Drei Frauen in einer einzigen sei Stella, stellt der Dichter Hoffmann im ersten Akt fest und so scheint die Idee, an der Oper Graz vier Regieteams mit der Inszenierung der Eröffnungspremiere zu betrauen, auch durchaus spannend. Allerdings fehlte es Jacques Offenbachs Werk in Folge am dramaturgischen roten Faden und an einer stringenten Personenregie; darüber hinaus konnte auch einzeln betrachtet keines der vier Konzepte wirklich überzeugen.

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Matthias Koziorowski (Hoffmann)
© Werner Kmetitsch

Für den ersten und den fünften Akt, also die Rahmenhandlung, platziert Tobias Ribitzki Hoffmann zuerst an einem Tisch mit einer Kerze und pfercht Chor und Solisten direkt an der Rampe zusammen; Lindorf muss böse umherblicken, die Muse überdreht agieren und Hoffmann ist weiß geschminkt – das war es dann aber auch schon mit den vermeintlichen Ideen.

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Anna Brull (Muse, Nicklausse), Matthias Koziorowski (Hoffmann) und Petr Sokolov (Coppelius)
© Werner Kmetitsch

Die gesamte Bühne ausnutzen wollte offenbar auch das Künstlerkollektiv 1927 nicht, denn für den Olympia-Akt versammeln sich einmal mehr alle Beteiligten zum Rampensingen, während im Hintergrund psychedelische (und bemüht lustige) Animationen im Comic-Stil für optische Reizüberflutung sorgen. Der Bühnenraum öffnet sich in Folge erst für die Welt der Antonia, die in einem stilisierten Hinterbühnengerüst angesiedelt ist und in der bis auf Hoffmann und Antonia alle Figuren von optisch unansprechenden Klappmaulpuppen gedoppelt werden. Das Warum erschließt sich dabei nicht, einen szenischen oder interpretatorischen Mehrwert bieten sie jedenfalls nicht.

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Peter Oh (Cochenille), Tetiana Zhuravel (Olympia), Mario Lerchenberger (Spalanzani)
© Werner Kmetitsch

Richtig ärgerlich wird es dann im vierten Akt bei Giulietta, als die sich permanent in Bewegung befindende Drehbühne und der zur Choreographie verdonnerte Chor mit ihren jeweiligen Begleitgeräuschen den Fokus völlig von der Musik ablenken. Auf einer ansonsten leeren Bühne taucht zusätzlich zwischendurch ein Spiegelkubus auf, der zwar hübsch anzusehen ist, aber dessen Bedeutung unklar bleibt. Dass die drei Frauenfiguren sowie die Bösewichter in all diesen Episoden durch die Regie wenig Persönlichkeit verliehen bekommen, ist eine Sache – als Ideen, Ängste oder Halluzinationen Hoffmanns müssen sie ja nicht alle ausgefeilte Charaktere besitzen – aber dass weder Hoffmann selbst noch die Muse/Nicklausse den Funken einer kohärenten Persönlichkeit darstellen, war der wohl größte Schwachpunkt der Inszenierung. Eine gehörige Portion Trost an diesem szenisch unbefriedigenden Abend spendeten jedoch die hervorragenden Gesangsleistungen des versammelten Ensembles.

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Tetiana Miyus, (Antonia)
© Werner Kmetitsch

Allen voran lieferte Matthias Koziorowski als Hoffmann eine beeindruckende Leistung ab, denn bis auf ein paar kleine Momente hielt er den ganzen Abend über im Vollgas-Power-Modus durch. Mit warmem Schmelz im Timbre schmachtete er seine Angebeteten an, bot strahlende Höhen und vokale Attacke beim Lied von Kleinzack und fand stets eine schöne Balance zwischen gefühlvollen Pianomomenten und ganz großem Drama. Als Muse bzw. Nicklausse an seiner Seite konnte Anna Brull ihre stimmlichen Stärken voll ausspielen, die Rolle passt nämlich ideal zu ihrem farbenreichen Mezzo, der besonders in der oberen Mittellage so richtig aufblüht und vielfältige Emotionen vermittelte. Petr Sokolov stattete die Partie des Lindorf mit dämonisch timbrierter Bösewichtsaura aus,  insbesondere im ersten Akt schien sich seine Stimme so richtig wohlzufühlen, denn sie strömte geschmeidig durch Partie. Bei den in Folge auftretenden Alteregos war die Wirkung jedoch unterschiedlich, denn während er als Dr. Miracle vokal höchste Autorität und Boshaftigkeit versprühte, ging Dapertuttos Diamantenarie leider ziemlich unter.

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Peter Oh (Pitichinaccio), Mareike Jankowski (Giulietta) und Matthias Koziorowski (Hoffmann)
© Werner Kmetitsch

Neben den in allen Akten vorkommenden Figuren waren auch die drei Frauen, denen Hoffmann in seinen Erzählungen begegnet, durchwegs hervorragend besetzt. So begeisterte Tetiana Zhuravel mit glasklarem Timbre und so perfekten Koloraturen, dass man teilweise beinahe vergaß, dass hinter der Puppe tatsächlich eine lebendige Sängerin und kein Automat steckte. Dabei blieb die Stimme auch in den exponiertesten Lagen völlig frei von Schärfe, sodass es wirklich ein Genuss war, dieser Olympia zuhören zu dürfen. Eine träumerisch seelenvolle Antonia verkörperte Tetiana Miyus, in ihrer Stimme spiegelten sich dabei die widerstreitenden Emotionen des Charakters in den Klangfarben wider. Dabei verfügt ihr Sopran stets über eine Leichtigkeit im Timbre, aber auch über genug Substanz, um sich im Finale des Akts mühelos über die dramatischen Klangwogen aus dem Graben aufzuschwingen. Als Giulietta ließ Mareike Jankowski schließlich ihren satten Mezzo in verführerisch dunklen Farben funkeln, um an Hoffmanns Spiegelbild zu kommen; dabei scheute sie auch nicht davor zurück, die Stimme dramatisch aufwallen zu lassen und erzielte genau dadurch großen Effekt.

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Matthias Koziorowski (Hoffmann)
© Werner Kmetitsch

Wie immer mit voller Dosis Spielfreude und üppigem Klang war der Chor dabei und auch die kleineren Rollen waren mit Mario Lerchenberger, Daeho Kim, Martin Fournier und Neven Crnić aus dem hauseigenen Ensemble sehr gut besetzt. Am Pult der Grazer Philharmoniker wählte Dirigent Johannes Braun den Abend über straffe Tempi, ohne dabei die Süffigkeit und Romantik des Werks zu verdecken. Die verschiedenen Welten wurden schön herausgearbeitet, so erklang etwa in ausladenden Streicherbögen die romantische Melancholie von Hoffmann, mit augenzwinkernder Präzision wurde die mechanische Olympia in Klang gegossen, dramatisches Aufflackern zog in den Bann Antonias und in Giuliettas Venedig schillerte das gesamte Orchester in verführerisch dunklen Farben.

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