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Magdalena Kozená (als Carmen) und Jonas Kaufmann (als Don José).

Foto: AP / Kerstin Joensson

Für einen Intendanten, der plötzlich einem Festival vorstand, das nur noch aus einem Namen - Salzburger Osterfestspiele - bestand, da sich die Berliner Philharmoniker entschlossen hatten, Salzburg zu verlassen, wirkt Sir Peter Alward fast schon gütig: "Es gibt nichts Neues über die Vergangenheit zu sagen. Wichtig ist, dass wir die Festspiele jetzt in großer Würde und in höchster künstlerischer Qualität über die Bühne gehen lassen. Alles andere hat keinen Sinn. Ich kann natürlich nicht verhehlen, dass ich eine gewisse Wehmut verspüre. Man kann nicht so lange mit Leuten zusammenarbeiten und nichts für sie empfinden. Es gibt zwischen Simon Rattle und mir überhaupt keine Ressentiments, und ich halte die Berliner nach wie vor für ein wunderbares Orchester. Die Welt ist groß genug für alle. Die Berliner wechseln nach Baden-Baden, wir haben ab 2013 eine neue Konstellation mit Christian Thielemann und der fabelhaften Staatskapelle Dresden, was mich sehr freut."

Wehmut, falls vorhanden, lässt sich Dirigent Simon Rattle, der zu dem Ende der Berliner Tätigkeit in Salzburg ebenfalls schweigt, nicht anmerken. Entspannt plaudert er mit Alward und wird ironisch bis schwärmerisch redselig, so es um Bizets "Carmen" geht - jene bekannteste aller bekannten Opern, die heuer in der Inszenierung von Aletta Collins präsentier wird. " Es ist schwer für dieses Stück zu scheitern, aber wir werden unser Bestes geben! Im Ernst: Alles, was man tun kann, ist, sich dem Werk mit jenen Respekt zu nähern, den man auch Mozart-Opern entgegenbringt."

Eine leise Oper

Rattle nennt sich selbst eine "Carmen"-Jungfrau. "Ich kenne die Oper praktisch mein ganzes Leben lang, aber ich habe die Partitur vor vier Jahren erstmals gesehen. Es ist interessant, ein Werk so lange zu kennen und erst spät die Note in die Hand zu bekommen. Ich dachte, Carmen sei eine sehr laute Oper. Das stimmt nicht. Da wird so viel pianissimo verlangt, es ist erstaunlich, wie viel leise Musik da drin ist. Es soll so angelegt sein, dass die Sänger flüstern können, wenn es nötig ist."

Dass es allerdings im großen Festspielhaus mitunter nicht so einfach ist, zwischen Orchester und Sänger die richtige Balance bezüglich der Lautstärke zu finden - dessen ist sich Rattle bewusst. "Ich versuche es, wie Kofi Annan zu formulieren: Die Berliner Philharmoniker waren nie dafür bekannt, zu leise zu sein. Aber bei 'Carmen' ist es keine große Besetzung, maximal 60 Leute. Klar ist die Akustik hier besonders, selbst die Met ist nicht so heikel." Aber in Griff zu bekommen. Das hat etwa Dirigent Christian Thielemann vergangenen Sommer mit der "Frau ohne Schatten" demonstriert. Selbiger Thielemann, der ab 2013 mit der Staatskapelle Dresden Rattle und die Berliner in Salzburg ablösen wird, die 2013, zeitgleich, in Baden-Baden die "Zauberflöte" zeigen. Alward weiß natürlich, dass dies zu einem großen österlichen Orchester-Match hochstilisiert wird.

Gerüchteweise habe Baden-Baden sogar in Salzburg ein Büro bezogen, um Publikum abzuwerben. "Nein, das stimmt nicht. Ich habe hier auch unlängst mit dem Intendanten von Baden-Baden sehr informell zu Abend gegessen." Alward befürchtet keinen Exodus des Publikums: "Die Wahl Thielemanns wurde äußerst positiv aufgenommen. Wir bekommen viele Anfragen von Leuten, die in den letzten Jahren nicht da waren. Ich habe auch von keinem Förderer gehört, der gesagt hätte: 'Jetzt, wo die Berliner weggehen, gehe ich auch weg!' Es kann sein, dass einige beides probieren wollen, Salzburg und Baden-Baden, aber wir leben jedenfalls seit 1967 mit einer treuen Anhängerschaft."

Man wird sehen. Zuerst jedoch muss Carmen sterben. Dieses Mal also die Frau des Dirigenten, Magdalena Kozená, welche sich offenbar gründlichst auf die Rolle dieser freiheitsliebenden Figur vorbereitet hat. Rattle: "Ich lebe mit einer Carmen zusammen, die lange mit Flamencotänzern gearbeitet hat, um zu lernen. Carmen muss singen, aber es geht auch um eine spezielle Art, sich zu bewegen und zu tanzen." Man wird die Ergebnisse übrigens auch bei den kommenden Salzburger Festspielen sehen können, Carmen wird im Sommer auferstehen. Alward wird sicher dabei sein.

Wie es für ihn nach 2013 zu Ostern weitergeht, sagt er indes nicht. "Ich bin in Diskussion", so jener Mann, der nach dem Finanzskandal um den ehemaligen Osterspiele-Geschäftsführer Michael Dewitte als Helfer geholt wurde, um später zu erleben, dass just jene, die ihn geholt hatten, die Berliner, selbst weggehen. Seltsame Erfahrung? "Langweilig war und ist es jedenfalls nicht."   (Ljubisa Tosic,  DER STANDARD, 31.3./1.4.2012)