Puccinis „Trittico“ in Wien :
Das Glück winkt anderswo

Von Reinhard Kager
Lesezeit: 4 Min.
Am Festmahl erstickt: Ensembleszene aus „Gianni Schicchi“
Tatjana Gürbaca debütiert mit einer Inszenierung von Giacomo Puccinis „Il trittico“ an der Wiener Staatsoper.

Es ist düster auf der weit offenen und nahezu leeren Bühne. Lediglich vier hintereinander vom Schnürboden abgehängte Neonschriftzüge sind überdimensioniert zu sehen: ‚SCHWER‘, ‚SEIN‘, ‚LICH‘, ‚GLÜCK‘ – Worthülsen, die verschieden zusammengesetzt werden können, abwechselnd leuchten oder verschieden beleuchtet sind. Sie entstammen einem Schlüsselsatz aus Giacomo Puccinis „Il tabarro“ („Der Mantel“), dem ersten der drei Einakter von „Il trittico“ (1913 –1918): „Wie schwer ist es, glücklich zu sein!“

Als wollten sie dem Glück nachjagen wie einem Regenbogen, defilieren im Hintergrund des eigentlichen, an der Rampe spielenden Geschehens offenbar von einem Pariser Jahrmarkt kommende Menschen vorbei, bunt gekleidet, mit Luftballons im glitzernden Konfettiregen, stets im Tempo mit der Musik, in der das beständige Fließen der Seine omnipräsent ist. Doch nach und nach verliert sich der Zug der Feuchtfröhlichen, stattdessen tauchen nun erschöpfte Hafenarbeiter in Gelbwesten auf, denen die Bewegungen sichtlich Mühe machen. Somit wird auf abstrakte Weise klar, wie stark die Tragödie, die sich zwischen dem Schleppkahnbesitzer Michele, seiner Frau Giorgetta und dem in sie verliebten Hafenarbeiter Luigi abspielt, von prekären Lebensverhältnissen beeinflusst ist.

Mussolini-Reden zum Abendessen

In dem bewusst kargen, doch umso schlüssigeren Bühnenbild von Henrik Ahr, das in den beiden anderen Teilen des „Trittico“ nur wenig verändert wird, gab Tatjana Gürbaca ihr bemerkenswertes Regiedebüt an der Wiener Staatsoper. Ein Jahr nach den Salzburger Festspielen, die „Il trittico“ in der Regie von Christof Loy zeigten, und über vierzig Jahre nach der letzten Staatsoperninszenierung von Puccinis spätem Meisterwerk, sind die drei Einakter nun endlich wieder als Einheit in Wien zu sehen. Anders als in Salzburg wird in Wien jedoch die ursprüngliche Reihenfolge der Stücke eingehalten, die auch eine Art retrograde Zeitreise birgt: vom Paris des frühen 20. Jahrhunderts („Il tabarro“) über ein Kloster am Ende des 17. Jahrhunderts („Suor Angelica“) bis zum spätmittelalterlichen Florenz Dante Alighieris („Gianni Schicchi“).

Auf die Nachzeichnung solch einer großen Zeitspanne verzichtet Gürbaca zwar, jedoch flackert bei aller Gegenwärtigkeit der Bilder immer wieder die Zeitgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts auf. Die Nonnen, von Silke Willrett in hellgraue Habite und Spitzenhäubchen gekleidet, könnten auch aus der Mitte des 20. Jahrhunderts stammen, ebenso wie der an einem Festmahl erstickende Buoso Donati in „Gianni Schicchi“, der „vor nicht allzu langer Zeit“ Reden von Mussolini zum Essen hört. Die Allgegenwart autoritärer, noch im Faschismus wurzelnder Strukturen bildet die Verbindung zwischen den drei von Puccini höchst verschieden komponierten Einaktern. Aus dieser Perspektive schildert Gürbaca auch die Schicksale der drei zentralen Frauen und deren Prägung durch die Arbeitswelt, die Kirche und die Familie.

Sinnloser Selbstmord der Opernheldin

In „Il tabarro“ dominiert das patriarchalische Muster, personifiziert durch den mühsam um seine Existenz ringenden Schiffer Michele, dem Michael Volle eine imposante Statur verleiht. Sein Nebenbuhler Luigi (der Tenor Joshua Guerrero) ist beinahe eine Seitenfigur, zumal Giorgetta auch wegen ihres verstorbenen Kindes immer noch am gemeinsamen Schicksal mit Michele hängt. Anrührend, wie die markante Anja Kampe als Giorgetta den zusammengeknüllten Mantel, den ihr Michele in die Arme legt, wie ein Ersatzkind wiegt.

Zwar spielt sich der Konflikt in „Suor Angelica“ nur unter Frauen ab, doch ist die resolute Fürstin von Michaela Schuster deutlich vom Autoritätsdenken des Adels geprägt, obgleich sie andeutungsweise auch zärtlich sein kann. Da gelingt Gürbaca der größte Coup des Abends. Denn die wegen eines unehelichen Kindes in ein mittels einer Mauer angedeutetes Kloster verbannte Angelica, die Eleonora Buratto mit steigender Intensität singt, wird im Finale nicht durch die Madonna entrückt. Vielmehr konfrontiert die Fürstin sie mit dem totgeglaubten Sohn, den die Tante ihr zuerst verborgen hielt. Umso tragischer wirkt Angelicas sinnloser Suizid.

Schwieriger ist es, in der abschließenden Opera buffa, „Gianni Schicchi“, die verdeckten Autoritätsstrukturen offenzulegen, zumal Puccini in diesem Einakter die Scheinheiligkeit ins Zentrum rückt. Gürbaca lässt das Geschehen auf der nun tunnelartig verengten Bühne während des Florentiner Karnevals spielen. Dementsprechend sind die nach ihrer Erbschaft jagenden Protagonisten wie in einem bizarren Grand ­Guignol gekleidet: Zita (Michaela Schuster) erscheint als Hollywood-Diva, Rinuccio (der flüssig phrasierende Bogdan Volkov) reitet in Gardeuniform auf einem Esel, und Lauretta (die gewandte Serena Saënz) gibt ein kesses Funkenmariechen. Einzig Gianni Schicchi, den Ambrogio Maestri souverän gestaltet, ist in einen schlichten Anzug gekleidet.

Im Gewirr der unterschiedlichen Interessen verliert Gürbaca leider die Fäden. So geht in der turbulenten Karnevalsstimmung fast unter, wie fragil es um das Glück des Liebespaars Lauretta/Ranuccio steht. Denn die von Standesdünkel geprägten Florentiner Bürger erwarten sich von einer Braut eine satte Mitgift. Nur durch List rettet Schicchi das Paar und stattet seine Tochter prächtig aus: mit der erschlichenen Erbschaft Buoso Donatis. Trotz dieses überinstrumentierten Finales, das der sonst sehr geschmeidig dirigierende Philippe Jordan am Pult des Wiener Staatsopernorchesters zu allem Überfluss ziemlich schwerfällig interpretiert, waren die Buhs für die Regiemannschaft vollkommen ungerecht. Zumal der Abend nachdrücklich auf den Druck immer noch herrschender sozialer Missstände und Zwänge verweist, die den Menschen das Glück oft zerstören.