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Oper in Chemnitz und Annaberg-Buchholz – Süße, freche, böse Träume

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„Die drei Wünsche“ von Bohuslav Martinu in der Oper Chemnitz. Foto: Nasser Hashemi
„Die drei Wünsche“ von Bohuslav Martinu in der Oper Chemnitz. Foto: Nasser Hashemi © Nasser Hashemi/Theater Chemnitz

Martinus Filmoper „Die drei Wünsche“ in Chemnitz. Und ein einmaliger Bonustrack in Annaberg-Buchholz.

Das Abenteuer Oper wallt, wo Menschen es wollen, diesmal in Chemnitz und Annaberg-Buchholz. Es ist verblüffend, es ist großartig. „Die drei Wünsche“ von Bohuslav Martinu (1890–1950) am Theater Chemnitz hatte soeben Premiere. „Don Buonaparte“ von Alberto Franchetti (1860–1942) am Erzgebirgischen Theater ist der Bonustrack, aber es gibt noch Vorstellungen.

„Die drei Wünsche oder Die Launen des Lebens“, 1928 geschrieben, erst 1971 (in Brno) uraufgeführt, ist ein sehr selten gezeigtes Werk des tschechischen Komponisten von „Julietta“ und „The Greek Passion“, die aber auch weit weniger häufig gespielt werden, als es sinnvoll wäre. Dies nun ein zutiefst originelles Angebot, das daran erinnert, dass die 1920er den 2020ern in Sachen Spektakel in nichts nachstanden.

Hier handelt es sich um eine Art Dada-Oper mit so viel Jazz darin, dass es eine Lust ist und endlich einmal so klingt, wie eine Jazzoper klingen sollte, aber oft tritt der Schwung dann doch hinter der Kompliziertheit zurück (in Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ zum Beispiel). In „Die drei Wünsche“ ist es auch kompliziert, aber beim Zuhören muss man nicht darüber nachdenken, eher sollte man selbst ein bisschen mitschwofen können, aber das geht natürlich nicht. Es gibt aufregende Chornummern (darunter einen regelrechten Turbachor), von Stefan Bilz exzellent einstudiert. Es gibt eine unwiderstehliche Klavier- und Herrenquartetteinlage, die auch als Schlager ganz für sich funktionieren würde.

Der Freiheit der musikalischen Details und Finessen – dem Chemnitzer Publikum, äußerst kregel, erschloss sich das offenbar auch ganz unmittelbar, gute Stimmung, großer Beifall – entspricht die ungewöhnliche und topmoderne äußere Form. Ort des Geschehens ist ein Filmset und tatsächlich wird dann auch ein Film gezeigt, daher die Gattungsbezeichnung Filmoper – dazu erklingt ein fast eine Viertelstunde langes Orchesterstück, bei dem Jakob Brenner und die Robert-Schumann-Philharmonie ihr sinfonisches Können unter Beweis stellen. Bei allem Rambazamba ist das eine gewiefte, elegante Musik und in Chemnitz hört man das.

Rahel Thiel führt hier zuneigungsvoll Regie und folgt zwar nicht dem Plan, dass der Film dem vorher „Gedrehten“ entspricht, also im Schnelldurchgang die Handlung wiederholt. Aber sie hat mit Stefan Bischoff (Video) einen veritablen absurden Alptraum gedreht, in dem Monsieur Juste, der stimmlich und spielend ausdrucksstarke Bariton Thomas Essl als eine Art hellwacher Dödel, in wilder Jagd durch die Katakomben des Theaters rast. Dort muss es noch einen funktionstüchtigen Paternoster geben, der avantgardistisch in Szene gesetzt wird. Auch steht bei Thiel, schön und naheliegend, kein Drehtag, sondern eine Theaterprobe an. Die lässigen Absurditäten von Georges Ribemont-Dessaignes’ Libretto nimmt die Regie vergnügt auf, hier wird keineswegs geradeaus, vereinfachend und glättend erzählt, alles entwickelt sich eher wie spontan und eben dadamäßig. Aber der Märchenstoff des zur Rede stehenden Stückes im Stück, „Die drei Wünsche“, liegt auf der Hand.

