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Thomas Guggeis dirigiert „Figaros Hochzeit“ an der Oper Frankfurt - Das sind die schönen Augenblicke der Zärtlichkeit und des Vergnügens

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Auf dem Weg zum Finale: Figaro (v.l.) und der Graf sind nervlich allmählich strapaziert, Susanna und die Gräfin sind als Gräfin und Susanna verkleidet.
Auf dem Weg zum Finale: Figaro (v.l.) und der Graf sind nervlich allmählich strapaziert, Susanna und die Gräfin sind als Gräfin und Susanna verkleidet. © Barbara Aumueller

Dem neuen Generalmusikdirektor Thomas Guggeis gelingt ein fulminanter Start – und die Oper Frankfurt hat wieder einen todsicheren „Figaro“ im Programm

Mozarts „Le nozze di Figaro“ ist ein perfektes Werk in Wort und Ton, drängt aber doch auch ins Szenische, indem Da Pontes Dramaturgie ebenfalls perfekt ist. Eine schöne Situation für das Publikum, das sich noch dazu auskennt und zu Hause fühlt, eine anspruchsvolle für das Theater, das sich hineinschieben und ins Spiel bringen muss, ohne zu sehr dagegen abzufallen und ohne zu viel kaputtzumachen.

In Frankfurt haben sie eine gute Hand dafür, das kollektive Gedächtnis hat noch Peter Mussbachs geniale Inszenierung vor Augen, die 1996 Premiere hatte (Sylvain Cambreling dirigierte) und unter dem Namen Kohlenkeller-Figaro in die Annalen einging. 2007 folgte Guillaume Bernardis weniger markante, aber leichtgängige Lesart, die im Corona-Jahr 2021 zuletzt in einer Abstand haltenden, aber weiterhin munteren Variante zu sehen war – mit Liviu Holender und der auch aktuell wieder beteiligten Adriana González als Graf und Gräfin, die hier draußen im Leben ebenfalls ein Paar sind und sich darum als einzige nahekommen durften (ausgerechnet die Almavivas, deren Ehekrise im Handlungsverlauf voll durchschlägt, eine ulkige Volte).

Jetzt steht wieder alles auf Anfang, in mehrfacher Hinsicht. Den neuen „Figaro“ in einer wiederum auf Jahrzehnte vorstellbaren, gescheiten, leichten, aber nicht harmlosen Inszenierung von Tilmann Köhler macht der neue Generalmusikdirektor Thomas Guggeis zu einem triumphalen Auftakt seiner Amtszeit.

Im Museumkonzert hat er vor wenigen Wochen schon ausgerechnet mit der penetrant vertrauten „Kleinen Nachtmusik“ eine Idee von einem federnden, gar nicht extremen, schon gar nicht angespannten, lediglich extrem austarierten Mozartklang gegeben. Jetzt im „Figaro“ ist alles Finesse, schlank, aber nicht mager, aber gegenüber denen auf der Bühne nicht einmal exorbitant rücksichtsvoll, dafür herrlich alert und ausreichend aggressiv. Wenn Figaro Kihwan Sim seinen Zorn gegen den übergriffigen Grafen in jenen sehr kurzen Song überführt („Will der Herr Graf ein Tänzchen nun wagen“), dann ist in Frankfurt die Revolution nur noch eine Minute entfernt. Hier wird nicht geträllert, hier werden die Zähne gefletscht, und es klingt trotzdem toll, aber man will Figaro nicht zum Feind haben.

In der Oper selbst können die Wogen noch einmal geglättet werden, gleichwohl wogt es in der Musik, und auf der Bühne wogt es auch, und Sanftheit täuscht nicht darüber hinweg. Wenn Blicke töten könnten, würde Almaviva von seiner Gattin erdolcht. Und wenn Danylo Matviienko und González nebeneinander sitzen und er wird von ihrer Verachtung geradezu zur Seite gedrückt, dann zeigt sich die ganze Verve der Köhlerschen Inszenierung, die so hübsch aussieht und so sublim zur Sache kommt: Liebe und Hass, Sympathie und Verachtung, Zuneigung und Zurückweisung und die Unzahl von Gemütslagen und Vorgängen dazwischen funkeln und sie wollen alle pfleglich behandelt werden. Was gelegentlich fast wie Stegreif aussieht, so salopp, muss umso sorgsamer ausgearbeitet worden sein.

Zumal die Bühne von Karoly Risz Eindruck macht, aber die Menschen ins Zentrum schiebt, oft auch nach vorne. Der Graf taucht nach der Pause sogar in der ersten Reihe auf, nicht dumm von ihm, Verbündete im Publikum zu suchen. Matviienko ist ein solcher Frechdachs, dass man ihn bei allem Grauen und Grummeln mögen kann, ohne dass es peinlich altherrenlustig würde. Er bekommt ja auch auf die Mütze, letztendlich, und „Figaros Hochzeit“ ist eine Komödie.

