1. Startseite
  2. Kultur
  3. Theater

„Aida“ an der Oper Frankfurt – Geschlossene Gesellschaft

KommentareDrucken

Guanqun Yu als Aida. Foto: Barbara Aumüller
Guanqun Yu als Aida. Foto: Barbara Aumüller © Barbara Aumüller

Es ist immer Krieg, und die Alten schicken die Jungen ins Feld: Lydia Steier beschert der Oper Frankfurt eine zutiefst finstere, sowohl verrätselte als auch überdeutliche „Aida“.

Ein schwieriger Abend, und die Erwartungen sind hoch. Nach 42 Jahren hat die Oper Frankfurt eine neue „Aida“-Produktion. Die Vorgängerin von Hans Neuenfels war seit 1981 ein Streitobjekt und Stolz der Stadt, über die jeder eine Meinung hatte, und sei es eine aus zweiter und dritter Hand.

Giuseppe Verdis gar nicht so oft inszeniertes Prunkstück ist ein Inbegriff der Oper, darin gibt es neben der Liebe und Treue, dem Verrat und Tod auch ein mächtiges Rufen nach Krieg und Kampf. Bei Verdi muss man das zivil verstehen, wie sich auch sein Ruf nach dem Vaterland (dutzendfach auch im „Aida“-Text) nicht gegen andere, sondern ins italienische Innere richtete. Regisseurin Lydia Steier nimmt es dennoch finster – wie sollte sie auch nicht in dieser, unserer Welt – und den „Guerra! Guerra! etc.“-Chor zum Anlass, uns die Männer in ihrer „Aida“-Lesart vorzustellen: alte, gesundheitlich angegriffene Herrschaften, über die wir nicht richten wollen. Das übernimmt Lydia Steier schon selbst, die das Problem der Überalterung der Macht ins Karikatureske treibt. Die, die das Sagen haben, hochdekoriert, betreut von stillen jungen Frauen, sind nicht mehr satisfaktionsfähig, aber den Krieg setzen sie unbeirrt fort. Für die Schlacht muss frisches Blut her, da kommt der schüchterne Hausmeister Radamès gerade recht.

Wo sind wir hier, was ist hier los? Man muss dazu sagen, dass der Abend sich eng an Steiers Heidelberger „Aida“ von 2011 anlehnt; sie selbst sprach von einer Weiterentwicklung; Katharina Schlipfs Bühnenbildidee kam ebenso erneut zum Zug wie Siegfried Zollers Kostüme. Auf Fotos besteht Verwechslungsgefahr.

Das Ende der Zeiten, jedenfalls der ägyptischen Hochkultur ist nahe beziehungsweise schon überschritten. Die von Klappergreisen angeführte bessere Gesellschaft hat sich in eine Art Bunker zurückgezogen, Art-déco-Wandlampen erinnern daran, dass das einmal schick war, jetzt sind die gekachelten Wände angegammelt, hinter den Mitteltüren eine Folterkammer (nachher die Gruft, in der Radamès eindrucksvoll angekettet wird), in der eine Gruppe adretter Dienstmädchen (Sklavinnen) zur Ouvertüre den Boden schrubbt. Ein blutiger Sack wird weggeschleppt. Wer nicht zum Personal gehört, trägt Abendgarderobe, Bewaffnete sind nicht zu sehen, ein Harlekin und Muskelprotz erledigt die gröbsten Arbeiten. Alles ist unter Kontrolle.

Markant, dass der „ägyptische“ Kult offenbar bereits untergegangen ist. Der vormalige Oberpriester Ramfis, Andreas Bauer Kanabas, auch er Zivilist, hört die Chöre wie Geisterstimmen aus den Wänden, es quält und graust ihn. Nur die Menschenopfer werden offenbar weiterhin gefordert, vielleicht bildet Ramfis sich das aber auch nur ein. Aus der Mitteltür schiebt sich ein riesiges Nest mit zwei Statisten mit Vogelköpfen, Schnäbel und Krallen blutig. Ah, da läuft schon ein Kind vorbei. Ramfis mag nicht, die Vögel winken und nicken, also rafft er sich doch auf, tötet des Kind, legt es den Vögeln ins Nest.

Hier herrscht Menschenverschleiß, und es ist die Jugend, die für die und von den Alten routiniert hingegeben wird. Kein Hauch von Gegenwehr.

Dies gilt auch für die Sphäre der Amneris, einer unglücklichen Sadistin. Sie hat sich in der Bunkereinöde der Kultivierung ihrer Marlene-Dietrich-blonden Perücken verschrieben, tatsächlich befinden wir uns in einer Art Fertigungshalle. Perücken en masse bereits in den Regalen, davor eine Reihe Dienerinnen, die mit der Ein- bzw. Entfärbung der Haarsträhnen befasst sind. Das Material stammt von Frauen, die ihr schönes schwarzes Haar ungern hergeben. Danach bekommen sie eine der schlichten dunklen Pagenperücken, wie auch Aida selbst eine trägt (Frauen in eine puppenhafte Einheitlichkeit gezwungen, ein vertrautes Steier-Motiv, denken Sie an ihre Frankfurter „Iolanta“). Die Dienerinnen, völlig ausgeliefert, leben auf Messers Schneide. Einer, die ihr beim Kämmen versehentlich ein blondes Löckchen herauszupft, sticht Amneris die Augen aus, eine andere wird noch massakriert, weil die Prinzessin gerade im Schwung ist.

