Konzentration auf die Schicksale von Menschen und die Parallelen zu uns: Torsten Fischer (u.) über Glucks "Telemaco".

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Fischer, 53, arbeitet nach einem Lehramtsstudium seit 1981 am Theater. Er war Regisseur am Bremer Theater und Schauspieldirektor in Köln. Gastregien in Oper und Schauspiel, u. a. in Stuttgart, Berlin, Zürich und Wien.

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Daniel Ender sprach mit Fischer über ästhetisch gerahmte Katastrophen und über aufklärerische Kunst.

STANDARD: Sie sind von Ihrer Ausbildung Pädagoge. Spielt das für Ihren Zugang zur Regie eine Rolle?

Fischer: Während meinem Studium habe ich in Gefängnissen gearbeitet; das war eigentlich mein Theaterstudium. Die verdichteten Schicksale, denen man in einem Drogengefängnis oder in einer Jugendstrafanstalt begegnet, sind durchaus vergleichbar mit den Schicksalen von Bühnenfiguren. Man hat ja Klischeevorstellungen, dass die Menschen im Knast alle böse sind. Auch Figuren auf der Bühne sind nicht böse geboren, sondern entwickeln sich erst dazu. Da sehe ich viele Parallelen.

STANDARD: Sehen Sie sich auch in einer didaktischen Funktion?

Fischer: In meiner Arbeit habe ich Menschen nichts beizubringen. Meine Aufgabe sehe ich darin, der Anwalt jeder Figur zu sein und dementsprechend jeden Sänger und jeden Schauspieler zu sich zu führen. Ich interessiere mich nicht nur für meine Fantasie, sondern vor allem für die Fantasie meiner Kollegen und möchte ihnen nichts aufzwingen, sondern mit ihnen die Figuren entwickeln, um sie glaubwürdig zu gestalten. Ob das pädagogisch ist, weiß ich nicht. Vielleicht ein wenig.

STANDARD: Und gegenüber dem Publikum? Sie kommen gerade von einer Beleuchtungsprobe - sehen Sie sich dazu berufen, das Licht der Aufklärung zu entflammen?

Fischer: Griechische Tragödien wie der Stoff von Glucks Telemaco sind ja ein wunderbarer Spiegel, um darin unser eigenes Leben wiederzuentdecken. Wenn das gelingt, ist es auch eine - hoffentlich nicht belehrende, aber vielleicht doch ein bisschen pädagogische - Spiegelung von uns selbst.

STANDARD: Glucks Oper entstand 1765 für einen höfischen Anlass. Inwieweit lässt sich das Stück für Sie aus diesem Funktionszusammenhang überhaupt ablösen?

Fischer: Es ist merkwürdig, dass das Stück für ein Hochzeitsfest komponiert wurde (des späteren Joseph II. und Maria Josepha von Bayern, Anm.), und es darin überhaupt kein Glück gibt, nur Traurigkeit. Die Menschen finden sich nicht, sondern verlieren sich oder sterben. Der letzte Satz der Oper heißt: "Ich möchte Ithaka oder die ganze Welt zerstören." Das sind doch ganz düstere Prognosen für eine Hochzeit. Dass die Ehe unglücklich war und die Frau bald starb, passt fast ins Libretto. Das ist schon eine böse Geschichte, wie fast immer bei Gluck, obwohl die Musik so schön klingt. Aber das ist wohl eher der Trost in der Furchtbarkeit. Es sind praktisch nur unglückliche Figuren. Und da kann der Zuschauer schon mittrauern und beobachten, wie es zu diesem Unglück kommt.

STANDARD: Als solche katastrophalen Geschichten im 18. Jahrhundert auf der Opernbühne gezeigt wurden, waren sie allerdings ganz stark durch den repräsentativen Rahmen der Aufführung aufgehoben - innerhalb der Welt des Kaiserstaats, die sich den Anschein vollkommener Ordnung gab.

Fischer: Das haben wir ja durch den ästhetischen Rahmen heute auch, wobei ich aber nicht die Welt verharmlosen möchte. Der Rahmen ist zunächst einmal ein ästhetisch schöner, aber das heißt nicht, dass die Figuren da drin glücklich wären. Ich neige zu sehr schlichten Bühneninstallationen und versuche, mich auf die Menschen zu konzentrieren. Das benötigt schon einen abstrakten Rahmen, der - banal ausgedrückt - ein wenig zur Musik passt. Diese Oper kann man nicht im Supermarkt oder in Afghanistan spielen.

STANDARD: Beim Original gab es am Anfang und am Ende ein Ballett.

Fischer: Ein Ballett haben wir nicht. Wir beginnen beim Abschied von Itakha, landen auf der Ogygia-Insel bei Circe, die mit ihren Nymphen einen Frauenstaat hat. Dorthin gerät Odysseus mit seinen Soldaten. Und da kann man sehen, wie Frauen und Männer miteinander umgehen. Circe verliebt sich dann dummerweise in Odysseus. Daraus entsteht die ganze Geschichte, die zuerst weit weg scheint und einen dann plötzlich doch ganz nahe betrifft. Die darf sich aber jeder im Publikum auf seine Weise zusammensetzen.
(DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.2.2012)