Staatsoper Le grand macabre wien lauwers
Bunter Abend mit Weltuntergangsfantasien: Sarah Aristidou (Chef der Gepopo/Venus), Georg Nigl (Nekrotzar), Gerhard Siegel (Piet vom Fass, re.).
WIENER STAATSOPER/MICHAEL PÖHN

Das Leben im Bruegelland ist ein nie zu Ende gehender Traum, ein Ort des Hedonismus, der geilen Nächte, ein von Weindüften umnebeltes Schlaraffenland. "Ich trinke, also bin ich!!", wäre in Anlehnung an den französischen Philosophen René Descartes wohl das Motto der Bewohnerinnen und Bewohner dieser genussversessenen Oase. Einer allerdings, der vielleicht der Tod ist, stört, steigt aus dem Dunkel seines Grabes und hat entschieden üble Laune.

Seine destruktiven Absichten bündelt Nekrotzar in Prophezeiungen, die den Menschen von Breughelland zittrige Hände und Ernüchterung bescheren: Du stirbst um Mitternacht! Dein Bauch wird platzen! Bald seid ihr alle nur noch Knochenstaub!

Übel gelaunter Weltvernichter

Man denkt an Lars von Triers schmerzhafte und mit Wagners Tristan-Musik übermalte Endzeitromantik in Melancholia, denkt kurz auch an das Weltende, das ein Asteroid im Hollywoodschinken Armageddon zu bringen droht. Regisseur Jan Lauwers kennt das sicher alles. Sein Ansatz bei Le Grand Macabre an der Wiener Staatsoper lehnt sich allerdings, wie erwartet, eher routiniert an Ligetis mitunter ironisch-heiteren Stil an.

Den übel gelaunten Weltvernichter Nekrotzar postiert er in ein Milieu, das einem bunten Endzeitzirkus gleicht. Um dieses karikaturhaft bunte Figurenkollektiv lässt er – seinem erprobten Stil entsprechend – eine fulminante Tanzgruppe die Emotionen der besorgten Erdenwürmer und den Duktus der Musik in Körperrhetorik übertragen.

Es wuselt und wurlt

In einem leeren Raum, in dem Gelbtöne dominieren und auch das Gemälde Der Triumph des Todes des flämischen Malers Pieter Bruegel (des Älteren) projiziert wird, unterhält eine Farce, eine stilisierte Commedia-dell’Arte-Episode. Unentwegt wuselt und wurlt es: Nekrotzar reitet ein riesiges Aufblaspferdchen; es schweben zwei schwarze Riesenpuppen über den Todeskandidaten.

Später hängen Piet vom Fass (gekonnt skurril Gerhard Siegel) und Astradamors (beschwingt Wolfgang Bankl) auf Seilen in der Luft und wundern sich, noch am Leben zu sein. Das hat Schauwert und heitere Ausgelassenheit. Nur die Choreografie evoziert beiläufig so etwas wie angsterfüllten Ernst angesichts einer nahenden Katastrophe, während der profunde Slowakische Philharmonische Chor bisweilen leider auch noch mit kleinen Skelettchen herumfuchteln muss.

Im Zentrum der verulkten ernsten Lage der wunderbare Georg Nigl. Als Nekrotzar, der im Suff seine Weltvernichtung verhaut, gibt er eine eitel-schrullige Figur. Als verhaltensauffälliger Clown versucht er, einen dämonischen Zirkusdirektor zu geben. So wie er in klarer Diktion vokal zwischen Fistelton, Schön- und Hässlichklang wie auch Wutrede changiert, ist er ein facettenreicher Sadist des Untergangs, der das Bösartige elegant mit einer Prise grotesker Lächerlichkeit mixt.

Alles unbeschadet

Schließlich, nach im Suff versemmelter Katastrophe, nimmt das Leben im Bruegelland wieder seinen Lauf, ohne dass die Regie das Düstere der Weltlage an gewissen Stellen in seiner todernsten Dimension dargestellt hätte. Die Korruption der Minister (profund Hans Peter Kammerer, Daniel Jenz), die Lächerlichkeit des Fürsten Go Go (glänzend Andrew Watts) und die Weltentrückung des Liebespaars Amanda und Amando (Maria Nazarova, Isabel Signoret), sie wirken unbeschadet fort.

Auch die von Nekrotzar gebissene Mescalina (prägnant Marina Prudenskaya) und der Chef der Gepopo scheinen wieder wohlauf. Wichtig: Sarah Aristidou verleiht Gepopo und der Figur der Venus im überdimensionalen Reifrock mit waghalsigen Hochtönen und Koloraturen virtuos das absurde Etwas.

Dirigent Pablo Heras-Casado organisiert ­Ligetis Stilmix mit dem Staatsopernorchester als ausdrucksstarken Motor des szenischen Geschehens. Die schroffen Kontraste zwischen Angstmusik, ruppigen Einwürfen in der Art von Strawinskis wildem Sacre du printemps und kontemplativen Passagen, die bisweilen an Ligetis Orchesterstück Atmosphères erinnern, hatten Prägnanz und Profil. Viel Applaus für einen bunten Opernabend, der einen Klassiker der Moderne erstmals, aber konsensual und bekömmlich als Manege des vorerst abgewendeten Weltruins an die Staatsoper brachte. Da geht Ligetis Musik bisweilen um einiges mehr in die Tiefe. (Ljubiša Tošić, 12.1.2023)