Dem frustrierten Ehemann Juste (eine beiläufige Misogynie liegt über der Handlung, Thiel gleitet darüber hinweg) geht eine Fee in die Falle – der Counter Etienne Walch als hinreißend lasche Diva. Für ihre Freiheit ist sie bereit, drei Wünsche zu erfüllen, vor allem Madame Indolende, Maraike Schröter, deren Sopran den erforderlichen Zug ins Hochdramatische zu bieten hat, zaudert nicht, aber auch Monsieur wünscht sich um Kopf und Kragen. Reichtum, eine verjüngte Frau und Liebe, das klingt gut, ist aber Mist, wenn man sich beim Wünschen nicht ausreichend konzentriert hat. Zumal es Konkurrenz gibt: Madame turtelt fledermausmäßig mit dem Tenor-Kollegen, Daniel Pataky, der unter anderem einen melancholischen Song zum Akkordeon bekommt. Marlen Bieber ist mit warmem Mezzo-Wohlklang die delikate (nämlich total gestörte) Ebloui, die Monsieur Juste um Verstand und Leben bringen wird. Geht aber gut aus, alles bloß Theater.

Bonbonbunte Kostüme von Rebekka Dornhege Reyes helfen trotzdem noch dabei, jedem Missverständnis vorzubeugen, dass es hier um eine ernste Sache gehen könnte. Die Bühne von Fabian Wendling wird von Scheinwerferwänden beherrscht, die großen Effekt machen. Das Bühnenmodell wird, was für eine feine, kleine, kluge Idee, im Film eine Rolle spielen, der dadurch einen zusätzlichen Dreh ins Irre bekommt. Denn die Mühe, einen musikalisch subtilen, optisch weniger subtilen Unfug herzustellen, ist nicht gering und wurde in Chemnitz auch nicht so behandelt.

Es wäre, die meisten haben das aber längst gemerkt, ein Irrtum anzunehmen, das Leben der Opernfreundin und des Opernfreundes erfüllte sich allein in Covent Garden und Frankfurt, tatsächlich wird wohl erst ein Besuch im Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz das Erlebnis wirklich abrunden. Ein kleineres großes Theater muss man lange suchen, aber es ist alles da, was man braucht. Die Erzgebirgische Philharmonie Aue im Graben (das Schlagwerk in den Seitenlogen), die unter der Leitung ihres Chefs Jens Georg Bachmann feinsinnig spielt, sehr feinsinnig, obwohl die Partitur gelegentlich zum fröhlichen Humtata einlädt.

Die Musikalische Komödie „Don Buonaparte“, die hier allen Ernstes zur Uraufführung kommt, ist die letzte vollendete Oper des einstigen Puccini-Konkurrenten, dann von ihm überholten, dann als Jude in seiner italienischen Heimat böse abgedrängten Franchetti. Wie „Die drei Wünsche“ kam sie zu Lebzeiten des Komponisten nicht mehr auf die Bühne, musste aber mehr als 80 Jahre warten, bis Helmut Krausser (Autor auch eines Buches über die beiden, Puccini und Franchetti!) und Torsten Rasch sich um das überlieferte Material kümmerten, Krausser, liest man, musste sogar das Libretto ergänzen.

Lev Pugliese führt in eigener, ländlich-sittlicher Ausstattung Regie. Alles wäre zu herzig, wäre das Spiel nicht so frisch, wäre nicht auch hier der Chor so glänzend (und jung, Einstudierung: Daniele Pilato). Das Ensemble kann sich hören lassen, angeführt von László Varga als bravem Geistlichen Don Geronimo (einem Onkel Napoleon B.s), als indisponiert angesagt, aber prächtig genug.

Dass „Don Buonaparte“ 1941 entstand, 13 Jahre, aber auch ein historisches Beben später als „Die drei Wünsche“, hört man nicht, beziehungsweise: verblüffend und erschütternd wirkt Franchettis Sehnsucht nach reiner italienischer Opernsüße. Auch im Eduard-von-Winterstein-Theater ein beneidenswertes Publikum mit offenen Ohren und voller Neugier.

Theater Chemnitz: 24. November, 2., 15., 22. Dezember, 12., 30. Januar. theater-chemnitz.de

Eduard-von-Winterstein-Theater, Annaberg-Buchholz: 2., 22. Dezember. winterstein-theater.de

Don Geronimo mit seiner vernünftigen Haushälterin. Ronny Küttner
Don Geronimo mit seiner vernünftigen Haushälterin. Ronny Küttner © Ronny Küttner/photoron

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