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WIEN / Staatsoper: TRISTAN UND ISOLDE

Augen zu (Inszenierung), Ohren auf (Musik) - und durch!

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Andreas Schager (Tristan)m Anja Kampe (Isolde). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: TRISTAN UND ISOLDE

9. Aufführung in dieser Inszenierung

17. September 2023

Von Manfred A. Schmid

Calixto Bieitos Inszenierung von Wagners Liebesdrama hat ihre neunte Aufführung erreicht. Jede dieser Aufführungen ist leider eine zu viel. Bieitos Machwerk ist tatsächlich so schlecht, dass man es sich sogar schon abgewöhnt hat, sich darüber zu ärgern, obwohl es dafür genug Anlässe gäbe: den sinnlos verschaukelten ersten Aufzug (Bühne von Rebecca Ringst), den total misslungenen zweiten Aufzug, in dem das Liebesduett zunächst separiert in zwei hoch- und niedergesenkten Containern gesungen wird, bis Tristan und Isolde, in inniger Zweisamkeit himmelhoch jauchzend und seufzend davor stehend, in den innigsten Passagen vom lauten Gepolter der aufeinanderprallenden Möbel in den verrutschenden Containern empfindlich gestört werden. Und dann folgt noch, als zermürbender szenischer Schlusspunkt, die total vermüllte Bühne im dritten Aufzug, auf der zahlreiche nackte Paare – für was? – sorgen.

Das pure Grausen. Aber – zum Glück und seligmachendem Trost – gibt es ja noch etwas: Richard Wagners großartige Musik, von Philippe Jordan einfühlsam und dynamisch dirigiert und vom Staatsopernchester philharmonisch fein und differenziert ausgeleuchtet. Sehnsuchtsvoller und ergreifender hat man das Vorspiel mit den aufrauschenden Celli selten gehört. Jordan lässt den beiden Titelfiguren genug Zeit zum Auskosten ihrer Verzückungen und verleiht den dem Wahnsinn bedrohlich nahen Zuständen des sterbenden Tristan, der in Delirien versinkt, die entsprechende musikalische Unterfütterung. Der in der Vergangenheit zuweilen als etwas zu kopflastig und unterkühlt kritisierte Dirigent lässt es diesmal jedenfalls an Leidenschaftlichkeit und Sinnlichkeit nicht mangeln und wird zu Recht stürmisch gefeiert. Wozu allerdings anzumerken ist, dass Jordan vom Wiener Publikum seit einiger Zeit schon mit Jubel begrüßt wird, sobald er den Orchestergraben betritt und bevor noch kein einziger Tone erklungen ist. Was oder vielmehr: wer daran schuld ist, ist allgemein bekannt. Jordans angekündigter Abschied wird jedenfalls beklagt und bedauert werden. Was dem ebenfalls abgehenden musikalischen Leiter der Volksoper wohl nicht so leicht blühen wird.

Das Orchester und der Dirigent brauchen für einen gelungenen Opernabend ein gut besetztes Ensemble auf der Bühne. Was diesmal an großartige Sängerinnen und Sängern aufgeboten wird, lässt sich schwer überbieten. Es sind fast durchwegs Idealbesetzungen, die diese Musik gesanglich zum Klingen bringen und jene psychischen Zustände, die in dieser unsäglichen Inszenierung voll von unsinnigen Aktionen – so muss Brangäne einmal sogar Fische ausnehmen – ausgeblendet sind, sichtbar werden lassen. Dass der Staatsopernchor bestens einstudiert und wie immer verlässlich ist, sollte ebenfalls hervorgehoben werden.

