand wird bloß gestellt oder der Schadenfreude preisgegeben. Frei nach Dostojewski entdeckt er in jer Kreatur einen Funken Gottes. Hier wirkt selbst der Teufel (Andrei Popov) sympathisch und bekommt am Ende verdientermaßen großen Applaus. Ihm bei seinen akrobatischen Ausflügen in die Luft zuzusehen, die er mit der auf ihrem Besen reitenden, mannstollen "Hexe" Solocha (mit satter Stimme, herrlichem Timbre und umwerfender Gestaltung: Enkelejda Shkoza) unternimmt, ist ein Riesenspaß. Aber auch der unglücklich verliebte Schmied Wakula, der von Georgy Vasiliev mit so wunderbar phrasierender, weich und angenehm timbrierter Tenorstimme gesungen wird, darf mit dem Teufel durch die Lüfte fliegen, um bei der Zarin die goldenen Schuhe für seine Angebetete zu erbetteln. Bianca Andrews gestaltet diese Zarin (wohl Katharina II.) mit augenzwinkerndem Charme und großartiger stimmlichen Präsenz. Auch diese Szene am Hof in St.Petersburg, mit der herrlich steif choreografierten Rokoko-Polonaise des in der gesamten Oper klangintensiv gestaltenden Chors der Oper Frankfurt (Einstudierung: Tilman Michael) und den akrobatischen Tänzen der Leibgardisten, ist überaus unterhaltsam geraten. Christof Loys Inszenierung beeindruckt insbesondere in den poetischen, den heidnischen und den übersinnlichen Momenten, da breitet sich eine einfühlsame Beseeltheit aus, die echt berührt. Etwa wenn die jungfräuliche Göttin Koljada den Frühlingsgott Owsen sucht und dabei einem riesigen Tanzbären begegnet. Die Göttin ist hier eine Ballerina (Eva Polne tanzt praktisch den gesamten Abend mit bezaubernder Anmut und Leichtigkeit auf der Spitze). Der Bär ist unglaublich lebenswert in seiner Tolpatschigkeit und entpuppt sich in Froschkönig-Manier als verzauberter Prinz: Pascu Orti schließt man sofort in sein Herz. Der Frühlingsgott schwebt dann übrigens später in bayerischer Krachlederner vom Bühnenhimmel (Gorka Culebras). Eine der umwerfensten  Szenen ist natürlich die in der Kammer der liebeshungrigen Solocha, wo sie einen nach dem anderen ihrer Liebhaber empfängt. Da jedoch keiner dieser Dorf-Prominenten vom anderen wissen darf, werden sie kurzerhand in Kohlesäcke gesteckt. Das ist schwankhaft komisch und mit genau der richtigen Prise Derbheit inszeniert.  Wirklich lustig.  Hier und in weiteren Szenen glänzen neben den bereits erwähnten Enkelejda Shkoza als Solocha und Andrei Popov als Teufel auch Inho Jeong (was für ein differenziert gestaltender Prachtsbass) als Tschub, Peter Marsh als stürmischer klerikaler Liebhaber (Diakon Ossip) und Sebastian Geyer als mindestens so notgeiler Bürgermeister.  Die drei sind grandiose Komödianten mit ebenso grandiosen stimmlichen Gestaltungskräften. Changdaj Park begeistert mit seinem gerundeten, klar fokussierten Bassbariton als Panas, dem Kumpel des reichen Tschub, Thomas Faulkner gibt als grotesker Pazjuk auch optisch ein gewaltiges Bild ab. Enkelejda Shkoza gibt neben der Solocha auch noch eine der beiden Klatschtanten des Dorfes, die Frau mit der violetten  Nase. Die Frau mit der gewöhnlichen Nase wird von Barbara Zechtmeister dargestellt. Bei beiden arbeitet die Kostümbildnerin Ursula Renzenrink gekonnt mit Klischees, so wie man sich halt etwas ordinäre Frauenzimmer aus Osteuropa vorstellt: Bond gefärbtes, aufdupiertes Haar, geschmacklose "billige", leicht nuttige Kleidung. Aber wiederum gelingt es Loy mithilfe seiner subtilen Personenführung, auch diese Gossip Versessenen mit einem Funken an Liebenswürdigkeit anzureichern.

VERZAUBERNDER SOPRAN

Julia Muzychenko singt die von Wakula angebetete Oksana: Stimmlich und darstellerisch eine Offenbarung. Was für eine be- und verzaubernde Sopranstimme ist da zu erleben! Nikolai Rimski-Korsakow hat ihr zwei ganz große, ausladende Arien geschrieben, eine koloraturgespickt und bravourös, die andere von lyrischer TraurigkeIt umflort. Beiden Aspekten wird Julia Muzychenko mit ihrem jugendlich leuchtenden Sopran mehr als gerecht. Die Ensembles bereichert sie mit zauberhaft schwebenden Spitzentönen. In ihrer Darstellung paaren sich kecke Verspieltheit und schwärmerische Liebessehnsucht. 

