„Le nozze di Figaro“ in Frankfurt :
Kluger Frauen Gegenwehr

Von Wolfgang Fuhrmann
Lesezeit: 5 Min.
Cherubino (Kelsey Lauritano) weiß noch nicht recht, wohin sein Schwärmen führt, Susanna (Elena Villalón) aber schon
Ernste Spiele am gekürten Haus: Thomas Guggeis gibt mit Mozarts „Le nozze di Figaro“ einen hinreißenden Einstand an der Frankfurter Oper.

Als der tolle Tag im Hause Almaviva – „dieser Tag der Qualen, der Launen, der Verrücktheiten“, wie es im finalen Allegro assai heißt – zu Ende gegangen war, als auf den letzten D-Dur-Akkord nicht enden wollender Beifall und Jubel für wirklich alle Beteiligten folgte, als sich sogar ein guter Teil der gediegenen Frankfurter Bürgerschaft zum hierorts höchst ungewöhnlichen Stehapplaus erhob – da setzte das Erscheinen einer Dame und zweier Herren auf der Bühne dem Ganzen noch das Glanzlicht auf.

Jürgen Otten, Redakteur der Zeitschrift „Opernwelt“, die soeben zum siebenten Male die Frankfurter Oper zum Opernhaus des Jahres gekürt hat, hielt eine gut gelaunte Laudatio, die Kulturdezernentin Ina Hartwig signalisierte eine bald anstehende Entscheidung in Sachen Opern-Neubau, Intendant Bernd Loebe und der mit dem von ihm geleiteten Chor ebenfalls ausgezeichnete Tilman Michael dankten bescheiden. Und die Frankfurter Operngemeinde feierte ihr preisgekröntes Opernhaus, ihren kunstsinnigen Intendanten, ihren neuen Generalmusikdirektor, der seine Antrittspremiere mit Bravour hingelegt hatte, und natürlich auch sich selbst.

Alles also schön, alles wie gehabt? Das Opernhaus als Ort des Genusses einer elitären Hochkulturgemeinde? Mit Wolfgang Amadé Mozarts „Le nozze di Figaro“ nach einem Libretto von Lorenzo da Ponte war zur Eröffnung der neuen Saison ein durch und durch kanonisches Stück ausgewählt worden, was in manchen Sprengeln unserer Gesellschaft bereits einem Verdammungsurteil gleichkommt. Gilt dort der Kanon der großen Werke doch primär als ein Bevorzugungsmechanismus für weiße Männer nah an der Macht.

Listenreiche Abwehr des Belästigers

Gegen derartige Pauschalurteile hilft, wie immer, nur genaues Hinsehen und Hinhören. In „Le nozze di Figaro“ stehen Machtmissbrauch, sexuelle Nötigung und sexuelle Belästigung im Zentrum, konzentriert vor allem in der Figur des Grafen Almaviva, der um jeden Preis mit Susanna, der Kammerzofe seiner Gattin und Verlobten seines Kammerdieners Figaro, schlafen möchte. Männliche Herrschaft und männliche Lust verschwören sich unheilvoll. Es sind also ernste, ganz und gar aktuelle Themen, die hier verhandelt werden. Wie gehen die Personen in diesem Stück damit um? Wie Tilmann Köhler, der Regisseur der Frankfurter Produktion, und sein Team?

Beide lösen den entstandenen Konflikt spielerisch. Der Graf wird weder geköpft noch gecancelt, sondern durch die List der anderen so vorgeführt, dass er dreimal als Depp dasteht und zuletzt auch noch als betrogener Betrüger und erfolgloser Ehebrecher. Es sind durchaus ernste Spiele – der Tod ist als Drohung gegenwärtig. Aber es sind, vor allem, der Witz, die Klugheit und die Geistesgegenwart der Frauen, die im Spiel jeden Zug zu parieren wissen.

Kostümbildnerin Susanne Uhl hat alle Darsteller in lustig bunte Gewänder gesteckt, die einen Assoziationsbogen vom Rokoko bis zum Zeitalter des Turnschuhs schlagen. Diese historische Nichtverortung überzeugt mehr als das Hellholz-Bühnenbild von Karoly Risz, das ein Parkettquadrat wie ein Spielbrett, umgeben von drei Wänden voller Schwingtüren, präsentiert. Diese Luftigkeit funktioniert im „Figaro“, wo es so oft um Verstecke, Verkleidungen, versperrte Türen geht, nicht wirklich gut, man muss eben daran glauben wie Kinder beim Spielen (Joachim Kleins differenzierte Lichtgebung hilft dabei).