Man begreift, dass Steier diese Leute, die Macht haben, die Gefangene ihrer eigenen Hirngespinste und ihres öden Unglücklichseins sind, die andere brutal in ihre Geschichten hineinziehen, einfach nicht davonkommen lassen will. Aber wenn man es dann begriffen hat, kommen noch mehr und noch mehr Belege. Und da Claudia Mahnke in ihrem Rollendebüt nicht nur eine gut grundierte, seelenvolle Amneris singt, sondern auch eine glänzende Schauspielerin ist, wird man ihr lieber dabei zusehen, wie sie eine zutiefst unsichere Frau zeigt, die Blickkontakt zu Radamès sucht in der Hoffnung, dass es für sie noch gut ausgehen kann (kann es nicht). Auch das bringt Steier ins Bild, aber es überwiegen die Illustrationen eines Alptraums, vornehmlich der Alptraum des halluzinierenden Ramfis, aber auch einer insgesamt befangenen Gesellschaft, die Sekt trinkt, Menschen quält und andere in ihre Kriege schickt.

Lydia Steier will, dass wirklich jeder begreift, was die Stunde geschlagen hat. Der Feldzug des Radamès wird durch eine Geräuscheinlage vorm geschlossenen Vorhang begleitet. Einschläge und Gedonner, das macht Eindruck, ist freilich auch eine geschmackliche Grenzüberschreitung, wenn man daran denkt, wie viele Menschen in diesen Tagen so etwas hören und um Leib und Leben fürchten müssen.

Klar ist aber auch, dass Steier das Gegenteil im Sinn hat – den Krieg eben gerade nicht zu einem harmlosen Bestandteil triumphaler Szenen zu machen. Das Sinistre ihres Blickes kann zur Folge haben, dass man zumindest die Chöre nimmermehr oder so bald nicht mehr mit der gewohnten schwungvollen Heiterkeit wird anhören können. Steiers Bilder geben ihnen neben der Verschattung auch Zynismus und böse Ironie mit – das Flehen der durch eine gebeutelte Statisterie vertretenen äthiopischen Gefangenen übernimmt die höhnende Festgesellschaft. Die Gefangenen, auch dies waghalsig, werden selektiert und bis auf die Unterwäsche entkleidet. Ein Völkermord könnte im ägyptischen Kalkül liegen, den der Ex-Hausmeister Radamès, ernster und stiller aus dem Krieg heimgekehrt (sofern sich das über einen Tenor sagen lässt), bekanntlich verhindern kann.

Musikalisch liegt eine merkwürdige Befangenheit über dem Alptraum. Dazu passt, dass unter den guten Männerstimmen es der grobianisch nüchterne und völlig zielorientierte Äthiopierkönig Amonasro, Nicholas Brownlee, ist, der am kraftvollsten aufsingt. Triumphal in Format und Disziplin auch der Chor/Extrachor, einstudiert von Tilman Michael. Ungewohnt verhalten hingegen das Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Erik Nielsen, der mit eher gedrosselten Tempi arbeitet und auch nicht mit der Sprungfederenergie, die sich bei den großen „Aida“-Szenen anbietet. Am ergreifendsten die aus den sich öffnenden Flügeltüren auf der Bühne heraustrompetenden Bläser.

Als schönes Paar sind die Chinesin Guanqun Yu und der Italiener Stefano La Colla zu erleben, deren Liebe im Getümmel zwar wenig Platz finden kann. Beide teilen aber die Kompetenz, mit den anspruchsvollen Partien fertig zu werden. In den höchsten Höhen geraten sie manchmal total ans Limit, aber er meist doch kernig strahlend und sie mit einer goldenen Fülle des Wohllauts.

Da Ägypten moralisch und religiös abgewirtschaftet ist, fehlt dem Ende freilich die versöhnliche Seite. Es gibt auch nun kein Oben und Unten, zum angeketteten Radamès gesellt sich bei weiterhin offener Grufttür Aida, davor lagert die glücklose Amneris, macht sich in Ermangelung eines anderen Mannes (?) über die Leiche von Amonasro her (er richtet sich dann auf wie ein Shakespeare-Gespenst, bizarr). Ramfis verabreicht ihr schließlich den ersehnten Frieden in Form einer letalen Spritze. Er selbst hat die Pistole schon in der Hand, um seinen Alp endlich zu beenden.

Lange nicht mehr so viel Buhs gegen ein Regieteam in der Oper Frankfurt gehört. Dazwischen auch Bravos für einen Abend, der hellwach hielt. Und der musikalisch unbedingt noch Entfaltung braucht, um die Szene vielleicht mitzureißen. Beides zündete in der Premiere noch nicht recht. Irres Pech, dass sich Guanqun Yu auf der Bühne so stark verletzte, dass sie mit bandagiertem Fuß zum Verbeugen rollte/humpelte.

Oper Frankfurt: 6., 8., 10., 17., 21., 26., 29. Dezember, 1., 13., 20. Januar. www.oper-frankfurt.de

Auch interessant

Kommentare