Lydia Steyers Aida in Frankfurt

Kriegsfolgen auf allen Seiten

An der Oper in Frankfurt hatte Giuseppe Verdis „Aida“ in der packenden Inszenierung von Lydia Steyer Premiere

Von Roberto Becker

(Frankfurt, 6. Dezember 2023) Über eine Neuinszenierung von Verdis „Aida“ kann man sich spielend aufregen. Aus den verschiedensten Gründen. Je nach Erwartungshaltung: etwa wenn sie zu sehr nach ägyptischem Postkartenkitsch aussieht – oder überhaupt nicht. Wenn sie den Krieg zwischen zwei sagenhaften afrikanischen Königreichen blutig illustriert oder das zugunsten einer psychologischen Tiefenlotung beim Spitzenpersonal eher ignoriert. Wenn sie die unmögliche Liebe zwischen dem ägyptischen Feldherrn und der äthiopischen Königstochter, die unerkannt als Sklavin am ägyptischen Hof lebt, zu sehr ins Zentrum rückt oder eben nicht.

Das größte Potenzial für Gelingen oder Scheitern einer „Aida“ bietet aber der szenische Umgang mit dem Hit der Oper, für dessen musikalisches Auftrumpfen Verdi sogar spezielle Trompeten bauen ließ. Da triumphieren die siegreichen Verteidiger über die gefangen genommenen Angreifer. Über den Kontext eines offenbar verfahrenen und schon lange andauernden Konflikts erfahren wir nichts. Nur, dass die äthiopischen Angreifer beim jüngsten Überfall ziemlich gewütet haben müssen. Und, dass sich die Mehrheit der Sieger lautstark die Ermordung aller Gefangenen wünscht und sich damit ebenso ins Unrecht setzt.

Daran, dass besonders beim Triumphmarsch gelegentlich auch heute noch die metaphorischen Elefanten aufmarschieren, ist Verdi selbst nicht ganz unschuldig. Er hatte sich sein Arena-di-Verona taugliches Werk seinerzeit vom Auftraggeber in Kairo so sündhaft teuer bezahlen lassen, dass er auch liefern musste. Ein Meisterwerk ist es natürlich trotz allen Bombastes. Musikalisch sowieso, aber auch der Plot hat für ambitionierte Regisseure genügend Notausgänge in die Gegenwart. Legendär ist vor allem der Aufreger, den Regielegende Hans Neuenfels 1981 hier in Frankfurt mit seiner Deutung verursacht hat. Das war sowohl ein Markstein der Rezeptionsgeschichte dieses Werkes im Speziellen, als auch einer des auf Gegenwart zielenden Musiktheaters im allgemeinen. Mit ähnlicher Vehemenz gelang das Peter Konwitschny noch einmal in Graz dreizehn Jahre später. Die beiden Protagonisten des sogenannten Regietheaters setzten sich nicht nur von allen historisierenden Kitsch-Klischees ab (wie sie heute gleichwohl auch noch zu erleben sind), sondern boten einen eigenen Blick ins Innere des Werkes und seiner Protagonisten.

Das macht Lydia Steyer mit der ersten Frankfurter Neuinszenierung des Verdi-Klassikers nach Neuenfels auch. Sie nimmt sich vor allem die Wirkungen des Krieges und seiner Blutopfer vor, die sich in der Psyche der Herrschenden niederschlagen und blendet diese Nahaufnahmen vor Bilder einer packenden Opulenz des Grauens. Bei ihr stehen der Oberpriester Ramfis und die Königstochter Amneris im Mittelpunkt.

Das Ambiente, mit dem Katharina Schlipf die Bühne komplett ausgefüllt hat, ist ein heruntergekommenes orientalisches Bad. Die Kostüme von Siegfried Zoller deuten in Richtung Gegenwart. Die Art-déco-Wandleuchter funktionieren noch. Das Wasserbecken wird gerade vom Hallenwart Radamès abgedeckt. In diesem gekachelten Raum pflegt Amneris ihrer obsessive Vorliebe für blonde Perücken. Wenn sich die Riesenwandtüren öffnen, kommen an die hundert ausgestellte, unterschiedlich frisierte blonde Perücken zum Vorschein. Sklavinnen (mit schwarzen Einheitsfrisuren) knüpfen und pflegen sie. Was sich als lebensgefährlich herausstellt. Auf das Missgeschick einer Sklavin, der ein blondes Strähnchen zum Opfer fällt, reagiert diese Amneris mit einem perversen Temperamentsausbruch. Sie sticht dem armen Ding die Augen aus und eine andere gleich noch nieder. Zu ihren Obsessionen gehört aber auch Radamès. Wenn sie ihm in die Brustwarzen kneift und zublinzelt, geht sie wohl davon aus, dass er das als Auszeichnung empfindet und erwidert.