Brillante Sängerdarsteller

Dem Figaro glaubt man alles. Der Titelheld zeigt sich in bester Laune und bei bester Stimme: Kihwan Sim ist ein überaus kraftvoller Bassbariton, aber er verfügt auch über die nuancierte Leichtigkeit, die Flinkheit im Stimmungswechsel, die Mozarts Musik fast immer verlangt. Und ebenso wandlungsfähig erweist sich der Darsteller Sim, vielleicht zu comichaft im Mimischen, wenn sich Augen und Mund zu runden Kreisen des Erstaunens formen.

Seinen Antipoden, den bad guy, entzaubert der Abend aber ein wenig zu sehr. Graf Almaviva ist ein Modegeck mit einem Anzug im Farbton einer überreifen Himbeere; zum Stelldichein mit der vermeintlichen Susanna kommt er sogar brustfrei. Aber Danylo Matviienko wirkt als Graf zwar nuanciert, doch zu hell timbriert, seiner Stimme fehlt die triebgesteuerte Durchschlagskraft und Brutalität der Figur.

Rund um diese Widersacher wirbelt ein wahrer Flohzirkus brillanter Sängerdarsteller: Kelsey Lauritano versieht ihren zur Bockigkeit neigenden Cherubino nicht mit samtigem Mezzoton, sondern einem fast metallisch-spröden Ansatz, der gegen Ende des atemlosen „Non so più“ androgyne Betörung verbreitet. Cecelia Hall gibt als Marcellina nicht die abgewrackte Schabracke, sondern bei aller Steifheit des Tweedkostüms mit leuchtendem Ton eine potentiell gefährliche Konkurrentin der Susanna. Donato di Stefano lässt den Bartolo ständig an der Grenze zum Herzanfall poltern, Magnus Dietrich verleiht dem Basilio den nötigen schleimigen Charme (besonders hübsch in einer dazu improvisierten Verzierung auf „Cherubino d’amore“), Idil Kutay zeigt als Barbarina Witz und Schärfe und in der Nadel-Cavatine innige Verzweiflung; diese Sängerin ist für größere Aufgaben qualifiziert.

Immer wieder und immer vergeblich um Ruhe im Sturm bemüht sich Adriana González als Gräfin, mit schier unendlichen Phrasen und einem Pianissimo an der Grenze zum Hauchen; dass sich ihre etwas zu carmenhafte rote Robe scharf mit der des gräflichen Jacketts beißt, ist ein kleines Symbol für die Unglaubwürdigkeit der schlussendlichen Versöhnung unter den Eheleuten. Es ist ausgerechnet der Chor der Bäuerinnen und Bauern, der in einem Moment eine andere, drastische Lösung andeutet: im gestischen revolutionären Grollen, in der Verschleierung der Männer als Trans-Bräute.

Meisterhaftes Dirigat

Weiser und eben spielerischer agiert die heimliche Hauptfigur der Oper, Susanna. Elena Villalón, anfangs von ihrem kraftvollen Verlobten rein akustisch an die Wand gesungen, gewinnt im Lauf des Abends an Farbe und Durchschlagskraft; an Präzision und Nuanciertheit auch im Darstellerischen lässt sie sowieso nichts zu wünschen übrig. Ihr Höhepunkt ist die hintergründige große Arie im vierten Akt „Deh vieni non tardar“, die lockt und spottet und wieder lockt.

Die Gefährlichkeit dieser ungeheuer komischen und zugleich illusionslosen Oper, vielleicht Mozarts vollkommenster, liegt eben in der Musik. Thomas Guggeis, der neue Generalmusikdirektor, führte mit dem Museumsorchester diese Gefährlichkeit vom ersten Takt an vor, in einem wie ein Drahtseil gespannten, aufgerauten Klang, in manchmal an der Grenze des Leistbaren voraneilenden Tempi, in dem unentwegten, vor allem über die Bläser vermittelten Dialog mit den Sängern. Schon wie Guggeis am Ende des zweiten Duettino zwischen Figaro und Susanna auf die Wiederholung des „che torto mi fan“ ganz partiturgemäß die schroffen Vorhaltsdissonanzen von Oboe und Fagotten akzentuierte, zeigte die Sollbruchstelle zwischen den Liebenden auf, auch eines jener Motive, das die Handlung fast zum Kippen bringt.

Als virtuos mit Zwischentönen und kleinen Zitaten spielender Begleiter am Hammerklavier hatte Guggeis auch in den Rezitativen immer die Kon­trolle über das Geschehen. Er wird sie sich an der Oper Frankfurt nicht entgleiten lassen. Und es ist aller Feier würdig, dass dieses Haus neben all seinen interessanten Ausflügen jenseits des Kanons dieses Meisterwerk spielerischer Humanität in einer so vollendeten Produktion lebendig hält.