Zerrissen ist die Welt von Pieter Bruegel. Vorbei ist es mit dem Idyll. Im Hintergrund lassen sich projizierte Ausschnitte aus dem berühmten Bild Der Triumph des Todes des flämischen Meisters erkennen, im Vordergrund der Bühne türmen sich halbnackte Statisten, und die Musik aus dem Graben mag für manch einen eher an eine Massenkarambolage am Schwarzenbergplatz nebenan erinnern. Es wird gehupt, geklingelt, geknistert und gescheppert in György Ligetis Oper Le Grand Macabre an der Wiener Staatsoper.

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Georg Nigl (Nekrotzar) und Gerhard Siegel (Piet vom Fass)
© @marcelurlaub.com

Nekrotzar ist gekommen, um das Ende der Welt zu verkünden. Einen Kometen will der mit einer Sense bewaffnete apokalyptische Reiter herbeigerufen haben, der um Mitternacht alles Leben vernichten soll. Der Plan wird schlussendlich nicht aufgehen, doch davor verfällt Breughelland der Sodomie. Es wird gesungen, geschändet, und gezecht als ob es eben genau keinen Morgen mehr gäbe.

Die Musik bleibt fragmentarisch und zerrüttet, während das Libretto in kryptischen Chiffren die Wirrungen dieses letzten Abends skizziert. Wie Harlekin und Columbine, präsentiert sich das Ensemble vor diesem makabren Tableau im bunten Rautenmuster. Ein Zitat, so lässt sich nur mutmaßen, aus der Comedia dell‘Arte, wo genau dieses berühmte Pärchen ebenfalls die Grenzen der Obszönität auslotete.

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Le Grand Macabre
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Kaum ein Takt verstreicht, ohne dass nicht die nackten Körper der Tänzer über die Bühne zappeln, zuckeln oder springen – ganz eben wie auf den apokalyptischen Wimmelbildern von Pieter Breugel.

Dem verwirrenden Treiben der räkelnden Massen zu folgen ist durchaus nicht ununterhaltsam. Bei der Deutung dieses hochkomplexe Werkes hilft Regisseur Jan Lauwers mit seiner fast ballettartigen Inszenierung von Ligetis Oper jedoch nicht.

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Isabel Signoret (Amando) und Maria Nazarova (Amanda)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Freilich, wer zur Vorweihnachtszeit den Nussknacker oder Schwanensee besucht, erwartet auch keine politische Abhandlung über die Rolle der Frau im Spätmittelalter. Auch in der Oper kann und darf einfach die pure Unterhaltung im Vordergrund stehen. Und Lauwers setzt offenkundig genau auf diese Karte – ganz zur Freude des wohlgesonnenen Publikums.

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Georg Nigl (Nekrotzar)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Schönklang ist hier dennoch nicht zu erwarten. Am Pult führt Pablo Heras-Casado das Orchester der Wiener Staatsoper durch die eklektische Partitur analytisch, präzise und ohne Ligetis tonale Vielfalt zu überhöhen. Wunderbar findet er die Balance zwischen auch 50 Jahre nach der Uraufführung noch immer unangenehmen Klängen und dem Wunsch nach Kohärenz.

Nur ein kurzer Blick in das vor Hendiadyoins strotzende Libretto zeigt, dass der Abend zu jeder Sekunde droht im Kauderwelsch zu zerfallen. Ausdifferenziert schreitet Heras-Casado die Partitur ab und akzentuiert mit gutem Timing das Geschehen auf der Bühne.

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Sarah Aristidou (Chef der Gepopo / Venus), Georg Nigl (Nekrotzar) und Gerhard Siegel (Piet vom Fass)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Das weiß Georg Nigl als Nekrotzar auszunutzen. Er füllt diese düstere Rolle mit durchaus auch geckenhafterer Leichtigkeit und meistert selbst die Ausbrüche in Lagen außerhalb seines Fachs mit Bravour. Der Bariton bleibt, egal ob er sinistere Bibelstellen skandiert oder betrunken unter dem Tisch lallt, durchwegs glaubhaft. Bravo.

Auch Gerhard Siegel als Piet vom Fass spielt den weinseligen Lakaien des Grand Macabres mit verspieltem Tenor gar trefflich, während Sarah Aristidou insbesondere als Chef(in) der Gepopo Geheimpolizei im gigantischen Reifrock, spitzer Zunge und entzückend nahe am Wahnsinn brillieren kann.

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Wolfgang Bankl (Astradamors)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Andrew Watts mimt einen durchaus soliden und durchweg unterhaltsamen Fürst Go-Go – mit sichtlich Spaß an seiner Rolle. Auch Daniel Jenz und Marcu Pelz (eingesprungen für Hans Peter Kammerer) können als weißer und schwarzer Minister überzeugen.

Marina Prudenskaya füllt ihre Mescalina mit unglaublich arroganter, sonoren Dominanz, die Astradamors (Wolfgang Bankl) Freude über ihr frühzeitiges Ableben nur allzu nachvollziehbar machen.

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Andrew Watts (Fürst Go-Go)
© @marcelurlaub.com

Insgesamt ein höhrens- und sehenswerter Abend mit viel Applaus. Kritische Zuschauer könnten hinterfragen, warum es fast 50 Jahre gebraucht hat, bis dieses Stück nun doch endlich an der Wiener Staatsoper aufgeführt wird und dann auch noch in so einer seichten Inszenierung. Mehr Mut würde dem Haus am Ring sicherlich gut stehen – Ligetis Werk böte jedenfalls den Raum für mehr als nur gut choreographierte abendfüllende Tanzeinlagen.

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