1. Startseite
  2. Kultur

Auf Tuchfühlung mit Wagner: Brigitte Fassbaenders „Götterdämmerung“ in Erl

KommentareDrucken

Christiane Libor
Weltenbrand im Passionsspielhaus: Finalszene der Götterdämmerung mit Christiane Libor als Brünnhilde. © Xiomara Bender

Wagners „Ring des Nibelungen“ naturbelassen, pur und analog: Auch in ihrer Erler „Götterdämmerung“ konzentriert sich Brigitte Fassbaender auf das Wesentlichste - auf den singenden Menschen.

Das Sagenwesen hat normalerweise nur zehn Minuten zu singen. Doch hier ist es viel häufiger präsent: Mal taucht Alberich rechts oben auf der Bühnenbrücke auf, betrachtet mit diabolischer Miene das Geschehen. Später nähert er sich stückwidrig den Rheintöchtern, erwürgt sogar strafend seinen Sohn Hagen – um am Ende, wenn Menschen, Götter und Welt brennend zugrunde gehen, ins Publikum zu starren. Den „Ring des Nibelungen“ versteht Brigitte Fassbaender also sehr wörtlich und sehr pessimistisch. Nach dem letzten Aufrauschen samt Versiegen der Musik kann (und muss?) alles wieder von vorn losgehen. Die Sache rundet sich auf dunkle Weise: Das Böse kriegt man nicht tot, die Gier aufs Gold bleibt, keiner hat etwas aus der 15-stündigen Geschichte gelernt.

Diese „Götterdämmerung“ bei den Tiroler Festspielen ist also eine sehr heutige Angelegenheit geworden. Und was das nun abgeschlossene Giga- Projekt der Fassbaender heraushebt über die „Ring“-Krämpfe andernorts: Die inszenierende Opernlegende lässt sich nie unter Aktualisierungsdruck setzen. Gerade weil es im Passionsspielhaus eine nur rudimentäre Technik gibt und eingeschränkte szenische Möglichkeiten, gerade weil im Falle dieses Wagner-Werks eigentlich schon alles erzählt und gezeigt wurde, konzentriert sie sich auf das Wesentlichste überhaupt: auf den singenden, denkenden, handelnden, reagierenden und an diesem Abend sehr oft verzweifelten Menschen.

Der zweite Akt wird zum Kammerspiel-Thriller

Sehr hautnah erlebt man dies bei Brigitte Fassbaender – nicht nur, weil die Spielfläche vor dem Orchester liegt und Tuchfühlung mit den ersten Parkettreihen möglich ist. Die Auseinandersetzung Brünnhilde/Waltraute, später das allmähliche Begreifen Brünnhildes, welchem Verrat sie ausgesetzt ist, sogar anfangs die gern längliche, hier augenzwinkernde, kaffeeklatschende Nornen-Szene, all dies verfolgen selbst „Ring“-Kenner gebannt. So sehr die Fassbaender das Personal der „Götterdämmerung“ herunterholt von den Kothurnen, es aufs Menschsein dimmt, so wenig driftet dies ins Kleinklein. Am eindrücklichsten im zweiten Akt. Der ist zwar mikroskopisch beobachteter, detailreich ziselierter Kammerspiel-Thriller, lässt aber trotzdem – ohne Pathos-Überdosis – den raumgreifenden Rache-Moment zu.

Wie in vielen anderen Inszenierungen leben auch die Gibichungen von Brigitte Fassbaender und Ausstatter Kaspar Glarner im Schicki-Haus. Dafür reichen nur wenige Bühnen-Elemente. Man spielt Billard, bedient sich gelegentlich an der Bar. Doch der Wodka zwischendurch (Brünnhilde braucht einen mindestens dreifachen) ist nicht wie sonst modernistische Soap-Opera-Zutat, sondern völlig natürlich entwickelt. Und sogar für „Ring“-Nerds gibt es einen Mini-Gag, als eine Choristin Gunther einen langen Blick zuwirft: Ob sich für ihn, der sich mit Verrat und vergeblich um Brünnhilde bemüht, da eine Alternative auftut?

Nur das Dirigat hängt gelegentlich durch

Was in dieser Premiere gelegentlich durchhängt, ist allein die Musik. Dirigent Erik Nielsen hat sich womöglich zu sehr in den Klangsamt des Festspielorchesters verliebt. Bedächtig wird vieles ausgebreitet, man registriert Details und Verläufe, in Extremfällen aber auch Stillstand, der’s dem Singpersonal schwer macht. Vincent Wolfsteiner, als tapsiges, zu groß gewordenes Siegfried-Baby von begrenzter darstellerischer Kraft, ficht das nicht an. Wo andere Kollegen verhungern, spielt er seine Tenorkondition aus und bleibt bis zum Todesgesang präsent. Christiane Libor ist vokal eine herbe, manchmal etwas unstete Brünnhilde. Und doch ist man fasziniert von einer Charakterkünstlerin, die bei jeder Silbe genau weiß, was sie singt – und wie sie es passend machen kann für ihren Sopran.

Überhaupt wuchert Erl mit bemerkenswerten Besetzungen. Den nie überzeichneten Hagen von Robert Pomakov mit seiner großporigen, geschickt nuancierten Bass-Stimme. Auch die fein justierte Gutrune von Irina Simmes, Craig Colclough als effektvolles Alberich-Ekel oder die großartige Zanda Švēde als Waltraute. Die Trios von Nornen und Rheintöchtern könnten problemlos an internationale A-Häuser exportiert werden, allen voran Marvic Monreal als erste Norn. Einzig Manuel Walser ist als Gunther zu lyrisch besetzt. Und ganz erstaunlich der Festspielchor: Bis hin zu Bayreuth geraten Hagens Mannen schon mal ins vokale Schlingern, in Erl wird die heikle Szene auf den Punkt gesungen – obgleich das Orchester auf der Hinterbühne sitzt.

2024 wird der Erler „Ring“ zweimal komplett gezeigt. Brigitte Fassbaender will dafür nochmals anreisen, nacharbeiten, manches vielleicht verändern – zumal es auch Umbesetzungen gibt. Ob die Tetralogie danach, wenn Tenor Jonas Kaufmann die Intendanz vom hinausgekegelten Bernd Loebe übernommen hat, weiterläuft, ist noch offen. Die Publikumsnachfrage ist jedenfalls groß. Und vielleicht ist diese Tiroler Produktion noch aus anderen Gründen notwendig, als Gegenbeispiel. Weil sie beweist, wie der „Ring“ auch gezeigt werden kann: pur, naturbelassen, analog – und damit allen Moden enthoben.

Auch interessant

Kommentare