„O Wort, du Wort, das mir fehlt!“ Schönbergs „Moses und Aron“ in Bonn gefeiert

Oper Bonn/MOSES UND ARON/Chor des Theater Bonn, Vocalconsort Berlin/Foto © Sebastian Hoppe

Mit langanhaltendem Applaus bedachte das Publikum die Premiere von Arnold Schönbergs Auseinandersetzung mit dem Judentum und seinem Gottgedanken: „Moses und Aron“, die auf den Erzählungen des Alten Testaments im Buch Exodus über Moses, den Religionsstifter des Judentums und seinen Bruder Aron, seinen ersten Priester beruhen. Das Ringen des Moses um die zehn Gebote wird mit Mitteln der Konzeptkunst dargestellt. (Rezension der Premiere v. 10.12.2023)

 

 

„Die enormen Schwierigkeiten, die eine Realisierung der gewaltigen Partitur bereitet, stehen …einer weiteren Verbreitung des Werkes, das bei den bisherigen Aufführungen starken Eindruck hinterlassen hat, hindernd im Weg“ so schreibt Rudolf Kloiber in seinem „Handbuch der Oper“ 1973 über Arnold Schönbergs Opernfragment „Moses und Aron“. Die Oper Bonn hat es im Rahmen ihres Projekts Focus |´33| gewagt und gewonnen. Mit diesem Projekt forscht man nach Gründen für das Verschwinden und Verbleiben einzelner Opern aus dem Spielplan: Oper Bonn – Focus`33. Im Fall von „Moses und Aron“ sind die Gründe eindeutig: Schönberg hat die ersten beiden Akte der Oper 1930 bis 1932 geschrieben und vom 3. Akt nur den Text einer Szene hinterlassen. Erst kurz vor seinem Tod am 13. Juli 1951 gestattete er, das Fragment aufzuführen und den unvollendeten dritten Akt zu sprechen. Dass die Zwölftontechnik, als deren Urheber Arnold Schönberg gilt, bei den Nationalsozialisten als entartete Musik galt und dass Arnold Schönberg Jude war, der sich mit dieser Oper mit dem Bildverbot des 2. Gebots und generell mit der Stiftung des Judentums als Religion auseinandersetzte, dürfte die Verbreitung nach dem Krieg eher gefördert haben.

Oper Bonn/MOSES UND ARON/Dietrich Henschel (Moses), Martin Koch (Aron)/Foto
© Sebastian Hoppe

Das Bonner Beethovenorchester unter der expressiven Leitung des Bonner GMD Dirk Kaftan, Chor und Extrachor der Oper Bonn sowie der VocalConsort Berlin, Dietrich Henschel als Moses und Martin Koch als Aron sowie 20 namentlich genannte weitere Solisten stellten eine Umsetzung des Librettos auf die Beine, die das anwesende, überwiegend aus Kennern der Zwölftonmusik bestehende Premierenpublikum, restlos überzeugte. Tosender Applaus nach diesem sperrigen Stück belohnte den enormen Einsatz aller Beteiligten in ihren durchweg anspruchsvollen Partien, galt aber auch dem Schweizer Regisseur Lorenzo Fioroni, der der Versuchung, den Tanz um das goldene Kalb 1:1 zu bebildern widerstand und mit seiner Kostümbildnerin Sabine Blickenstorfer, dem Bühnenbildner Paul Zoller und dem Videogestalter Christian Weissenberger starke Bilder fand, Text und Musik des Librettisten und Komponisten Schönberg mit dem Kernthema „Bildverbot“ umzusetzen.

Es ist eine religionsphilosophische Betrachtung, in der Moses den Propheten und Religionsstifter, der auf der reinen Lehre des Bildverbots besteht, und Aron, seinen Priester, der zur Vermittlung Wunder und Bilder benötigt, einander konträr gegenüberstehen. Der Ruf ergeht an Moses von einem brennenden Dornbusch, aus dem Gott, verkörpert durch sechs Solostimmen aus dem Chor und dem im Sprachduktus scheinbar von überall sprechenden Chor, aufgefordert wird, die Existenz des „einzigen, ewigen, allgegenwärtigen unsichtbaren und unvorstellbaren Gottes“ zu verkünden. Der Hirte Moses ist dazu nicht fähig: „Meine Zunge ist ungelenk: ich kann denken, aber nicht reden,“ und er bedient sich seines Bruders Aron, die neue Religion zu verkünden. Dass Aron die Menschen überzeugt hat, verdeutlichen die Kostüme des Chores. Am Ende des ersten Akts legen alle ihre schwarze Kleidung ab und stehen da in weißen Unterkleidern. „Ewiger Gott, du hast uns auserwählt, führst uns ins gelobte Land. Wir werden frei sein.“

Die längste Vorbereitungszeit hatte wohl der fast hundertköpfige Chor aus Chor und Extrachor der Bonner Oper und dem EnsembleVokal Berlin, die seit 2019 von seinem Chorleiter Marco Medved detailliert angeleitet wurden, die bis zu 12-stimmigen zum Teil dissonanten Chöre zu singen. 

