Ligetis Le Grand Macabre in Frankfurt

Kostümparty zum Weltuntergang – mit Nachspiel

An der Oper Frankfurt inszeniert Vasily Barkhatov Ligetis „Le Grand Macabre“ – nach der Premiere wird aus dem Rathaus dazwischengefunkt

Von Roberto Becker

(Frankfurt am 5. November 2023) An der Oper Frankfurt ist man gewöhnt, auch mal etwa Sperriges vorgesetzt zu bekommen. Nun ist György Ligetis (1923-2006) Weltuntergangsopus „Le Grand Macabre“ keine Novität und nach der Stockholmer Uraufführung von 1978 selbst an kleineren Häusern schon oft inszeniert worden. Die Melange aus grotesker Geschichte und musikalischer Avantgarde ist dennoch nicht ohne. Bei der Premiere in Frankfurt blieben nach der Pause einige Plätze leer. Allerdings hatten diejenigen, denen der Verkehrsstau unter und auf der Hochstraße im ersten Teil der Inszenierung zu trist war, einen veritablen Ausbruch von Opulenz verpasst, für den nach der Pause vor allem die Kostüme sorgten, mit denen Olga Shaishmelashvili die Gesellschaft in einem noblen Casino Royal für ihren Tanz auf dem Vulkan im Angesicht des bevorstehenden Weltuntergangs ausstaffiert hatte.

Der russische Regisseur Vasily Barkhatov hat in Frankfurt schon mit einer bildmächtig hintersinnigen Deutung von Tschaikowskis selten gespielter „Zauberin“ reüssiert. Auch jetzt zeigt er überzeugend, was er drauf hat, um dieses leicht verrückte Opern-Schmankerl auf seine Relevanz hin zu überprüfen und zugleich pralles Musiktheater zu bieten. Die absurde Geschichte mit ihrem grell überzeichneten Personal ruft förmlich danach, noch eins drauf zu setzten. Ein nüchternes Kammerspiel wäre hier jedenfalls verfehlt.

Allein die beiden Bühnenbildvarianten, die Zinovy Margolin gebaut hat, machen gewaltigen Eindruck. Mehrere Ebenen von Hochstraßen sind der Raum für einen Pkw-Stau vom Feinsten, mit allem, was das an Aufregungspotenzial mit sich bringt. Überwölbt ist das von den in vielen Sprachen über die großen Freiluft-Bildschirme eingespielten Eilmeldungen über den auf die Erde zurasenden Kometen und dem beim Zusammenprall bevorstehenden Weltuntergang. Das putzige Astronomen-Ehepaar (nebst Sohn) campiert – auch im Stau – in einem Wohnwagen. Diese Opulenz der Tristesse wird nach der Pause von einer ebensolche der Casino-Noblesse und Kostümphantasie abgelöst. Was vom Publikum sogar mit einem Szenenapplaus quittiert wurde. Hier kommt man als Herrscher irgendeiner Epoche, ob Anubis, Napoleon oder Stalin. Aber auch wer im Steinzeitlook kommt hat Zugang.
Anubis braucht freilich eine besondere Zugangsberechtigung, wie sich nach der Premiere herausstellte. Dazu später.

Für das Frankfurter Opern- und Museumsorchester und seinen jungen Chef Thomas Guggeis ist Ligetis Musik natürlich keine Hürde. Hier ist man im Graben auch auf den Nebenschauplätzen der Avantgarde daheim. Zudem ist eine Truppe exzellenter Sängerdarsteller am Werk.
Grandios Simon Neal als der mit dem Titel gemeinte Große Makabre mit dem Namen Nekrotzar. Mit improvisierten Insignien avanciert er vom Bestattungsunternehmer zur stimmgewaltigen Verkörperung eines geradezu lustvoll verkündeten Weltuntergang. Als Chef(in) der Geheimpolizei (und als Venus) fasziniert Anna Nekhames mit glasklaren Koloraturen. Der Counter Eric Jurenas ist ein im leuchtend roten Pseudobarock Fürsten aufgepeppter, drollig überforderter Fürst Go-Go.

Michael McCown und Iain Mac Neil spielen das komödiantische Potential seiner beiden schmierigen Minister in ihrer Karnevalskostümierung erbarmungslos aus. So, wie Alfred Reiter und Claire Barnett-Jones dem Astrologen Astrodamors und seiner handfest zupackenden Furie von Gattin Mescalina in ihrer trügerischen Wohnwagen-Familienidylle die komisch groteske Züge ihrer Rollen. Nicht nur, wenn sich ihre erotischen Fantasien als Coumupterspiel-Penis auf der fehlenden Seitenwand ihres Wohnwagens abzeichnen. In diesem Panoptikum wirken Peter Marsh als notorischer besoffener, nur im Bademantel herumtorkelnder Säufer Piet vom Fass und das Liebespaar Amanda (Elizabeth Reiter) und Amando (Karolina Makula), die sich in einen Sarg zurückziehen, geradezu „normal“.

