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Musikfestspiele
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Tiroler Festspiele Erl Sommer

06.07.2023 - 30.07.2023


Siegfried

Zweiter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Libretto und Musik von Richard Wagner

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5 h 10' (zwei Pausen)

Premiere im Passionsspielhaus am 8. Juli 2023

 

 

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Bekanntes Werk mit neuen Akzenten

Von Thomas Molke / Fotos: © Xiomara Bender (TFE Presse)

Vor zwei Jahren hat man bei den Tiroler Festspielen Erl mit dem Schmieden eines neuen Ring-Zyklus begonnen, der am 16. Juli 2023 zum Abschluss kommt, bevor er im kommenden Sommer in zwei zyklischen Aufführungen präsentiert wird. Wagners vierteiliges Mammutwerk hat hier eine ganz besondere Bedeutung. Als der damalige künstlerische Leiter und Begründer der Festspiele Gustav Kuhn 2004 den ersten Zyklus inszeniert hatte, kam er auf die Idee, als Projekt für 2005 einen sogenannten 24-Stunden-Ring in Angriff zu nehmen, bei dem die komplette Tetralogie an einem Wochenende präsentiert wurde. Was wie ein wahnwitziges Vorhaben klang, hatte so großen Erfolg, dass nicht nur die Oper Köln dieses Projekt nachahmte, sondern auch Dr. Hans Peter Haselsteiner, der in Folge dieses Projektes die Präsidentschaft der Festspiele übernahm, erfolgreich dafür kämpfte, dass neben der bisherigen Spielstätte, dem Passionsspielhaus, ein eigenes Festspielhaus errichtet wurde, in dem seit 2012 die Winterfestspiele einen weiteren Bestandteil der Festspiele bilden und mittlerweile mit weiteren Projekten einen ganzjährigen Spielplan ermöglichen. Gustav Kuhn ist nun Geschichte in Erl, die nicht so rühmlich zu Ende gegangen ist, wie sie einst begonnen hatte. Der enge Bezug zu Wagner im Passionsspielhaus ist allerdings geblieben, und so hat auch der jetzige künstlerische Leiter Bernd Loebe den Ring in einer neuen Inszenierung auf den Spielplan gestellt. Regie führt bei diesem gewaltigen Unterfangen Brigitte Fassbaender, die nicht nur in ihrer Karriere als Mezzosopranistin an den führenden Opernhäusern der ganzen Welt große Erfolge feierte, sondern auch als Intendantin am Tiroler Landestheater Innsbruck von 1999 bis 2012 eine enge Beziehung zu der Region aufbaute.

Die Partie der Fricka gehörte während ihrer sängerischen Laufbahn häufig zu ihren Rollen, und so hat sie auch als Darstellerin einen engen Bezug zu dem Werk entwickelt. Den Siegfried hält sie dabei nach eigener Aussage im Programmheft musikalisch und textlich für die "interessanteste der Ring-Opern". Wie schon bei den beiden vorherigen Teilen, Das Rheingold und Die Walküre, überlässt sie keinen Moment bloß der Musik, sondern bindet die einzelnen Figuren geschickt und durchdacht in das Geschehen mit ein, um, wie sie es selbst einmal bezeichnet hat, "ein Herumstehen auf der Bühne" zu vermeiden. Dabei entstehen auf einzelne Charaktere ganz neue Blickwinkel, die man so in einer relativ librettonahen Interpretation noch nicht gesehen hat und die diese Inszenierung so wahnsinnig spannend machen. Dass das Orchester im Passionsspielhaus hinter der Bühne positioniert ist, ist diesem Ansatz sehr förderlich, da das Publikum so den einzelnen Figuren noch näher kommt. Bereits das Vorspiel setzt Fassbaender in Szene und zeigt Siegfried als Kind, der in einer absolut lieblosen Umgebung aufwachsen muss. Auf der rechten Bühnenseite liegt ein Statisten-Junge in einem Laufstall und wird von Mime durch das Anstupsen mit einem Holzschwert geweckt. Mit diesem Holzschwert schlägt der kleine Siegfried unkontrolliert auf alle Gegenstände im Haus ein und wird von dem relativ überforderten Mime schließlich hinaus in die Natur gebracht, um hier seine Aggressionen und Triebe auszuleben.

