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Eine Menschenmenge, die wie ein Wasserplatscher angeordnet ist. In der mitte sind die Personen weiß, am Rand schwarz gekleidet.

Der von Klaas-Jan de Groot einstudierte Chor gehört zu den Highlights des Essener „Macbeth“. © Alvise Predieri

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Nicht belohnt: Mutige „Macbeth“-Inszenierung in Essen enttäuscht

Vorspann / Teaser

Vor exakt zehn Jahren markierte die Inszenierung von Giuseppe Verdis „Macbeth“ am Essener Aalto-Theater den Wechsel in der Theaterleitung: Hein Mulders stellte sich als Intendant und Tomáš Netopil als Generalmusikdirektor des Hauses vor! Jetzt, zehn Jahre später, trifft „Macbeth“ abermals mit einem personellen Wechsel zusammen! Und präsentiert darüber hinaus eine junge Regisseurin mit neuen Ideen.

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Das Zauberwort heißt „performative Kunst“. Mit der beschäftigt sich die junge Regisseurin Emily Hehl schon länger. Und worum geht es da? Um Illusion und Fantasie – nicht um eine Wirklichkeit, die abgebildet, quasi wie in einem Museum (oder Opernhaus!?) „ausgestellt“ wird. Sondern um eine Kunst, die so etwas wie Wirklichkeit erst zum Zeitpunkt ihrer Realisierung auf der Bühne konstituiert und für die Rezipierenden im Theatersaal ein Mit-Erfahren, Mit-Erleben ermöglicht. Aber tut sie das? Diese Frage stellt sich nach der Premiere von Giuseppe Verdis „Macbeth“ am Essener Aalto-Theater, bei der Emily Hehl Regie geführt hat.

Kaum Bühnenbild, aber aufregendes Bühnengeschehen

Dies gleich vorweg: Eine – konventionell gesprochen – szenische Umsetzung des Shakespeare-Stoffs gibt es hier nicht. Keinen Wald von Birnam, keinen Königspalast, weder Dolch noch Schwert. Nichts dergleichen. Stattdessen eine glatte Spielfläche, anfangs übersät von schwarzem, einem groben Granulat ähnlichen Material, nach hinten begrenzt von einer hohen weißen Wand mit kurzem Vordach. Daran wird sich im Laufe der darauffolgenden drei Stunden nichts Wesentliches ändern. Denn es sind die Protagonisten, denen Emily Hehl abverlangt, die brutale Geschichte von Macbeth, seiner Frau und allen anderen zu erzählen respektive erst entstehen zu lassen. Durch intensiven Körpereinsatz, Gebärden, seltsame Bewegungen, die mitunter an Hospitalismus erinnern. Und es ist der Opernchor, der immer wieder wechselnde Formationen bildet, gleich einer sich bewegenden Skulptur aus Menschen. Drei Tänzerinnen vom Aalto-Ballett agieren virtuos, werden eindeutig herausgehoben aus der Masse. Ästhetisch äußerst ansprechend!

Man fragt sich allerdings, wie viel all dies minutiös choreografierte Geschehen mit Verdis „Macbeth“ zu hat, zu tun haben soll. Aber womöglich ist diese Frage schon zu speziell. Denn Emily Hehl scheint es um Grundsätzlicheres zu gehen. Um das Gefühl von Angst zum Beispiel. Auch um Machtverlust und Machterhalt. Geht das nicht uns alle an? Da sind wir wieder beim Mit-Erfahren und Mit-Erleben. Macbeth, seine Lady und all die anderen als Spiegel unserer selbst? All diese Körper (und um Körperlichkeit geht es Emily Hehl zu allererst) verweisen „auf unsere Fragilität und Verletzlichkeit, denn die Verwundbarkeit des Menschen sowie die Endlichkeit des menschlichen Lebens sind der Grund dafür, dass wir überhaupt Angst empfinden können“ – so Hehl im Programmbuch der Aufführung.