Dieser Party, bei der man in einem Countdown die Sekunden bis zum Weltenende mitzählen will, und für die auch ein paar zu monströsen Weihnachtsengeln aufgepolsterte Musiker auf der Bühne schon Himmelsmusik beisteuern, kommen ein paar Techniker und drehen dem Wahnsinn den Saft ab. Und wenn die Jalousien hochgezogen werden, dann sieht man, dass draußen alles noch steht. Allerdings starrt Nekrotzar an der Bar unablässig auf einen Bildschirm mit Katastrophenmeldungen aller Arten. Kann gut sein, dass er sich mit seiner Prophezeiung nur mit der Zeit geirrt hat und nicht in der Sache selbst.

Hier ist ein Nachsatz angebracht.

Man kann froh sein, dass Bernd Loebe als Intendant des Hauses kein Frischling in seinem Job ist, der am Anfang seiner Karriere steht. Anders als Kollegen es meinen tun zu müssen, muss er nicht wirklich Rücksicht auf jeden Zwischenruf aus dem Netz oder von diversen Abgeordneten-Bänken des Frankfurter Stadtparlaments nehmen.

Wenn es nicht so gefährlich für die Freiheit der Kunst wäre, dann könnte man das Nachspiel zur Premiere einfach als woken Übereifer der Selbstentlarvung überlassen. Es ist aber nicht nur die Causa um Kreneks „Johnny spielt auf“ in München. Oder die um sich greifenden Nachbesserungen von Schikaneders Zauberflötentext. Oder jüngst in Magdeburg der Umgang mit der Figur des schwarzen Saxoponspielers Jimmy in Paul Abrahams „Blume von Hawaii“. Den hat man, um ihn als Schwarzen zu schützen (wovor eigentlich?), als Figur eliminiert und durch eine Fleischverkäuferin ersetzt. Jimmys melancholische Solo im dritten Akt beginnt nun nicht mit „Schwarzes Gesicht, wolliges Haar, großes Saxophon“, sondern mit „Blasses Gesicht, stähniges Haar, wenig eloquent“und ist auch sonst auf „heutiges Korrektsprech“ umgedichtet worden.
In Frankfurt traf der Korrektheits- und Korrekturfuror nun den ägyptischen Totengott Anubis bzw. die Tatsache, dass ein Partybesucher so ähnlich kostümiert auftrat (neben afrikanischen und sowjetrussischen Despoten, auch Napoleon ließ sich blicken.)

Das schöne an der Theater- und Opernbühne ist ja, dass man dort alles spielen kann, wenn man es kann. Und, dass man weder einen echten Mörder, Diktator oder eine Giftmischerin präsentieren muss, sondern das getrost Künstler überlassen kann, die in ihrer bürgerlichen Existenz nichts von alledem waren oder sind. Bis vor kurzem galt das auch für den venezianischen General mit afrikanischen Wurzeln Othello oder die asiatische Prinzessin Turandot oder Madama Butterfly. Wobei die in Asien verorteten Rollen bislang noch unter dem Radar der Sprachüberwachung sind. Monostatos, Johnny, Jimmy und Othello ist das nicht mehr vergönnt. In diesen Fällen kann sich ihr als Mensch mit schwarzer Hautfarbe wahrnehmbares Bühnenaltergo nur noch mit erheblichem Diskursgeleitschutz auf die Bühne wagen. Oder es wird in vorauseilendem Gehorsam (wem gegenüber eigentlich?) gleich verbannt, ersetzt, wegzensiert.
Um diesen Unsinn wuchern zu lassen genügt der spezielle Konsens in der Dramaturg:iennen-Blase und eine laute Stimme. Die sich für kompetent hält, Kunst zu beurteilen, sie zu korrigieren und damit zu zensieren.

In Frankfurt übernahm jetzt Mirianne Mahn diese Rolle. Die junge, farbige Feminismus-Aktivistin ist Mitglied im Aufsichtsrat der Oper, Vorsitzende des Kulturausschusses des Stadt und beruflich als Referentin für Diversitätsentwicklung unterwegs. Das genügt als Flüstertüte, um der Öffentlichkeit lautstark einen Fall von Blackfacing anzuzeigen. Laut FAZ hatte sie die Premiere nicht mal besucht, sei aber „als schwarze Frankfurterin … erschüttert und verletzt.“ Außerdem erwarte sie, dass das Kostüm zur zweiten Vorstellung am 10. November geändert werde. Aus der Volt Fraktion im Römer sekundierte man: „Der Auftritt einer „schwarz angemalten Person“ sei „Blackfacing, wie wir es aus den Aufführungen der letzten Jahrhunderte kennen und wie wir es in unserer heutigen aufgeklärten Zeit nicht mehr erwarten und erst recht nicht tolerieren“. – so die FAZ.
Echt jetzt?
Mal abgesehen davon, dass hier ein Konsens unterstellt wird, „dass so was gar nicht geht“, war auch diese Person dem Vernehmen nach gar nicht in der Vorstellung. (Bei der Causa Krenek in München war Anwesenheit auch schon keine „Pflicht“). Ein Stadt, die solche grünen „Kunstexpert:innen“ in ihren Reihen hat, braucht gar keine Alternativen, um der Kultur ihre Freiheit auszutreiben.

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