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Roméo et Juliette

Oper in fünf Akten
Libretto von Jules Barbier und Michel Carré nach William Shakespeare
Musik von Charles Gounod


in französischer Sprache mit französischen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30 (eine Pause)

Koproduktion mit dem Teatro Real, Madrid
Premiere an der Operá national de Paris in der Opéra Bastille am 17. Juni 2023
(rezensierte Aufführung: 3. Juli 2023)


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Opéra national de Paris
(Homepage)

Ein Liebespaar für die Ewigkeit

Von Stefan Schmöe / Fotos von Vincent Pontet / Opéra national de Paris

Wer ins Theater geht, der möchte etwas zu sehen bekommen. Zu hören natürlich auch, dazu später, aber die Oper war eben gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Spektakel, in Paris sowieso. Charles Gounod musste den Gewohnheiten der verschiedenen Opernhäuser dieser Stadt entsprechend seine 1867 im Théâtre-Lyrique uraufgeführte Oper Roméo et Juliette mehrfach umarbeiten, um sie an den anderen Häusern spielen lassen zu können; für die Aufführung an der Nationaloper im Palais Garnier 1888 etwa komponierte er die dort obligaten Ballette nach (im Wesentlichen bezieht sich diese Neuproduktion eben auf diese Fassung von 1888). Dramatische Wirklichkeit auf der einen, die Konventionen eines (Unterhaltungs-)Theaters auf der anderen Seite, das macht ja durchaus die Janusköpfigkeit der Grand opéra aus, in deren Tradition Romeo et Juliette steht. Diesen Gegensatz stellt Regisseur Thomas Jolly ins Zentrum seiner Inszenierung.

Szenenfoto Große Bühnenshow: Party bei den Capulets

Im nüchternen Bau der Opéra de Bastille aus dem Jahr 1989 mit dem Charme eines Konferenzzentrums hat Jolly seinen Bühnenbildner Bruno de Lavenère den monumentalen Treppenaufgang aus dem Palais Garnier nachbauen und auf die Drehbühne stellen lassen, spielt damit auf die glorreiche Historie der Gattung und der Opéra de Paris als Institution an und erzeugt bereits optisch ein Spannungsfeld zwischen den Epochen. Dass die Geschichte von Romeo und Julia zeitlos im kollektiven europäischen Bewusstsein verankert ist, muss man nicht eigens erwähnen; Jolly versucht einen szenischen Balanceakt zwischen den Zeiten, um diese Universalität herauszustellen - und beginnt mit den Jahren der Pest, die im Vorspiel angedeutet werden, wenn am Fuße der Treppe Leichen von Gestalten in schwarzen Umhängen und Pestmasken weggekarrt werden. Indirekt spielt Jolly wohl auch auf die Zeit der Theaterschließungen während der Corona-Pandemie an, in der die Konzeption der Inszenierung entstanden ist. Die Fantasiekostüme (Sylvette Dequest) legen sich historisch nicht fest, deuten aber weite Zeitsprünge an. Der Maskenball im Hause Capulet im ersten Akt spielt ebenso auf ein barockes Maskenfest an wie auf eine durchgeknallte Party am Montmartre in den 1920er-Jahren oder auch heute, im dritten Akt befinden wir uns wohl im 20. Jahrhundert wie auch im vierten, nur könnte der im jüdischen Viertel angesiedelt sein - so vollzieht sich das Drama überall und immer. Mit dem historischen Frauenbild scheint Jolly allerdings zu hadern; ein duldsames unschuldiges Mädchen ist seine selbstbewusste Juliette jedenfalls nicht, sondern eine moderne Frau im Hosenanzug. Nur schade, dass ihr Kostüm mit allerlei Glitter so aussieht, als habe sie gerade eben noch mit ABBA auf der Bühne gestanden.

Szenenfoto

Romeo, Julia und Balkon

Die Show muss stimmen, das ist der andere Leitgedanke der Regie, und so turnt ziemlich bemüht eine Gruppe von Tänzer:innen mit abstrusen Bewegungen herum (Choreographie: Josépha Madoki), weil das wohl so sein muss (es wird auch brav beklatscht). So gibt sich die Oper über weite Strecken als leicht schräge Revue, als gehöre sie an den Montmartre oder den Broadway oder den Berliner Friedrichstadtpalast, jedenfalls in die Amüsierviertel der Theaterwelt. Da tanzt im vierten Akt ein ganzes Dutzend an Bräuten, mindestens eine davon mit prächtigem Vollbart unter dem Schleier. Aus Luftschlangen so etwas wie Feuerwerk anzudeuten, das findet Jolly ganz, ganz toll und überstrapaziert den Effekt nach Kräften. Jolly präsentiert eine Ausstattungsoper, die zwar jeden Moment sagt: Nimm' mich nicht zu ernst, das wird Dir gerade alles mit Augenzwinkern präsentiert, aber es will gleichzeitig natürlich absolut ernst genommen werden. Der Kitsch triumphiert, auch mit vielen Lichtkegeln, wie man sie eher bei großen Pop-Konzerten erwartet. Gedanklich mag da vieles nicht falsch sein, optisch muss man durch etliche Zumutungen hindurch.

