Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Die Zeichen an der Wand

Opern-Kritik: Salzburger Festspiele – The Greek Passion

Die Zeichen an der Wand

(Salzburg, 13.8.2023) Den Salzburger Festspielen gelingt mit Simon Stones Inszenierung von „The Greek Passion“ von Bohuslav Martinů in der Felsenreitschule doch noch ein großer Musiktheater-Abend.

vonJoachim Lange,

Zum Ende ihres Premierenzyklus gelang es den Salzburger Festspielen doch noch: ein selten gespieltes Werk von verblüffender politischer Relevanz, musikalisch erstklassig zelebriert, in einer Inszenierung, die genau das richtige Maß wahrt und die vom Publikum mit einhelliger Begeisterung aufgenommen wurde! Nach dem ziemlich missratenen Marthaler-Falstaff vom Vorabend schließt eine höchst überzeugende Simon-Stone-Inszenierung von Bohuslav Martinůs 1961 in Zürich uraufgeführter „The Greek Passion“ den Opern-Premierenreigen der aktuellen Festspielsaison ab. Sie überstrahlt in ihrer Klarheit und Überzeugungskraft die anderen Neuproduktionen deutlich.

Das Credo lautet Klarheit

Entscheidend dafür ist die dezente Art von metaphorischer Opulenz, die Stone archaisch klar, aber doch auch lebensnah aufscheinen lässt. Er hatte in Salzburg schon Aribert Reimanns „Lear“ in einem Meer aus echten Blumen waten lassen und auch bei Luigi Cherubinis „Médée“ deutungsmäßig ordentlich zugelangt. Diesmal ist Klarheit sein Credo. Mal gibt es eine imposante Wassersäule, die von Oben rieselt, mal steigen Fontänen auf, die wie Bäume wirken. Dazu das leuchtende Neon-Kreuz und das Gewand des Priesters. Oder der lebendige (nicht bockende) Esel, das Schaf oder der kleine Bock – alle mit schwarz umwickelten Hufen.

Szenenbild aus Martinůs „The Greek Passion“ bei den Salzburger Festspielen
Szenenbild aus Martinůs „The Greek Passion“ bei den Salzburger Festspielen

Ein aufgeblasener Popanz, der wie in einem Alptraum aus der Versenkung auftaucht. Auch das Überlebensgepäck der Flüchtlinge gehört dazu: Schwimmwesten, Kinderspielzeug, Notzelte. Den Holzhammer freilich schwingt Stone nicht. Es gibt keine Seenot-Liveaufnahmen aus dem Mittelmeer, keine Not-Unterkunft brennt. Eine dennoch so politisch brisante wie zugleich hochästhetische Inszenierung abzuliefern, die ohne Videozugaben auskommt, das ist heutzutage an sich schon eine Glanzleistung.

Ein Stück zur Stunde

Die Geschichte ist eine aus der Kategorie: Stück zur Stunde. Der tschechische Komponist Bohuslav Martinů (1890-1959) hat sie selbst nach dem Roman „Christus wird wieder gekreuzigt (Griechische Passion)“ von Nikos Kazantzakis zum Libretto geformt. Darin bereitet sich ein griechisches Dorf auf Ostern und ein alle sieben Jahre anstehendes Passionsspiel vor. Ein mediterranes Oberammergau sozusagen.

Szenenbild aus Martinůs „The Greek Passion“ bei den Salzburger Festspielen
Szenenbild aus Martinůs „The Greek Passion“ bei den Salzburger Festspielen

Der Priester Grigorios gibt bekannt, wer in dem bevorstehenden Passionsspiel welche Rolle übernehmen soll. Er kommentiert diese Rollenvergabe mit diversen Verhaltensmaßregeln. Der Kaffeehausbesitzer Kostandis spielt Jakobus, der Händler Yannakos den Petrus, der Grundbesitzerssohn Michelis den Johannes. Als pikante Anspielung auf ihren Ruf bekommt Katerina die Rolle der Maria Magdalena. Panais rebelliert gegen seine Nominierung als Judas. Während sich Manolios zunächst für nicht würdig hält, den Jesus zu spielen.