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Mime (Peter Marsh, vorne) und Siegfried (Vincent Wolfsteiner, hinten) mögen sich nicht.

Mimes Schmiede ist zwar im Bühnenbild von Kaspar Glarner mit einigen Requisiten recht detailverliebt ausgestattet, liefert in der ersten Szene jedoch nicht das erwartete Bild. Zwar befindet sich auf dem Amboss in der Mitte der Bühne ein neues von Mime geschmiedetes Schwert, das Siegfried bei seinem ersten Auftritt als junger Erwachsener auch zerschlägt. Aber mit den Schlägen, die nach dem Vorspiel zu hören sind, versucht Mime nicht etwa, dieses Schwert zu vollenden, sondern hört dieses Hämmern gewissermaßen in seinem Kopf, weil er verzweifelt erkennen muss, dass er nicht in der Lage ist, eine Waffe zu fertigen, die Siegfried standhält und ihn somit zu Mimes Werkzeug bei der Erlangung des Nibelungenschatzes macht. Peter Marsh gestaltet den Mime mit hellem und bisweilen gezielt etwas schneidendem Tenor als den unsympathischen Charakter, der er gemäß Libretto auch ist, so dass man mit ihm zu keinem Zeitpunkt wirklich Mitleid empfinden kann, wenn Siegfried sich ihm gegenüber recht unfreundlich und grob verhält. Vincent Wolfsteiner begeistert als Siegfried mit kraftvollem Heldentenor, der bis zum Ende des Abends keinerlei Schwäche zeigt und scheinbar über unerschöpfliche stimmliche Reserven verfügt. Dabei nimmt man ihm auch darstellerisch mit unbesonnenem und leicht naivem Spiel ab, dass dieser junge Mann keine Ahnung vom Fürchten hat.

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Siegfried (Vincent Wolfsteiner) schmiedet Notung neu.

Wieso Simon Bailey als Wanderer in den ersten beiden Aufzügen keine Augenklappe trägt, erschließt sich nicht. Soll damit der Wandel vom Gott zum Wanderer angedeutet werden, der erst beim Zusammentreffen mit Erda wieder in seiner alten Gestalt erscheint? Schlüssig wäre das eigentlich nicht, da ja auch Alberich ihn im zweiten Bild erkennt. Mit sauber geführtem Bariton und leicht komödiantischem Spiel macht er mit Marsh die häufig etwas langatmige Frage-Szene zwischen dem Wanderer und Mime zu einem kurzweiligen Intermezzo im ersten Aufzug, bevor es dann zur großen Schmiedeszene kommt. Hier wird optisch ebenfalls einiges geboten. Auf der linken Bühnenseite befindet sich eine Apparatur, in die Siegfried die Schwertstücke wirft, die dann durch Drehen eines Rades an der Seite als Späne herauskommen und von Siegfried in einem Eimer aufgefangen und über dem Feuer geschmolzen werden. Dann wird das flüssige Eisen von ihm zu einem Schwert gegossen. So kraftvoll wie die Bilder ist auch Wolfsteiners Tenor in dieser Szene. Mit roher Kraft durchschlägt er am Ende dann auch den Amboss, bevor er und Mime sich zu den letzten Tönen der Musik in die Arme fallen. Über diesen Regie-Einfall kann man geteilter Meinung sein. Sollte die Ekstase, in der sich beide in diesem Moment befinden, wirklich so groß sein, dass sie ihre gegenseitige Abneigung vergessen und sich freundschaftlich in die Arme schließen?

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Siegfried (Vincent Wolfsteiner) lauscht dem Waldvogel (Anna Nekhames) (im Hintergrund: Fafner (Anthony Robin Schneider)).