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Tanja Ariane Baumgartner (Brangäne) und Kinder der Operschule

Mit dem österreichischen Heldentenor Andreas Schager steht einer der besten – für manche d e r beste – Darsteller für die Rolle des Tristan auf der Bühne. Das Pensum an Gesang, das ihm abverlangt wird, ist enorm, wird von Schager aber offenbar mühelos und, wie erwartet, bravourös bewältigt. Gegen Ende des langen, emotional abwechslungsreich gestalteten Liebesduetts vermeint man eine kurze Ermüdungserscheinung festzustellen, als er von der ebenfalls in Bestform antretenden Isolde von Anja Kampe stimmlich leicht übertönt wird, aber wie Schager dann im letzten Aufzug in Tristans Marathon-Monolog, nur von knappen Interventionen seines treuen Gefährten Kurwenal unterbrochen, die Bühne mit Rückblicken, Visionen, Ängsten, Verdächtigungen, Enttäuschungen und Hoffnungen dominiert, geht unter die Haut. Schagers Tristan ist in Bieitos Regie ein neurotisches Wrack, höchst gefährdet und gefährdend, dem Wahnsinn mehr als nahe. Wenn er dem ihm ergebenen Kurwenal mit Schlägen traktiert, ihn einmal fast erwürgt, ihn seinen „Treuesten“ und kurz darauf seinen „Verräter“ nennt. Kurzum: Ein Fall für die Psychiatrie. Schager nimmt das auf seine breiten Schultern und macht unerschütterlich das Beste daraus.

Kurwenal ist, wie schon bei der Premiere und in der Wiederaufnahme vergangenen April, mit Iain Paterson besetzt. Der schottische Heldenbariton kann sich gegenüber der zuletzt gebotenen Darstellung eindeutig steigern und ist ein trefflich singender, verlässslicher und anteilnehmender Gefährte, auch wenn er in Bieitos Inszenierung wenig Möglichkeit hat, sich zu entfalten, sondern die meiste Zeit nur herumhockt und sich vor Sorgen und Schmerz krümmt. Wäre schön, Paterson einmal als Gurnemanz antreffen zu können.

Imponierend ist Anja Kampes Gestaltung der Isolde. Obwohl die hell und cremig klingende Sopranistin diese Rolle schon seit vielen Jahren singt, klingt sie unverbraucht und frisch. Man hat den Eindruck, dass sie derzeit ihre Höchstform erreicht hat und stimmtechnisch das Maximum aus ihrem Stimmmaterial herausholen kann. Die in dieser Inszenierung bisher zu sehenden und hörenden Kolleginnen, Martina Serafin und Nina Stemme, hat Kampe bei ihrem tollen Wiener Rollendebüt jedenfalls deutlich überholt.

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Günther Groissböck (Marke)

Eine Luxusbesetzung, aber man kann ja nie genug Luxus haben, ist Günther Groissböck als König Marke. Wie der stimmgewaltige, wohlklingende, auch darstellerisch ungemein gewandte Bass auf die ihn erschütternde Wende in der Brautwerbung reagiert, sie zunächst verwundert zur Kenntnis nimmt, dann staunend zum offenkundigen Verrat Fragen stellt und schließlich, über die fatale Verabreichung des Liebestranks aufgeklärt, großmütig auf seine Ansprüche verzichtet, berührt zutiefst. Groissböck hat angekündigt, dass er in Zukunft öfter in Österreich und an der Staatsoper auftreten wolle. Was für eine Freude!

Als Brangäne kann die Mezzosopranistin Tanja Ariane Baumgartner ihren Ruf, als eine der gefragtesten Wagner-Sängerinnen zu gelten, weiter ausbauen. Sie erweist sich als ihrer Herrin ergebene Dienerin und Beraterin. Wenn sie Isolde und Tristan statt des Todestrunks einen Liebestrank verabreicht, handelt sie ähnlich wie Brünhilde in Wagners Walküre, die ebenfalls überzeugt ist, dem eigentlichen, insgeheimen, unausgesprochenen Wunsch ihres Vaters Wotan zu folgen.

Mit Martin Häßler und Hiroshi Amako haben zwei Ensemblemitglieder erfolgreiche Rollendebüts als Melot und Hirt. Jusung Gabriel Park und Katleho Mokhoaban aus dem Opernstudio kommen als gut rollendeckender Steuermann und Stimme des Seemanns zum Einsatz.

Es gibt starken Beifall für einen musikalisch überaus erfolgreichen Opernabend. Was die Inszenierung betrifft, eine ziemlich triste Angelegenheit. Darüber würde man gern den Mantel des Schweigens breiten. Geht aber nicht. Denn dieses Ärgernis, dieser Dreck, wird das Wiener Publikum leider noch oft heimsuchen. Dann gilt wieder: Augen zu, Ohren auf und durch!

 

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