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WIEN / Staatsoper: LA SONNAMBULA – Wiederaufnahme

Belcanto mit leichten Lähmungserscheinungen

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Brenda Rae (Amina) und Javier Camarena (Elvino). Alle Foros: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: LA SONNAMBULA – Wiederaufnahme

54. Aufführung in dieser Inszenierung

6.September 2023

Manfred A. Schmid

Vincenzo Bellinis Opera semiseria über eine schlafwandelnde junge Frau, die am Tag ihrer Hochzeit wegen ihrer nächtlichen Exkursion unschuldig in Untreue-Verdacht gerät, schließlich aber voll rehabilitiert wird, wozu sie selbst  –  ungewollt, aber höchst wirkungsvoll – durch neuerliches Schlafwandeln vor den Augen der skeptischen Hochzeitsgesellschaft entscheidend beiträgt, gilt als einer der Höhepunkte des Belcanto. Sängerinnen wie Callas, Gruberova, Netrebko haben die Latte für jede neue Interpretin der herausfordernden Rolle der Amina hochgelegt. Nachdem Pretty Yende, die für ihre Darstellung 2021 am Théâtre des Champs-Élysées einhellig, wenn auch nicht überschwänglich gelobt worden war, abgesagt hat, steht nun die amerikanische Koloratursopranistin Brenda Rae, die in dieser Rolle bereits in Frankfurt, wo sie mehrere Jahre Ensemblemitglied war, auf sich aufmerksam gemacht hat, im Mittelpunkt der Wiederaufnahme einer nicht unumstrittenen Inszenierung.

Marco Arturo Marelli verlegt die Handlung, die ursprünglich in einem schweizerischen Dorf stattfindet, in ein Sanatorium, das an Thomas Manns Zauberberg erinnert. Die Begründung, die der Regisseur, auch für Bühne und Licht verantwortlich, im Programmheft für seine Verlegung gibt, ist das übliche Psycho-Geschwurbel und schwer nachvollziehbar. Die Einheitsbühne, der Empfangshalle eines Hotels ähnlich, macht es unmöglich, zwischen Privatgemächern und öffentlichem Raum zu unterscheiden. Aber Amina wird, dem Libretto nach, im Zimmer eines jüngst angekommenen Gasts, eines Grafen, wie es sich herausstellt, vorgefunden, was erst die ganzen wüsten Spekulationen auslöst. Wenn Amina nun in der Empfangshalle schlafend angetroffen wird, macht das wenig Sinn. Dafür aber ist die Halle am Morgen zu gut einem Drittel mit Schneemassen belegt, die die Nacht über hineingeweht worden sind. Damit soll wohl die wegen der erhobenen Anschuldigungen gestörte, abgekühlte, frostige Beziehung des Bräutigams Amina gegenüber bloßgelegt werden. Eine wenig subtile, primitive Holzhammer-Aktion und peinlich, wenn die schlafwandelnde Amina dann barfuß über den Schneehügel stapfen muss.

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Amina, in Marellis Inszenierung zum Personal des Sanatoriums gehörig, wird von Brenda Rae eindrucksvoll gestaltet. Nach etwas zaghaftem Beginn wird Rae im Laufe des Abends immer besser. Ihre Erschütterung und Verzweiflung angesichts der Anschuldigung gibt sie in einer herzzerreißenden Arie über eine viel zu rasch verwelkenden Blume kund. Unter die Haut geht ihr Auftritt in der Schlafwandelszene, befreit und glücklich dann ihre Schlussarie, innig gesungen und mit unglaublicher Leichtigkeit. Fordernde Koloraturen, Spitzentöne in feinstem Pianissimo meistert sie mit Bravour und überzeugt auch darstellerisch.

