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KLAGENFURT/ Stadttheater: MANON LESCAUT / Neuinszenierung – 2. Vorstellung

02.12.2023 | Oper in Österreich

1.12.: Stadttheater Klagenfurt – MANON LESCAUT

Man darf annehmen, dass das Frühwerk von Puccini aufgrund der teilweise kruden Handlung und den unleugbaren dramaturgischen Schwächen unter den Regisseuren nicht zu den am meisten geliebten Herausforderungen zählt. Wie legt man es an, möchte man fragen. In Wien z.B. hat sich Schenk 1986 strikt an Ort und Zeit der Vorlage gehalten, gerade noch hätte gefehlt, dass zwei echte „Pferderln“ eine echte Kutsche über die Bühne und dafür prompt einen Buhorkan kassiert. Und Carsen setzte 2005 auf die zugegebenermaßen reizvolle Idee mit der Shopping Mall, die sich aber spätestens ab dem dritten Akt gnadenlos mit der szenischen Vorlage des Originals abreibt und ins Groteske driftet.

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Die erste Begegnung von Manon (Heather Engebretson) und Des Grieux (Giorgi Sturua) © Stadttheater Klagenfurt – Karlheinz Fessl

Umso beachtlicher ist es, wenn nun in der Kärntner Landeshauptstadt Igor Pison für die Geschichte der 15-jährigen Kloster-Postulantin, die im Widerstreit von Liebe und Glamour zugrunde geht, eine tatsächlich überaus intelligente und in den wesentlichen Elementen unter die Haut gehende, im Letzten völlig überraschende und dennoch plausible Interpretation findet. Sie spielt mehr oder weniger in der Gegenwart, was auch funktioniert, bis auf die Geschichte von der Deportation nach Amerika, die aber ohnehin ein dramaturgisch unüberwindliches Hindernis darstellt, mit der nichts zu gewinnen ist. In der vorliegenden Fassung wird sie wenigstens durch einfallsreiche Details nicht unspannend erzählt, wenn auch hier ein paar zeitgeistige Kinkerlitzchen den Gesamteindruck trüben, wie der Kardinal, der den Vorsitz des Tribunals führt, das Manon zur Verbannung verurteilt, was aufgrund einer Art Ziehung der Namen der Betroffenen aus einem Sektkübel erfolgt. Schwamm drüber.#

Die wirklich neuartige und ergreifende Kraft der Produktion beginnt damit, dass die Darstellerin der Titelpartie aufgrund ihrer wirklich sehr mädchenhaften, zierlichen Statur, die sie unter den anderen Darstellern wie ein Kind aussehen lässt, wie keine Sängerin, die der Rezensent in dieser Rolle bisher gesehen hat, glaubwürdig das 15-jährige Mädchen ver“körpert“ – womit die ganze Geschichte um den reichen Sugar Daddy Geronte eine Konkretisierung und Realität erfährt, die einem den Ekel aufsteigen lässt. [An dieser Stelle sei den geneigten Lesern, die mit dem Gedanken spielen, sich die Produktion vor Ort anzusehen, empfohlen, zum übernächsten Absatz vorzuspringen, wo von den Sängern die Rede ist – um sich nicht um den Effekt der Geschichte zu bringen.]

Alles in allem wird die Story aus der Perspektive von Des Grieux als Rückblende erzählt, der im sonst dramaturgisch stets ziemlich aufgesetzten 4. Akt nach ihrem Tod mutterseelenallein da sitzt und die Fotos der Manon, die er zu Beginn, am Tag des Kennenlernens, von ihr geschossen hat, ansieht – in der verlassenen Kulisse des 1. Aktes, die so zur seelischen Wüste wird, in der er einsam, verloren und verlassen da sitzt. Während sie in seiner Erinnerung, quasi als ihrer Seele, mit ihm kommuniziert und ihn vom Selbstmord abhält. Was angesichts des Textes in verblüffender Weise funktioniert, und wodurch sich diverse Verfremdungseffekt wie die weiß bemalten Gesichter des Chors im 1. Akt etc. mit einem Mal als Traum- oder Erinnerungssequenzen aufklären, in denen sich real Erlebtes und Erinnerung mischen … Dazu kommt eine ganze Reihe wirklich guter Details in der Personenführung, auf die an dieser Stelle aber nur summarisch hingewiesen werden kann. Explizit sei aber die hervorragende Bühnengestaltung von Manuel Kolip erwähnt, die die Geschichte irgendwo am Rande eines Container-Hafens verortet, wo Reisende vorbeikommen, auch Quartier beziehen können, und wo zuletzt auch Abschiebungen passieren und Menschen in diesen Containern zu Tode kommen.

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Manon ist bereits gestorben – Des Grieux unterhält sich mit ihr in seiner Erinnerung. Foto: Karlheinz Fessl/Stadttheater Klagenfurt

Musikalisch dominiert wurde der Abend von der US-Amerikanerin Heather Engebretson, einer bildhübschen und wie gesagt auffallend zierlichen Manon, die sowohl die trendige Jugendliche als auch die „Lolita“ überaus glaubwürdig machen kann und mit ihrem markanten, kraftvollen, in der Höhe durchaus edel metallischem Sopran beeindruckt. Ihre untere Mittellage und Tiefe sind weniger durchschlagskräftig, was vor allem in den beiden Arien zum Tragen kommt. Auch wäre es vorteilhaft, gerade weil sie eine überzeugende Darstellerin ist, wenn sie in der ganz exponierten Höhe ihre Mimik ein wenig besser unter Kontrolle hätte. Gustavo Castillo aus Venezuela, der ihren Bruder verkörperte, fiel nicht nur durch sein spielerisches Temperament, sondern auch durch seinen fülligen und in jeder Lage souveränen Bariton auf. Als wahrhaftig jugendlich-studentenhafter Des Grieux war der Georgier Giorgi Sturua besetzt, der im 1. Akt noch einen inhomogenen Eindruck hinterließ, sich im Verlauf des Abends aber mit leicht baritonal gefärbtem Timbre immer besser freisingen konnte. Schade, dass er in der ausgesetzten Höhe zum Forcieren neigt und dann auch ein wenig kratzig klingt. Marian Pop war ein vor allem im 1. Akt schmieriger Geronte, der Schweizer Luca Bernard sang mit kraftvollem und profiliertem Tenor den Edmondo.

Das Kärntner Symphonieorchester spielte unter der Leitung des jungen deutschen Dirigenten Stefan Neubert mit ziemlich energischem Zugriff, dynamisch durchwegs „oberhalb“ des Mezzo-Forte, der von Günter Wallner einstudierte Chor hatte gelegentlich kleinere Probleme mit den Vorgaben aus dem Graben und war – bei solider gesanglicher Leistung – zeitweilig recht beschäftigt mit den Ideen der Personenführung; nicht alle Choristen schienen sich dabei restlos wohl zu fühlen.

Das Publikum hatte die Reihen nicht vollständig gefüllt und brauchte anscheinend eine gewisse „Anlaufzeit“, um mit dem – im Vergleich zu den anderen Werken Puccinis – seltener gespielten Stück „warm“ zu werden. So blieben die meisten Arien trotz deutlicher Aufforderung aus dem Orchester ohne Applaus und entfachte sich der Jubel erst am Ende. Immerhin …

Valentino Hribernig-Körber

 

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