Im zweiten Aufzug erhält die Rolle des Waldvogels in Fassbaenders Interpretation eine ganz neue Dimension. Bereits während des Vorspiels lässt sie den Waldvogel auf der Bühne auftreten und die ganzen Szenen des zweiten Aufzugs beobachten. So wird motiviert, woher der Waldvogel eigentlich sein Wissen hat, das er anschließend an Siegfried weitergibt. Außerdem stellt Fassbaender dem Waldvogel noch einen Gefährten als Statisten zur Seite, der mal mit ihm durch das Bühnenbild schleicht und sich mal über der Bühne auf der rechten oder linken Seite als Beobachter befindet. Die Bühne von Glarner zeigt zahlreiche Baumstämme ohne Kronen. Die grünen Blätter werden während des Waldwebens auf die Stämme projiziert. Die Rückwand ist von Bibi Abel mit einer eindrucksvollen Video-Projektion gestaltet und zeigt einen riesigen Drachenkopf, der sich in der Projektion auch bewegt, wenn man Fafner hört. Alberich hat sich auf der rechten Seite eine kleine Höhle eingerichtet und wartet da mit Getränkedosen und Butterkeksen auf eine Chance, seinen Schatz zurückzugewinnen. Der Wanderer tritt durch den Saal auf, was erneut die Nähe zum Publikum unterstreicht. Craig Colclough, der bereits im Rheingold als Alberich mit dunklem Bassbariton überzeugte, begeistert auch im Siegfried mit schwarzen Tiefen und glaubhaftem Misstrauen. Am Ende des Aufzugs gibt Fassbaender ihm noch einen kurzen Moment, wenn er sich gierig in Fafners Höhle begibt und beginnt, Teile des Schatzes zu rauben, bei dem zweiten Eimer Gold allerdings frustriert erkennen muss, dass ohne den Ring dieser Schatz für ihn wertlos ist.

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Fafner (Anthony Robin Schneider)

Fafner ertönt nicht wie in vielen Inszenierungen bei seinem ersten Auftritt durch Lautsprecher verstärkt aus dem Off, sondern befindet sich bereits von Anfang an unsichtbar hinter einem Baum in der Mitte der Bühne. So hat man die Illusion, dass die Stimme wirklich aus dem in der Video-Projektion angedeuteten Maul des Drachen kommt. Wenn er dann aus seiner Höhle herauskommt, wird ein Teil der Bühne in der Mitte gedreht und zeigt den Wurm in schwerer Rüstung mit Maschinengewehren und Flammenwerfern ausgestattet auf seinem Schatz sitzend. Die Flammen, die aus seiner Waffe hervorschießen, wirken dabei recht bedrohlich, während Wolfsteiner sich beim Kampf ein wenig arg lässig gebärdet, so dass es nicht wirklich glaubwürdig erscheint, dass Siegfried den Drachen im Kampf erlegt. Anthony Robin Schneider punktet stimmlich erneut mit ausdrucksstarkem Bass, mit dem er schon im Vorabend in der gleichen Partie und in der Walküre als Hunding begeisterte. Auch die Komik kommt im zweiten Aufzug nicht zu kurz. Wenn Siegfried den Gesang des Waldvogels auf dem Rohr nachzuahmen versucht, kommt der Ton wunderbar schief aus dem Orchester. Wieso er allerdings kein Horn hat, das er anschließend bläst und mit dem er Fafner aus seiner Höhle lockt, sondern nur die Hände an den Mund legt, bleibt unklar. Anna Nekhames verfügt als Waldvogel über einen kräftigen Sopran mit einem etwas zu starken Vibrato, was dem Vogel stimmlich ein wenig seiner Leichtigkeit nimmt. Darstellerisch überzeugt sie auf ganzer Linie. Unter anderem deutet sie Siegfried bereits im Vorfeld pantomimisch an, dass Fafners Blut ihm helfen kann, die Sprache der Vögel zu verstehen.

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Der Wanderer (Simon Bailey) sucht bei Erda (Zanda Švēde) Rat.