Die Rolle des Elvino, Aminas Bräutigam, der in Marellis Version ein Komponist ist, der sich zur Kur (Behandlung?) im Sanatorium aufhält, wurde bei der Premiere von Juan Diego Flórez  gesungen, der auch bei der Wiederaufnahme 2017 (an der Seite von Daniela Fally als Amina) erneut dabei war. Diesmal ist die nicht sehr profilierte Figur des eifersüchtigen Liebhabers dem mexikanischen Tenor Javier Camarena anvertraut. Dass er über einen wohlklingenden, runden Ton verfügt, der auch in der Höhe stets sattelfest ist, hat er an der Staatsoper u.a. als Tonio in La fille du régiment bewiesen. Auch als Elvino, als der der noch junge Sänger schon 2014 in der MET auf der Bühne gestanden ist, macht er gute Figur, klingt aber nicht so frisch wie gewohnt. Sein „Prendi l’annel ti dono“ entschädigte aber voll für einige nicht so überzeugende Passagen.

Das Ensemblemitglied Maria Nazarova ist die einzige auf der Besetzungsliste, die schon bei der Wiederaufnahme 2017 dabei war, alle anderen an diesem Abend sind Rollendebüts. Lisa, die Rivalin Aninas im Werben um die Gunst Elvinos, die sich kurz schon als Siegerin im Duell sieht, als Elvino in seiner Verzweiflung und wohl auch als Trotz ihr die Heirat anbietet, ist die böse, neidvolle Figur des Geschehens. Gegenüber 2017, als man ihr vorwarf, die Chefin des Sanatoriums fast zu sympathisch darzustellen, gibt sich Nazarova diesmal sichtlich Mühe, die abgründige Schattenseite in Lisas Charakter herauszustellen, was ihr auch gut gelingt. Wenn sie gezwungen ist, ihr Brautkleid, das sie sich eilfertig und triumphierend übergestreift hat, wieder auszuziehen, ist das eine schwere Demütigung, dass man Lisa fast wieder Mitleid zu zollen gedrängt ist.

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Jack Lee (Alessio) und Maria Nazarova (Lisa).

Szilvias Vörös, ebenfalls eine Hausbesetzung, ist eine verlässliche, besorgte Teresa, Mutter von Amina. Der britische Bariton Jack Lee aus dem Opernstudio bewährt sich bei sienem ersten Auftritt als beharrlicher und trotz aller Abweisungen stets frohgemuter Freier um Lisas Zuneigung. Ob das Interesse auch noch anhält, nachdem Lisas Affäre mit Graf Rodolfo publik geworden ist, bleibt dahingestellt.

Roberto Tagliavini gestaltet mit seinem mächtigen, wohlklingenden Bass die Rolle von Graf Rodolfo so eindrücklich, dass er mit seiner Bühnenpräsenz, gehüllt in einem prächtigen, bodenlangen Pelzmantel, alle anderen in den Schatten stellt. Er ist der geheimnisumwitterte Gast, der inkognito angereist ist, aber bald als der der junge Graf identifiziert wird, der vor Jahren wegen einer Affäre weggegangen ist. Wie ein deus ex machina kommt er gerade im richtigen Moment, um die Menschen über das Phänomen Schlafwandeln aufzuklären und damit beizutragen, das Rätsel um Aminas angeblichen Fehltritt aufzuklären.

Eine wichtige Funktion hat der exzellente Chor, der das Geschehen mit schwankenden Kommentaren begleitet.

Giacomo Sagripanti am Pult des Staatsopernorchesters ist als musikalischer Leiter der Aufführung wohl mit schuld daran, dass im ersten Akt alles ziemlich schleppend vor sich geht und Langweile-Gefahr aufkommt. Auch wenn der Hauptgrund dafür in der lähmenden Regie im Einheitsbrei der Einheitsbühne zu finden ist. Es fehlt an nötigem Glanz und Engagement, was sich nach der Pause allerdings deutlich verbessert. Bellini ist kein Rossini, schon klar, auch wenn die Musik im Finale schon auf Rossíni hindeutet. Aber etwas mehr Schwung wäre schon drin gewesen. Applaus gibt es aber auch so genug.

 

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