Risz arbeitet mit riesigen hellen Holzwänden, davor eine weiße Spielfläche mit etlichen Gartenstühlen (die es kaum braucht, außer wenn sich Cherubino oder der Graf oder beide verstecken müssen, sich auf einem Gartenstuhl zu verstecken, ist eine – Herausforderung). In den Holzwänden viele schmale bühnenhohe Drehtüren, die sich auch wie Lamellen benutzen lassen und Joachim Kleins feiner Beleuchtung dienlich sind. Die Drehtüren ermöglichen flotte Abgänge, rasche Wiederkehr und Schabernack. Alles geht geräuschlos vonstatten, man huscht auf leisen Sohlen.

Schon zur Ouvertüre schauen die Figuren neckisch herein, eine von Susanne Uhl kunterbunt eingekleidete Schar im Look zwischen 1786 und 2023. Das hilft, aber es sind vor allem springlebendige Protagonisten und Protagonistinnen auf der Bühne, jung, schön, verbindlich und humorvoll, und es wird jugendlich frisch gesungen. Kihwan Sims sonorer Bass steht in einem gewitzten Verhältnis zu seiner Beweglichkeit, er flitzt im rosa Sportjäckchen umher wie aus einem Manga gesprungen. Seine Susanna, Elena Villalón, lässt das kühle, klare Zwitschern der Vernunft hören. Matviienko nimmt sich selbst auf den Arm mit seinem Modellkörper, feinen Bariton und unmöglichen Betragen. González ist nicht nur die Gräfin, sie ist die Königin des Abends, die den melancholischen Anteil mit ihrem blühenden Mezzo am tiefsten auslotet (schon im unglücklichen Salzburger Sommer-„Figaro“ von Martin Kušej eine reine Wucht). Kelsey Lauritano debütiert als erwartungsgemäß ebenfalls fabelhaft tiefschürfender Cherubino.

Köhler sucht den Scherz, aber er meidet den Klamauk. Cecelia Hall als Marcellina, Donato Di Stefano als Bartolo und Magnus Dietrich als Basilio sind ein gemütlich ziviles Trio infernale. Der Wohlklang der Stimmen besiegt die Albernheit der Situation. Idil Kutay, der Barbarina aus dem Opernstudio, gelingt es mit einer gar nicht so süßen, sondern recht kräftigen Nadel-Arie zwischen den jungen Leuten trotzdem irgendwie noch jünger zu wirken. Franz Mayer rundet das Altersspektrum als Antonio nach oben ab, als Bariton auf der Kurzstrecke noch immer eine Bank.

Der Chor wieselt kurz herein, individuell wie immer und von Tilman Michael gut auf den empfindlichen, aber kernigen Mozartklang eingestellt. Unernst ist eine ernste Angelegenheit. Es ist der GMD selbst, der auf dem Hammerklavier nicht nur begleitet, sondern auf den Tasten auch im freien Galopp Mozart zitiert und für eine hinreißende Musizierstimmung sorgt.

Apropos Kohlenkeller-Figaro. Wenn man zurückblättert im Kopf und in der Zeitung, trifft man nicht nur einen vor Abscheu rasenden Marcel Reich-Ranicki, der seine Abscheu in die Formel kanalisierte, wenn man schon einen Kohlenkeller als Schauplatz wähle, solle man wenigstens so konsequent sein, Mozarts Musik wegzulassen. Man trifft auch auf ein Opernhaus in personellem Dauerclinch und unproduktiver Unruhe, und es darf einem wieder klar werden, wie glanzvoll sich die Zeiten ändern können.

Nach der wirklich ausreichend bejubelten Premiere wurden nun wieder vier Kritikerauszeichnungen der Zeitschrift „Opernwelt“ überreicht: an Intendant Bernd Loebe für das „Opernhaus des Jahres“, an Michael für den „Chor des Jahres“, dazu noch für die „Uraufführung des Jahres“ (Vito Žurajs „Blühen“, ein geteilter Preis, der aber dadurch kein halber wird) und die „Wiederentdeckung des Jahres“ (Rudi Stephans „Die ersten Menschen“). Guggeis legt in wenigen Wochen nach und dirigiert bereits Anfang November die Premiere von György Ligetis „Le Grand Macabre“. Dazwischen leitet er die Wiederaufnahme von „Don Carlo“, kurz darauf das 3. (sein zweites) Museumskonzert.

Dass hinter noch halbwegs verschlossenen Türen die finanzielle Lage der Städtischen Bühnen angesichts von unabgefangenen Tariferhöhungen, Sparforderungen und allgemeiner Teuerung als prekär bis äußerst bedrohlich eingeschätzt wird, klingt geradezu unwahrscheinlich angesichts des Schwungs im sichtbaren Geschehen. Aber indem beide Bühnen-Intendanten bisher relativ nobel versuchen, das Beste draus zu machen und auf Daueralarm zu verzichten, ist die Stadt umso mehr am Zug.

Oper Frankfurt: 6., 8., 12., 14., 21. Oktober. www.oper-frankfurt.de

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