Oper Bonn/MOSES UND ARON/Chor des Theater Bonn, Vocalconsort Berlin, Martin Koch (Aron)/Foto © Sebastian Hoppe

Die anspruchsvolle Tenorpartie des Aron – kein Ton ist bei der Zwölftonmusik vorhersehbar, weil es keine Tonarten mehr gibt, und alle zwölf Töne der Oktav sind gleichberechtigt – sang und spielte Martin Koch, Ensemblemitglied der Kölner Oper und Experte für Neue Musik, souverän. Er entfachte mit seinem heldischen Tenor das Charisma eines Demagogen. Sein Alter Ego, Bariton Dietrich Hentschel, gestaltete die als Sprechpartie auf vorgegebene Tonhöhen notierte Rolle des von Zweifeln geplagten Moses mit extremem Körpereinsatz. Beide wirkten wie Zwillinge mit identischer Maske und gleicher Kleidung. In den ersten beiden Szenen sind sie zwei mit übergroßen Köpfen mit jüdischen Attributen Kasperlefiguren in einem pastoral anmutenden barocken Bühnenbild, in dem der Dornbusch und Schafe als Scherenschnitte vorkommen, später kommt das im Stil des späten 19. Jahrhunderts festlich schwarz gekleidete Volk, der riesige Chor, dazu. Die Wunder, die Aron wirkt, werden durch grelle schwarz-weiße Videofilme im Stil von Nosferatu gezeigt, so verwandelt sich Moses´ Hirtenstab in zischende Schlangen.

Die Unruhe, die aufgrund von Moses´ 40-tägiger Abwesenheit im Volk aufkommt, will Aron besänftigen. Er sammelt Goldschmuck vom Volk ein, um das goldene Kalb zu gießen. Ich habe zur Vorbereitung die Produktion aus der Jahrhunderthalle Bochum in der Regie von Willy Decker unter der Leitung von Micael Boder gesehen und mich gefragt, wie man in Bonn den von Schönberg sehr drastisch bebilderten Tanz um das goldene Kalb umsetzen würde.

Oper Bonn/MOSES UND ARON/Dietrich Henschel (Moses)/Foto © Sebastian Hoppe

Aber es gibt in Fiorinis Inszenierung kein goldenes Kalb, keine Opferung der vier nackten Jungfrauen, keine Orgie. Dietrich Henschel als Moses ist allein in einer weißen Zelle und setzt seinen nackten Körper ein, um mit anthrazitfarbener und roter Farbe die Wände und seinen Körper zu beschreiben – mit Alpha und Omega, es werden aber auch die Zahlen 1 bis 10 stellvertretend für die zehn Gebote eigeblendet. Es erinnerte an Konzeptkunst eines Wolfgang Flatz, der sich als Glockenschwengel aufhängen ließ. Henschel druckte mit seinen in Farbe getränkten Körper seine Kontur auf die Wand, während immer wieder Gegenstände von der Decke fielen und aus dem Hintergrund die Gesänge zum Tanz um das goldene Kalb ertönten. Damit wollte Fioroni die Zerrissenheit und die Skrupel des Moses ausdrücken.

„Er hat uns auserwählt von allen Völkern, das Volk des einz´gen Gottes zu sein; ihm allein zu dienen, keines anderen Knecht!“ singt das Volk am Schluss, einer Feuersäule folgend. Der Bezug zum Nahost-Konflikt drängt sich auf, denn Schönberg war Anhänger des Zionismus.

Moses erkennt am Ende sein Scheitern: „So war alles Wahnsinn, was ich gedacht habe, und kann und darf nicht gesagt werden! O Wort, du Wort, das mir fehlt!“, und rammt sich ein Messer in den Bauch, denn er selbst ist die Gesetzestafel, die er zerstören will. Damit schafft Fioroni eine völlig neue Aussage, denn mit dem Suizid des Moses erübrigt sich der dritte Akt. Es ist eine zutiefst religionsskeptische Auslegung, die Lorenzo Fioroni hier nahelegt. Man könnte das Ganze auch als Religionskritik vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts sehen. Aber politisch betrachtet wäre es falsch, die Ursache nur in Glaubensdifferenzen zu sehen.

Oper Bonn/MOSES UND ARON/Chor des Theater Bonn, Vocalconsort Berlin/Foto © Sebastian Hoppe

Der Tanz um das goldene Kalb hat entgegen dem Libretto szenisch nicht stattgefunden, stattdessen das Ringen des Moses mit einem biblischen Gott, der ihn mit Geboten von oben zumüllt. So zeigt Fiorini die Religion als Müll oder als Kasperletheater und verletzt damit die Gefühle gläubiger Zuschauer. Ich vermute eher, dass Schönberg der Verwerflichkeit menschlichen Tuns und Handelns, symbolisiert durch die Exzesse um das goldene Kalb, die Religion, insbesondere die zehn Gebote, als zivilisierendes Element entgegenstellen wollte. Er zeigt es an Moses, der allerdings gegen die Diesseits-Orientierung der Menschen nicht ankommt.

Das alles mindert nicht die große musikalische und darstellerische Leistung der Akteure auf der Bühne. Im Foyer der Bonner Oper wird eine sehr sehenswerte Ausstellung über „Moses und Aron“ gezeigt, die von Frau Dr. Ulrike Anton, Leiterin des Arnold-Schönberg-Center in Wien, eröffnet wurde.  In dieser Ausstellung werden Exponate aus Wien gezeigt, die zeigen, dass es zahlreiche weitere Inszenierungen von „Moses und Aron“ gab, zum Beispiel 1974 in Caesarea (Israel), 1979 in Köln, 1982 in Wien, 1996 in Salzburg und 1999 in New York. Die Bonner Inszenierung hat zu lebhaften Diskussionen angeregt und gezeigt, dass „Moses und Aron“ trotz der Herausforderungen der Umsetzung im Kernrepertoire des modernen Musiktheaters angekommen ist.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Bonn / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Bonn/MOSES UND ARON/Chor des Theater Bonn, Vocalconsort Berlin/Foto © Sebastian Hoppe
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