Interessantes Konzept – falscher Stoff

Aber braucht es dazu Verdis „Macbeth“? Die zehnte Oper des Meisters, 1847 in Florenz uraufgeführt, ist durch und durch ein Psycho- und Politkrimi. Mit wahnsinnig starken Akteuren und jeder Menge Action. Da wird doch eigentlich gekämpft und gemordet, was das Zeug hält! Bei Emily Hehl sollen solch krasse Erfahrungen erst in situ entstehen… – nicht abgebildet auf den Bühnenbrettern, sondern im Kopf derer, die gerade auf die Bühne blicken und der Masse an Darsteller:innen zuschauen, die darum bemüht sind, die einstudierten Choreografien umzusetzen und dabei ihre Soli, Duette, Terzette und dergleichen mehr in Perfektion vokal über die Rampe zu bringen. Eine übermenschliche Leistung, die das Essener Ensemble ganz großartig, ja bewundernswert bewältigt. Vor allem der von Klaas-Jan de Groot einstudierte Opernchor!

Anfangs funktioniert dieses dramaturgische Konzept, macht in gewisser Weise neugierig. Präsentiert wird ein uniform eingekleidetes Personal: hier schwarz, dort weiß – oder beides gemischt. Das wirkt ritualisiert und erinnert an geschlossene Bünde oder Ordensgemeinschaften (später tragen die Herren Skapuliere wie die Benediktiner oder Dominikaner). Diese (symbolische?) Ästhetik läuft sich dann aber spätestens zu Beginn des dritten Aktes tot. Weil vom Drama noch immer nichts zu spüren ist. Stattdessen szenischer Stillstand. Wiederholung. Nun macht sich das Gefühl der Langeweile bemerkbar. Verdis „Macbeth“ hat man doch als geplante blutige Rache in lebhafter Erinnerung, oder? Akt Drei und Vier dümpeln in gefühlt retardierendem Tempo vor sich hin.

Körper (Soli wie Chor) bestimmen mit ihren Bewegungen und Gesten nach wie vor die Szene. Wobei man sich fragt: was will die Regisseurin uns sagen, was soll ich assoziieren? Angst, Verwundbarkeit, Todesgewissheit? Nun ja, dazu braucht es keinen nicht-inszenierten Macbeth! Emily Hehls Anliegen in allen Ehren, aber Verdi ist in diesem Fall nicht unbedingt der passende Stoff. Auch wenn sie und ihr Team ganz sicher viel intellektuelle Arbeit investiert haben und genau deshalb so übermäßig verkopft wirken. Performative Kunst wäre vermutlich eher geeignet für Werke, die dafür gemacht sind – oder noch dafür gemacht werden.

Wer wagt,...

Musikalisch erweist sich Essens „Macbeth“ als durchaus formidabel: Andrea Sanguineti gibt seinen Einstand als neuer GMD des Aalto-Theaters und der Essener Philharmoniker, wählt zwar generell eher gemessene Tempi, dreht aber auch durchaus mal ordentlich auf, vor allem, wenn das Blech seine Attacken bläst. Massimo Cavalletti in der Titelrolle lässt keinerlei Wünsche offen. Sebastian Pilgrim (Träger der renommierten Auszeichnung BBC Cardiff Singer of the World), Alejandro del Angel und George Vîrban sind superbe Solisten-Partner. Und Astrik Khanamiryan betört mit ihrem abgedunkelten, schön gefärbtem Sopran.

...muss nicht gewinnen.

Ist dieser Neustart in Essen mit diesem „Macbeth“ gelungen? Es bleiben Zweifel. Gleichwohl muss man der Risikobereitschaft der Intendanz Respekt und Anerkennung zollen, einer jungen Regisseurin wie Emily Hehl Verdis „Macbeth“ anzuvertrauen. Das kann gut gehen – oder daneben. Wie in diesem Fall.

Weitere Termine: 20. und 29. 9.; 21. und 27. 10.; 5., 12. und 16. 11. und weitere Aufführungen

 

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