Es kündigte sich eigentlich schon in der ersten Szene an, dass dieser Grazer Premierenabend von Giuseppe Verdis Macbeth nicht ganz komplikationsfrei ablaufen würde, denn aus dem Nichts versagte Mikołaj Zalasiński plötzlich für einen Bruchteil einer Note die Stimme. Wie rapide sich die Stimme des Interpreten der Titelrolle jedoch gänzlich verabschieden würde, damit hatte wohl niemand gerechnet; und so ehrlich erschrocken über den Zustand ihres Macbeth im zweiten Akt hat man dementsprechend auch selten eine Lady Macbeth gesehen.

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Lara Hiden (Verro, Macbeths Gewissen), Mikołaj Zalasiński (Macbeth), Dshamilja Kaiser (Lady Macbeth)
© Werner Kmetitsch

Bis zur Pause zog Zalasiński den Abend dann auch tatsächlich durch – mit vollem darstellerischem Einsatz und bemerkenswerter Coolness. Wie es weitergehen würde, war danach offensichtlich völlig unklar; nach einer auf fast 45 Minuten ausgedehnten Pause trat schließlich Intendant Ulrich Lenz vor den Vorhang und verkündete, dass man zwar so akut keinen Bariton gefunden habe, der die Rolle singen könne, aber dass sich Wilfried Zelinka (der als Banquo praktischerweise schon im ersten Teil des Abends das Zeitliche gesegnet hatte) dazu bereit erklärt habe, den Abend zu retten und die Partie von der Seite aus vom Blatt zu singen, während Mikołaj Zalasiński weiterhin die Darstellung übernehmen würde.

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Lara Hiden (Verro, Macbeths Gewissen) und Mario Lerchenberger (Macduff)
© Werner Kmetitsch

Irgendwo zwischen großem Mut und hellem Wahnsinn ist diese Aktion wohl einzuordnen, aber der Plan ging in jeder Hinsicht auf: Nachdem Zelinka zuvor bereits den Banquo in stimmlicher Hochform mit warm timbriertem Bass und eleganter vokaler Gestaltung auf die Bühne gebracht hatte, verhinderte das Ensemblemitglied nicht nur den drohenden Abbruch der Premiere, sondern lieferte – ohne Vorbereitung und im falschen Stimmfach! – eine nuancierte und packende Interpretation der Rolle, insbesondere in Macbeths Arie im vierten Akt.

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Wilfried Zelinka (Banco) und Mikołaj Zalasiński (Macbeth)
© Werner Kmetitsch

Eine differenzierte Lady Macbeth, die nicht nur kühle machtgierige Furie, sondern auch eine dreidimensionale Figur mit menschlichen Zügen wie Unsicherheit war, erweckte Dshamilja Kaiser zum Leben. Dabei ließ sie ihren bordeauxschimmernden Mezzo nach einigen Momenten der anfänglichen Nervosität üppig durch die Partie strömen, bot dabei sowohl satte Tiefen als auch bruchlose Höhen voll Strahlkraft und verband vokale Attacke in dramatischen Ausbrüchen mit nobler Zurückhaltung in sanften Piani. Merklich an Substanz gewonnen hat die Stimme von Mario Lerchenberger in den letzten Monaten; sein nunmehr etwas nachgedunkelter Tenor scheint sich außerdem im italienischen Repertoire sehr wohlzufühlen und so konnte er als lyrisch strahlender Macduff voll überzeugen.

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Dshamilja Kaiser (Lady Macbeth)
© Werner Kmetitsch

Aus dem Opernstudio besetzt wurden die Partie der Kammerfrau der Lady Macbeth, die Ekaterina Solunya mit klar schimmerndem Sopran ausstattete und die Rolle des Malcolm, den Euiyoung Peter Oh hell timbriert als überforderten Neurotiker darstellte. Die Damen und Herren des Chors und des Extrachors stellten einmal mehr ihre außergewöhnlich hohe Qualität unter Beweis und lieferten etwa herrlich schwebende Passagen im klagenden „Patria oppressa” und setzen präzise Akzente als Hexen.

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Macbeth
© Werner Kmetitsch

Am Pult der Grazer Philharmoniker setzte Chefdirigent Vassilis Christopoulos auf dunkel lodernde orchestrale Glut, zarte Klangdetails und kontrollierte Dynamik, die die Sänger nie Gefahr laufen ließ, forcieren zu müssen, um sich gegen das Orchester durchzusetzen. Ein bisschen Verve und Esprit vermisste man an diesem Abend zwar, aber in Kombination mit dem optischen Aspekt des Bühnengeschehens wirkte die zurückhaltende Lesart von Verdis Musik durchaus stimmig.

Die Inszenierung von Kateryna Sokolova beeindruckte nämlich einerseits mit ebenso düsteren wie starken Bildern – ein Bravo in diesem Zusammenhang auch an die Lichtregie! – und andererseits mit einer Konzentration auf die psychologischen Prozesse, die die Figuren im Lauf der Handlung durchleben. So treten die Hexen als innere Stimmen bzw. machtgierige Persönlichkeitsanteile von Macbeth auf, während eine von der Regisseurin erdachte stumme Rolle als personifiziertes Gewissen noch verzweifelt versucht, Macbeth auf den Weg der Moral zurückzubringen. Im ersten Moment erscheint dieser Kunstgriff zwar etwas befremdlich, erschließt sich dann aber vollkommen und eröffnet vor allem auch spannende Blickwinkel: Denn vorrangig kämpft dieser Macbeth mit sich selbst, ist dabei aber nicht das Opfer von Schicksal oder übersinnlicher Prophezeiung, sondern ist selbst dafür verantwortlich, in welche Sackgasse er sich ab dem ersten Mord manövriert.

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Mikołaj Zalasiński (Macbeth) und Lara Hiden (Verro, Macbeths Gewissen)
© Werner Kmetitsch

Und auch Lady Macbeth wird in dieser Deutung differenzierter beleuchtet, denn sie ist hier nicht bloß skrupellos und machthungrig, sondern ein dreidimensionaler Charakter, der von Beginn an psychisch etwas labil wirkt und an den bewusst getroffenen, moralisch zweifelhaften Fehlentscheidungen zugrunde geht. Unabhängig von Raum und Zeit scheint Regisseurin Kateryna Sokolova diese Geschichte zu erzählen und schafft es genau damit, Shakespeares Figuren greifbar ins Hier und Heute zu holen.

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