Ein stellares FUNKELN UND FLIRREN erfüllt also diesen pantheistischen Kosmos, orchestral (nur die Hörner hatten stellenweise nicht ihren besten Abend) und szenisch, eine Aufführung, die am Ende beim Zuschauer, bei der Zuschauerin mit dem immense Wärme und Erfüllung ausstrahlenden, grandiosen Schlusschor eine unfassbare Rührung evoziert. Weihnachten eben. Und Gott sei dank hat Rimski-Korsakow diesen Schlusschor nicht als Apotheose für die Zarin (wie in Gogols Vorlage) konzipiert, sondern als Verneigung vor der Kunst, vor dem Dichter Gogol.

Die Vorstellungen sind praktisch ausverkauft - aber wer noch eines der Tickets ergattern kann, darf sich auf einen im wahrsten Sinne des Wortes "wunderbaren" Opernabend freuen!

Inhalt: 

Der Teufel besucht die Witwe Solócha, die eine Hexe sein soll, und kündigt an, ihrem Sohn, dem Schmied Wakúla einen Streich spielen zu wollen. Solócha ist einverstanden, da ihr sonst eventuell das Vermögen von Tschub, dessen Tochter Oxsána Wakúla begehrt, abhanden kommen könnte. Der Teufel bschliesst also, Wakúlas Besuch bei Oxsána und auch das dörfliche Fest beim Küster durch einen Schneesturm zu verhindern. Der Schneesturm fällt gar heftig aus. Die Gäste, die zum Fest wollen, verirren sich. Sie treffen auf Wakúla, der sie jedoch mit der Knute vertreibt. So hat Wakúla Oxsána für sich allein, doch sie macht sich nur über den Schmied lustig. Unter Gelächter ihrer Freundinnen sagt sie ihm die Ehe unter der Bedingung zu, dass er ihr den goldenen Pantöffelchen der Zarin bringe.

Die begehrte Witwe Solócha empfängt nacheinander ihre Freier: U.a. Tschub, Küster, Dorfschulze und selbst der Teufel verstecken sich in Säcken, sobald der nächste Freier eintritt, da sie nicht gesehen werden wollen. Wakúla geht zur Weihnachtsfeier im Dorf. Oxsána weist sein Werben erneut ab. Traurig geht er nach Hause mit einem kleinen Sack, den er bei seiner Mutter mitgenommen hat, weil er darin seine Werkzeuge vermutet. Das Volk öffnet unterdessen die anderen Säcke und sieht belustigt zu, wie die Dorfprominenz den Säcken entsteigt.

Wakúla will sich ertränken, öffnet aber zuerst noch den kleinen Sack. Daraus entsteigt der Teufel. Wakúla droht, ihn ans Kreuz zu nageln, wenn er ihn nicht in die Residenz der Zarin führt. Zufällig empfängt die Zarin gerade siegreiche Kosaken, die Wakúla mit zum Empfang nehmen. Wakúla bittet sie um ihre goldenen Pantöffelchen, welch die Zarin ihm aus ihrem Vorrat bringen lässt.

Oxsána ist nun doch betrübt, als sie erfährt, dass Wakúla sich ertränkt haben soll. Denn heimlich liebt sie ihn ja doch. Da kehrt Wakúla mit den Pantöffelchen der Zarin zurück, überreicht sie Oxsána. Wakula verkündet, dass er nicht verraten werde, ob er tatsächlich bei der Zarin war. „Rudi Panko“ werde die Geschichte aber „mit goldener Feder“ aufschreiben, und man werde sie jedes Jahr zu Weihnachten erzählen. Alle stimmen in den von ihm begonnenen Rundgesang zum Lobpreis des Dichters Gogol ein.

Werk:

Die Vorlage Gogols ist sozialkritischer als die Oper Rimski-Korsakows: Bei Gogol erzeugen die Dorfbewohner selbst die phantastischen Begebenheiten, um sich gegen soziale Ungerechtigkeit und Heuchelei der Obrigkeit aufzulehen. In der Oper dagegen sind dörfliche und überirdische Welt einander gegenübergestellt. Aber dafür gibt's am Ende einen Lobgesang auf den Dichter Gogol und nicht auf die Zarin, wie in der Vorlage. Gekonnt verbindet Rimski-Korsakow in seiner Partitur den Schatz der Volkslieder aus der Ukraine und aus Russland mit der Kunstmusik, orchesteriert mit bezwingender Farbigkeit und verbindet die Figuren mit Leitmotiven. Die einzelnen Nummern sind realtiv kurz gehalten, einzig Oxsána bekommt zwei umfangreiche Arien. Celesta, Harfe und Triolen der Violinen evozieren das Geisterhafte in der Oper.

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