Oper Frankfurt: Das "Weiter so" als Katastrophe

Xl_bild_10 © Barbara Aumüller

Oper Frankfurt

György Ligeti

Le Grand Macabre

Premiere und Frankfurter Erstaufführung am 05. November 2023

Eigentlich gar nicht zu glauben: die dem zeitgenössischen Musiktheater und der zeitgemäßen Präsentation des Genres so zugewandte Oper Frankfurt zeigt erst jetzt die Erstaufführung eines Motors der Avantgarde: Le Grand Macabre von György Ligeti. Mit umso mehr Gusto und hochintelligent stürzen sich der neue Generalmusikdirektor Thomas Guggeis und Regisseur Vasily Barkhatov zum hundertsten Geburtstag des Komponisten auf die Realisierung dieses Werkes.   

Ligeti lebte von 1923 bis 2006. Sein bekanntestes Werk ist das bei den Donaueschinger Musiktagen 1961 uraufgeführte Orchesterwerk Atmospheres, bei welchem sich 87 Instrumentalstimmen zu einer Klangfläche zusammenschmelzen. Besondere Bekanntheit erlangte das Werk durch die Filmmusik in Stanley Kubricks Kultfilm 2001 Odyssee im Weltraum aus dem Jahre 1968.   

Die Idee zu Le Grand Macabre kam Ligeti nach der Komposition eines Requiems, das 1965 in Stockholm zur Uraufführung gekommen war. Schon hier faszinierte ihn das Thema des Weltendes, welches er in einem groß besetzten Musiktheaterwerk umsetze wollte. Dieser Bezug ist unweigerlich auch vor dem Hintergrund der persönlichen Lebensgeschichte des Komponisten zu sehen. Nach der Ermordung vieler Familienmitglieder im dritten Reich, ist Ligeti selbst mehrfach nur äußerst knapp und unter nachgerade absurden Zufällen dem Tod entronnen.   

Die Vorlage der Oper geht zurück auf Michel de Ghelderode 1936 entstandenes Schauspiel, welches in der Art eines von Hieronymus Bosch inspirierten, farcenhaften Bummels gleichsam den heraufziehenden europäischen Faschismus aufzuzeigen scheint. Die Erstfassung der Oper von 1978 wurde 1996 vom Komponisten revidiert und wird heute in der als einziger vom Komponisten autorisierten, neuen Version in englischer Sprache und vier Bildern gezeigt. 

Die Handlung verläuft in allerlei absurden, auch zotenhaften Szenen, die ursprünglich auch einmal als Puppenspiel konzipiert waren. Das übergeordnete Thema behandelt die Erlösungssehnsucht des zwischen Leben und Tod sowie Gut und Böse geschüttelten Menschen. Dabei tritt ein ausdrücklich zwischen seinen Welten schwankender Nekrotzar in Erscheinung – bei Barkhatov ein Beerdigungsunternehmer, der auch billige, apokalyptische Weltuntergangserzählungen verfasst.  

Nachdem auf allen Medien weltweit der Weltuntergang durch einen auf die Erde zustürzenden Riesenkometen verkündet wird, scheint seine große Stunde als Grand Macabre gekommen. 

Fürst Go Go, der Landstreicher Piet vom Fass und der Astrologe Astradamors beugen sich dem einfach nicht und verweigern den Weltuntergang. Sie geben sich lieber dem Alkohol hin. Mit von der Partie ist eine leibhaftige Venus, zwei Minister, und nicht zuletzt Gepopo, die Chefin der Geheimen Politischen Polizei. 

Im ersten Teil erleben wir Nekrotzar unterhalb eines verworrenen Autobahnkreuzes (Bühne: Zinovy Margolin) im Spaghetti-Format, in welchem fliehende Autofahrer im Stau stecken geblieben sind. Wirkungsvoll zum Einsatz kommen auch Video-Effekte von Ruth Stofer und Tabea Rothfuchs. 

Der zweite Teil spielt in einem Nachtclub in London mit Welt-Untergangsuhr im Sekundentakt. Hier geben sich die Gäste in atemberaubenden Kostümen (Olga Shaishmelashvili) einem wilden Trink- und Koksgelage hin. Nekrotzar aber wird immer nachdenklicher, und schließlich bleibt die Katharsis aus – das Leben geht eben doch weiter. Der öde Tag, und immer noch nicht zum letzten Mal, bricht unweigerlich an. Die Bereitschaft zum Untergang scheint höher zu sein als die Bereitschaft zur Veränderung und das „weiter so“ ist (wie schon für Walter Benjamin) die eigentliche Katastrophe. 

Idee und musikalische Umsetzung sind nicht frei von gewissen zeitbezogenen Ästhetiken der 60er und 70er Jahre. Barkhatov und Guggeis antworten darauf mit einem musikalisch als auch szenisch sehr konkret und plastisch umgesetzten Konzept.

Simon Neal als Nekrotzar singt und spielt den traurigen Makabren mit bitterem Aplomb und im weiteren Verlauf des Abends zunehmender Nachdenklichkeit und Melancholie. Eine außerordentliche Leitung! 

Auch Peter Marsh als Piet vom Fass lässt sich auf seinem Ritt nicht lumpen und torkelt alkohol-selig, aber stimmlich gekonnt durch die Szenen. Eric Jurenas brilliert mit seinem flexiblen und ausdrucksstarken Countertenor als Fürst Go-Go auf der abgrundschrägen Untergangsparty im aberwitzigen Federkostüm.  

Venus und Chef(in) der Gepopo ist Anna Nekhames. Sie fällt im ersten Bild erst einmal tot aus dem Wagen des Beerdigungsunternehmers Nekrotzar und schwingt sich - immer wieder unerwartet belebt - für ihre Auftritte in mörderisch-hohe, koloraturgetränkte Gesangsbeiträge auf, Anspielung auf die Königin der Nachtkein Zufall.   

Astradamors von Alfred Reiter sowie seine unbefriedigte Ehefrau Mescalina von Claire Barnett-Jones geben beide ihrem Affen Zucker und  Amanda und Amando von Elisabeth Reiter und Karolina Makula haben bei brillanter Gesangsleistung außerordentliche Spielfreude an ihren in vertauschten Kostümen gestalteten Rollen.  

Der Chor der Oper Frankfurt unter der Leitung Tilman Michael ergänzt musikalisch und darstellerisch gelungen das Gesamtbild.  

Die Orchesterbesetzung der Oper ist wie auf den Kopf gestellt : schmale Streicherausstattung bei den hohen Streichern, aber große Besetzung bei den Holz- und Blechbläsern, sechs Tasteninstrumente und sehr großer Schlagzeugapparat. Es gibt musikalische Stile und Zitate aus verschiedenen Jahrhunderten und Werken. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester buchstabiert die Partitur penibel aus, bildhafte Dynamik herrscht reichlich und für Guggeis gibt es keine unspielbare oder unsingbare Stellen. 

Das Publikum hat viel Spaß an dem Geschehen auf der Bühne. Es gibt immer wieder spontane Lacher und sogar Szenenapplaus zu Beginn des zweiten Bildes. Ganz zu Recht holt Guggeis sein Orchester neben dem Sängerensemble zum Schluss-Applaus mit auf die Bühne. Ungeteilter Beifall und bravi-Rufe auch für das Regie-Team.

Achim Dombrowski

Copyright Fotos: Barbara Aumüller 

 

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