Im dritten Aufzug bekommt man nun einen völlig neuen Blick auf die Figur der Erda. Als Hollywood-Schönheit à la Grace Kelly schlummert sie mit Schlafmaske zunächst in einem opulenten Bett, das in der Mitte der Bühne aus dem Boden emporgefahren wird. Wotan rückt sich die Krawatte zurecht und kommt mit Sekt und zwei Gläsern. Bevor er die Urwala erweckt, muss er sich allerdings erst ein wenig Mut antrinken. Zunächst wirkt Erda ganz wie eine Geliebte, die sich darüber freut, dass ihr Liebhaber erneut zu ihr gekommen ist. Es kommt zu regelrecht zärtlichen Momenten zwischen den beiden. Erst als Wotan ihr verkündet, dass er ihrer gemeinsame Tochter Brünnhilde die Göttlichkeit genommen hat, kommt es zum Bruch. Wenn Wotan Erda erneut in die Tiefe hinabschickt, schläft sie nicht sofort ein, sondern beobachtet noch, wie es zum Aufeinandertreffen zwischen Siegfried und seinem Großvater kommt. Zanda Švēde glänzt als Erda mit satten Tiefen und warmem Mezzosopran. In der folgenden Szene liefern sich Bailey und Wolfsteiner stimmlich und darstellerisch ein packendes Duell, an dessen Ende der Gott einen nahezu tragischen Abgang hat.

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Brünnhilde (Christiane Libor) und Siegfried (Vincent Wolfsteiner)

Die Bühnenmitte wird nun von rot leuchtendem Rauch umwabert, so dass man das Gefühl hat, dass Siegfried wirklich durch das Feuer schreitet. Die schlafende Brünnhilde wird auf einem Podest aus der Mitte der Bühne emporgefahren, wo sich zuvor Erdas Bett befunden hat. Wolfsteiner gestaltet das Entsetzen, das er beim ersten Anblick einer Frau hat, sehr eindrucksvoll, so dass man nachvollziehen kann, wie Siegfried erstmals zu einem wahrhaft fühlenden Menschen wird, dem nun auch das Fürchten nicht mehr fremd ist. Sein Respekt ist dann allerdings so groß, dass er die Maid nicht durch einen Kuss auf den Mund erweckt, sondern ihre nackten Füße berührt. Christiane Libor gestaltet Brünnhildes Erwachen sehr intensiv und punktet mit frischem, leuchtendem Sopran und kraftvollen Höhen. Während des folgenden Gesprächs hält Fassbaender in der Personenregie Brünnhilde und Siegfried allerdings bis zum Schluss auf Abstand. Ob man diesem Ansatz folgen möchte, ist Geschmacksache. Selbst bei "leuchtende Liebe, lachender Tod" stehen die beiden noch auf unterschiedlichen Seiten der Bühne, bevor sie dann zu den letzten Tönen der Musik körperliche Nähe zulassen und beim Verlöschen des Lichts endlich zum Kuss ansetzen. Erik Nielsen lotet dies alles mit dem Orchester der Tiroler Festspiele Erl klanggewaltig aus und sorgt dafür, dass die Solist*innen zu keinem Moment vom Orchester überdeckt werden. So gibt es am Ende und nach den einzelnen Aufzügen großen Jubel für alle Beteiligten.

FAZIT

Brigitte Fassbaender gelingt es erneut, in einem relativ bekannten Stück neue Akzente zu setzen und dabei trotzdem librettonah zu bleiben.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Erik Nielsen

Regie
Brigitte Fassbaender

Bühnenbild und Kostüme
Kaspar Glarner

Kostümmitarbeit
Uta Baatz

Licht
Jan Hartmann

Video
Bibi Abel

Dramaturgie
Mareike Wink

 

Orchester der Tiroler Festspiele Erl


Solistinnen und Solisten

Siegfried
Vincent Wolfsteiner

Mime
Peter Marsh

Der Wanderer
Simon Bailey

Alberich
Craig Colclough

Brünnhilde
Christiane Libor

Erda
Zanda Švēde

Fafner
Anthony Robin Schneider

Waldvogel
Anna Nekhames

Statisterie
Siegfried als Kind
Vitus Rizzoli /
Linus Schröter

Zweiter Waldvogel
Chris Wang

 


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