„Es wird schon stimmen, wenn’s der Priester sagt.“

Nicht die Besetzung des Passionsspiels aber zerreißt die Dorfgemeinschaft, sondern der Umgang mit einer Gruppe plötzlich auftauchender Flüchtlinge. Die Mehrheit fürchtet um ihren Wohlstand und geht auf Abstand, ja reagiert feindselig und aggressiv. Zwei sich abseilende Männer in Maleroveralls bringen an der Rückwand Schriftzug REFUGEES OUT! an. Die Bühne von Lizzie Clachan ist ein nüchterner Dreiseiten-Kasten, der nur den Blick auf den oberen der Arkadengänge der Felsenreitschule erlaubt. Die, die gemeint sind, verlassen am Ende tatsächlich wieder das Dorf, in dem sie um Aufnahme, Notversorgung und Siedlungsland ersucht hatten … Weniger, weil sich die Gewaltattacken, mit denen ihre Zelte zerstört wurden, noch einmal wiederholt hätten. Sie suchen das Weite, weil sie das Entsetzen über ihre vermeintlichen Glaubensbrüder forttreibt. Die haben nämlich faktisch auf Geheiß des machtbewussten Priesters den vorgesehenen Jesus-Darsteller ermordet, um den sich all jene (für die Rollen seiner Jünger nominierten) scharten, die den Fremden geholfen hatten.

Szenenbild aus Martinůs „The Greek Passion“ bei den Salzburger Festspielen
Szenenbild aus Martinůs „The Greek Passion“ bei den Salzburger Festspielen

Sein Problem war, dass er sich mit der Zeit tatsächlich für einen Wiedergänger von Jesus hielt und damit die Macht des Priesters in Frage stellte. Maniolos wird zwar nicht ans Kreuz geschlagen, aber er liegt am Ende in einer Blutlache. Direkt bei ihm trauen Katerina – die Maria-Magdalena-Darstellerin in der Passion – und seine Ex-Braut Leni um ihn. Die Flüchtlinge wenden sich mit Grausen und ziehen weiter. Auch für die Anhänger des Maniolos ist hier kein bleiben mehr. Die Dorfbewohner üben sich unterdessen in der Disziplin Verdrängen bzw. „es wird schon stimmen, wenn’s der Priester sagt.“

Großartige musikalische Umsetzung

So großartig das inszeniert ist, so exzellent ist die musikalische Umsetzung gelungen. Für diese packende, aus vielen Quellen gespeiste Musik sind Maxime Pascal und die Wiener Philharmoniker genau die Richtigen am passenden Ort. Sie faszinieren bei allen souveränen Stilwechseln mit packender Intensität einer raumfüllenden Klangentfaltung und befördern musikalisch so die eindrucksvolle Attacke auf Herz und Verstand der Zuhörer.

Szenenbild aus Martinůs „The Greek Passion“ bei den Salzburger Festspielen
Szenenbild aus Martinůs „The Greek Passion“ bei den Salzburger Festspielen

Dazu kommt ein handverlesenes Solistenensemble, das durchweg Festspielniveau bietet. Sara Jakubiak ragt mit ihrer Präsenz und ihrer voll strahlenden Leuchtkraft bei jedem Auftritt von Katerina heraus. Sebastian Kohlhepp läuft zur Hochform als Jesusdarsteller Manolios auf. Charles Workman ist ein glaubwürdig in Selbstzweifel geratender Yannakos. Gabor Bretz ist ein Priester Grigoris zum Fürchten. Dem insgesamt erstklassigen Protagonistenensemble stehen die von Huw Rhys James einstudierten Choristen der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und der Kinderchor in Nichts nach. Einhelliger Beifall und stehende Ovationen für alle.

Salzburger Festspiele
Martinů: The Greek Passion

Maxime Pascal (Leitung), Simon Stone (Regie), Lizzie Clachan (Bühne), Mel Page (Kostüme), Nick Schlieper (Licht), Huw Rhys James & Wolfgang Götz (Chor), Gábor Bretz (Priester Grigoris), Sebastian Kohlhepp (Manolios), Sara Jakubiak (Katerina), Charles Workman (Yannakos), Christina Gansch (Lenio), Matteo Ivan Rašić (Andonis) Matthäus Schmidlechner (Michelis), Alejandro Baliñas Vieites (Kostandis), Julian Hubbard (Panais), Aljoscha Lennert (Nikolio), Helena Rasker (Eine alte Frau), Luke Stoker (Patriarcheas), Robert Dölle (Ladas) Łukasz Goliński (Priester Fotis), Scott Wilde (Ein alter Mann), Teona Todua (Despinio), Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Salzburger Festspiele und Theater, Angelika Prokopp Sommerakademie der Wiener Philharmoniker, Wiener Philharmoniker

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!