Szenenfoto Vater Capulet will Julia umgehend verheiraten

Nun ist des Spektakels Kern ja eine ganz wunderbar komponierte Liebestragödie, die vom Chor und Orchester der Nationaloper Paris unter der Leitung von Carlo Rizzi samtweich und betörend schön, nie vordergründig oder sentimental, aber mit allem instrumentalem Charme und Zauber der französischen Oper unterlegt ist und musikalisch eine duftige, aber nie parfümierte Opulenz ausstrahlt, die das kreischende Bühnengeschehen an Wahrhaftigkeit um Klassen übertrifft. Und immerhin inszeniert Jolly wirkungsvolle Auftritte und tolle Zweikämpfe, und überhaupt ist die genaue Personenregie gerade bei den beiden Hauptfiguren ein Pluspunkt der Regie. Dafür steht ihm allerdings auch ein Traumpaar der aktuellen Opernwelt zur Verfügung: Mit Elsa Dreisig und Benjamin Bernheim sind die Hauptpartien auch optisch ideal besetzt, und der erste, noch flüchtige Kuss wird durchaus anrührend und glaubhaft inszeniert. In den Duetten findet die Regie dann doch noch so etwas wie Wahrhaftigkeit.

Szenenfoto

Das Ende: Romeo und Julia, tot

Das eigentliche Ereignis ist aber die vokale Präsenz der beiden. Bernheims eleganter und geschmeidiger Tenor bezaubert im Piano mit betörendem Legato und delikater Klangkultur und weitet sich im Forte zu glänzendem, nie einfach nur lautem Klang. Elsa Dreisigs mädchenhafte Juliette blüht jubelnd überschwänglich auf, als stünden ihr alle Welten offen (nur in ihrer großen Arie im vierten Akt ahnt man kurz, dass die Partie teuflisch schwer ist). Da präsentiert die Pariser Oper Gounod auf allerhöchstem Niveau, sodass man auch nach fast dreieinhalb Stunden diesem Paar noch ewig weiter zuhören möchte. Glänzend sind auch die weiteren Rollen besetzt. Um nur zwei aus dem durchweg exzellenten Ensemble zu erwähnen: Laurent Naouri gibt einen würdevollen, aber nicht altväterlichen Capulet, und Marina Viotti (die alternierend mit Lea Desandre besetzt ist) macht aus dem kurzen Auftritt des Pagen Stéphano eine Bravournummer und meldet eindrucksvoll Ansprüche auf große Partien an.


FAZIT

Musikalisch gehört diese Produktion sicher zum besten, was derzeit zu erleben ist, nicht nur wegen Elsa Dreisig und Benjamin Bernheim als großartigem Liebespaar. Dafür nimmt man gerne in Kauf, dass sich Thomas Jolly szenisch allzu sehr in den Untiefen des Revuetheaters verliert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Carlo Rizzi

Inszenierung
Thomas Jolly

Bühne
Bruno de Lavenère

Kostüme
Sylvette Dequest

Licht
Antoine Travert

Choreographie
Josépha Madoki

Chor
Chin-Lien Wu



Chor und Orchester der
Opéra national de Paris


Solisten

Roméo
*Benjamin Bernheim /
Francesco Demuro

Juliette
* Elsa Dreisig /
Pretty Yende

Frère Laurent
Jean Teitgen

Mercutio
Huw Montague Rendall /
*Florian Sempey

Tybalt
Maciej Kwaśnikowski

Benvolio
Thomas Ricart

Comte Capulet
Laurent Naouri

Gertrude
Sylvie Brunet-Grupposo

Pâris
Sergio Villegas Galvain

Le Duc
Jérôme Boutillier

Grégorio
Yiorgo Ioannou

Stéphano
Lea Desandre /
*Marina Viotti

Frère Jean
Antoine Foulon

Manuela
So-Hee Lee

Pepita
Izabella Wnorowska-Pluchart

Angelo
Vincent Morell



Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Opéra national de Paris
(Homepage)



Da capo al Fine

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