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LUZERN/ Theater: I CAPULETI E I MONTECCHI- semikonzertante Aufführung. Premiere

04.12.2023 | Oper international

Vincenzo Bellini: I Capuleti e i Montecchi • Luzerner Theater • Premiere: 03.12.2023

Semikonzertante Aufführung

Von der Urgewalt der Stimme – ein Belcanto-Abend singulärer Intensität

Das Luzerner Theater ist das vierte Theater der Deutschschweiz, das Bellinis «I Capuleti e i Montecchi» aufführt. Im Bestreben der Musik und den Künstlern den angemessenen Raum zu geben, hat man das Orchester auf die Bühne geholt und nutzt den hochgefahrenen Orchestergraben als Spielfläche. Damit gelingt eine sensationell intensive Produktion.

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Foto © Ingo Hoehn

Vincenzo Bellini war im Herbst 1829 vom Teatro La Fenice engagiert worden, um seine ersten grossen Erfolg, die zwei Jahre alte Oper «Il Pirata», einzustudieren. Als sich abzeichnete, dass Giovanni Pacini, der für die Karnevalsspielzeit eine neue Oper liefern sollte, vertragsbrüchig werden würde, unterzeichnete das Theater Anfang Januar 1830 mit Bellini den Vertrag über die dem Publikum versprochene, neu komponierte Partitur zum Ende der Winterspielzeit 1830. Der Newcomer Bellini konnte für einen der damals führenden Komponisten einspringen. Da das Ende der Winterspielzeit am Samstag drei Wochen vor Ostern durch die Fastenzeit vorgegeben war, blieb Bellini nur wenig Zeit für die neue Partitur. Hinzu kommt, dass Bellini anders als die «ewig tätige Musikpumpe» Donizetti oder Rossini ein sehr langsamer Arbeiter war. So überarbeitete der Librettist Felice Romani (Bellinis «Il pirata», «La straniera» und «Norma», Donizettis «L’elisir d’amore») das fünf Jahre alte Textbuch von Nicola Vaccais (1790‐1848) «Giulietta e Romeo». Nach der Überarbeitung, die vor allem auch eine Kürzung war, waren 40% der von Bellini komponierten Verse mit denen identisch, die auch Vaccai komponiert hatte. Um den tollkühnen Bezug auf eine damals allgemein bekannte Oper zu kaschieren, wurde der Titel «I Capuleti e i Montecchi» gewählt. Der Titel ist aber nicht nur Notlösung, er verweist auch auf Romanis Fokussierung auf die verfeindeten Adelsfamilien. Nur zwei Szenen, die erste Begegnung und den Abschied, haben Romeo und Julia hier für sich.

Für die Aufführung im Luzerner Theater nutzt man nun den hochgefahrenen Orchestergraben als Spielfläche. Rechts und links am Rand je ein zwei Stufen hohes, viertelkreisförmiges Podest und ein Schleier mir Brautkrone (die Dornenkrone der Ehe) für Giulietta (Auftrittschoreografie: Christine Cyris). Die Kostüme, sie fallen weder auf noch behindern sie das Spiel, sie erinnern an Kettenhemden und Rüstungen des Mittelalters und könnten doch von einem Modeschöpfer der Gegenwart stammen, hat Ulrike Scheiderer geschaffen. Licht (Ivo Schnider) unterstreicht die verschiedenen Stimmungen. That’s it!

Diese schlichte Einrichtung stellt die Stimmen und die Gestaltungskraft der Sänger in den Vordergrund. Und mit der phantastischen Bühnenpräsenz von Elizabeth Bailey als Giulietta und Solenn‘ Lavanant Linke als Romeo wird der Abend zu einem singulären Erlebnis, einem Theaterabend ungeahnter Intensität, der so manche «szenische» Aufführung tief in den Schatten stellt. Zu dieser traumhaften Ensemble-Leistung tragen Christian Tschelebiew als Capellio, Daniel Jenz als Tebaldo und Vladyslav Tlushch als Lorenzo ihren Teil bei.

Bravi bravissimi a tutti!

Elizabeth Bailey als Giulietta überzeugt mit technisch vorbildlich geführtem Sopran, grossem Stilbewusstsein und kristallklaren Koloraturen. Die verschiedenen Register sind perfekt verblendet. Die Darstellung der Liebenden, die nicht wirklich aus ihrer Haut kann, gelingt ihr absolut glaubwürdig. Solenn‘ Lavanant Linke als Romeo ist ihr in jeder Beziehung eine absolut würdige Partnerin. Die Stimme trägt hervorragend, die tadellosen Tiefen sind perfekt mit der sonoren Mittellage und den klaren Höhen verblendet. In seltenen Momenten klingt die Stimme etwas flach, was aber schnell wieder vorbeigeht. Christian Tschelebiew gibt einen mustergültigen Capellio, dessen väterliche Gefühle von den Verstrickungen der Gesellschaft und Politik verdeckt sind. Seinem wohlklingenden, agil geführten  Bass ist eine Wohltat. Daniel Jenz debütiert als Tebaldo. So ist der erste Akt durch die Nervosität von Rollendebüt und Premiere stark beeinträchtigt. Die Stimme trägt nur mässig, flackert manchmal und die Höhen kommen deutlich angestrengt. Immer wieder werden Endungen der Phrasen «verschluckt». Die Körpersprache spricht hier Bände. Das Wichtigste aber: Nach der Pause ist davon kaum noch etwas zu bemerken: Jenz hat sich gefangen und so bezaubert, sein kräftiger, höhensicherer lyrischer Tenor mit viel Farben und grosser Sensibilität. Vladyslav Tlushch gibt den Lorenzo mit prächtigem Bariton. Gern würde man ihn öfter hören.

Der Opernchor des Luzerner Theaters (Chor: Manuel Bethe, Mark Daver) stell sich ganz in den Dienst des Abends und begeistert mit sensiblem, homogenem Wohlklang.

Jonathan Bloxham hat die musikalische Leitung des Abends und setzt die Idee, der Musik und den Künstlern den angemessenen Raum zu geben fast perfekt um. Ein Mal mehr stellt sich an diesem Abend einmal mehr die Frage, ob die Dirigenten bei den Proben auch einmal den Graben verlassen und im Zuschauerraum den Klang prüfen. Gerade dann, wenn es sich um aussergewöhnliche Situationen handelt. Gibt es in den Häusern niemand, der, wenn die Dirigenten es selbst nicht merken,  es wagt sie auf die klangliche Wirkung hinzuweisen? Die Lautstärke bewegt sich den ganzen Abend über an der Grenze. Das Ohr gewöhnt sich im Laufe des Abends, aber etwas weniger wäre hier wesentlich mehr.

Das Luzerner Sinfonieorchester nutzt das Rampenlicht und zeigt sich von seiner allerbesten Seite. Es erweist sich als gleichberechtigter Partner des Gesangs und lässt ihm doch den Vortritt. Ein besonderes Lob verdienen die Hörner und Klarinetten.

Ein Belcanto-Abend singulärer Intensität: Nicht verpassen!

Weitere Aufführungen: Fr. 22.12.2023, 19.30; So. 31.12.2023, 19.00;

Fr. 19.01.2024, 19.30; Do. 01.02.2024, 19.30; So. 18.02.2024, 20.00.

 

04.12.2023, Jan Krobot/Zürich

 

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