Der Oberpriester Ramfis wiederum ist der eigentliche Herrscher in diesem durch und durch verdorbenen Staatsgebilde. Der König in Galauniform auf seinem Thron in der Höhe über dem Hauptportal der Halle ist hier offensichtlich nicht mehr als eine Marionette. Er erleidet obendrein in aller Öffentlichkeit einen Schwächeanfall und muss wiederbelebt werden. Kiowan Sim nimmt diese Eigenheit seiner Rolle gleich so ernst, dass er bei der zweiten (besuchten) Vorstellung beim Schlussbeifall nicht mehr dabei ist.

Dass die Entwicklung von Amneris hier tatsächlich eine sprichwörtliche Fallhöhe bietet, bis sie sich selbst am Ende aufgibt, zu diversen Drogen greift und schließlich von Ramfis mit einer Spritze ins Jenseits befördert wird, ist das eine. Claudia Mahnke läuft dabei aber auch mit ihrer Mezzo-Eloquenz zu vokaler Hochform auf.

Eine ähnliche Doppelherausforderung bewältigt auch Andreas Bauer Kanabas als Ramfis Ihn verfolgen seine Dämonen von Anbeginn in Gestalt von zwei gespenstischen Todesvögeln mit blutigen Schnäbeln. Nur für ihn (und das Publikum) sichtbar fordern sie Menschenopfer. Hier in Gestalt eines kleinen Jungen, den er eigenhändig tötet und diesen Dämonen vor die Füße (bzw. in ihr Nest) wirft. Dass der ihm später als Teil einer Marienerscheinung hinter einer der Türen wieder begegnet, macht Sinn. Als er bemerkt, dass auch das nur eine Halluzination war, wird das für ihn zum Zeichen des eigenen Verfalls. Die Pistole, die er ganz am Ende in der Hand hält, kann er nur noch auf sich selbst richten. Da hatten sich die Türen des Hauptportals vor dem angeketteten Radamès und der zu ihm geeilten Aida bereits geschlossen. In die Kategorie der von ihrer Kriegsfixierung völlig verbogenen Charaktere gehört auch Aidas Vater Amonasro (Nicholas Brownlee), der seiner Tochter ohne Skrupel den Gebrechlichen vorspielt, um sie zum Verrat an ihrem Geliebten zu bewegen.

Stefano La Colla hat zwar das differenzierte Spiel nicht gerade erfunden; fasziniert aber als Radamès mit einer trompetenklaren, standhaften Höhe. Ekaterina Sannikova nutzte ihre Chance als Aida-Einspringerin, sich mit unaufdringlichem Spiel und vokaler Intensität zu profilieren.

Dass der Triumphmarsch eigentlich nur ein Triumph der Finsternis ist, wird überdeutlich, wenn vor dieser zentralen Szene den Zuschauern bei geschlossenem Vorhang in der Dunkelheit des Saales ein akustischer Luftangriff um die Ohren fliegt. Beim Triumphmarsch selbst beeindruckt der eklatante Kontrast zwischen der noblen Abendgarderobe der Damen an der Seite ihrer vorwiegend greisenhaften Herren und ihrem unterirdischen Verhalten den Besiegten gegenüber. Erst müssen die ihre Kleider ablegen, dann im Wasser auf die Knie gehen. Zum eigenen Vergnügen veranstaltet diese dekadente Bagage eine Art russisches Roulette. Alle müssen einen Drink nehmen und die Damen wetten darauf, wer an dem mit Gift versetzten vor aller Augen stirbt. Hier läuft der von Tilman Michael einstudierte Chor auch zu darstellerischer Hochform auf. (Schade, dass auch der sich schon vor dem Schlussapplaus verabschiedet hatte und so auf redlich erarbeiteten Beifall verzichtete.)

Lydia Steyers Inszenierung ist ein Ereignis, das schon in der zweiten Vorstellung nicht mehr auf den von der Premiere berichteten Widerspruch stieß. Beim Gesamtkunstwerk geht die Szene diesmal sogar noch vor dem Opern- und Museumsorchester mit Erik Nielsen am Pult durchs Ziel. Hier bleibt noch Spielraum sich der überwältigenden Wirkung der Szene weiter anzunähern.

 

Werbung

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert